EU-Landwirtschaftspolitik Der Agrar-Wahnsinn

Für nichts gibt die EU mehr aus als für die Landwirtschaft: Die Agrarpolitik verschlingt fast 40 Prozent des Budgets. Ausgerechnet der Brexit könnte bei überfälligen Reformen helfen.
Traktor mit Feldspritze bringt Pestizide aus (Sachsen-Anhalt)

Traktor mit Feldspritze bringt Pestizide aus (Sachsen-Anhalt)

Foto: imago/ imagebroker

Günther Fielmann ist mit Brillen reich geworden - sehr reich. 4,8 Milliarden Euro nennt er laut "Forbes"-Liste  sein Eigen, womit er zu den 300 vermögendsten Menschen der Welt gehört. Und er bekommt von der EU jedes Jahr Hunderttausende Euro an Beihilfen.

Was absurd klingen mag, ist eine alltägliche Folge der EU-Landwirtschaftspolitik. Denn Fielmann verkauft nicht nur Brillen, er betätigt sich auch als Öko-Landwirt. Als solcher erhielt er von der EU im vergangenen Jahr rund 236.000 Euro Basisprämie zur Einkommens- und Risikoabsicherung und knapp 283.000 Euro für ökologischen Landbau. EU-Landwirte bekommen sogar Prämien dafür, dass sie geltende Auflagen für Natur-, Klima- oder Gewässerschutz einhalten. 2016 kassierte Fielmann insgesamt 637.842,88 Euro an EU-Geldern, wie aus Zahlen der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung hervorgeht .

Der 77-Jährige ist nur ein besonders prominentes Beispiel. Allein in Deutschland gibt es diverse Landwirtschaftsbetriebe, die Jahr für Jahr achtstellige Fördersummen einstreichen. Die Folge: Die EU gibt jährlich 55 Milliarden Euro für Agrarsubventionen aus, was rund 40 Prozent ihres Budgets entspricht. Es ist, als ob Migration, Klimawandel, Grenzschutz, Brexit oder Verteidigungspolitik nur Randerscheidungen wären - und das Hauptproblem der EU die Armut ihrer Landwirte sei.

Jetzt aber reißt der Austritt Großbritanniens eine Lücke von rund zwölf Milliarden Euro pro Jahr in den EU-Etat. Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU) fordert von den Mitgliedstaaten zwar frisches Geld, machte zugleich aber klar, dass gespart werden muss. Damit gerät auch die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU unter Druck, die 1957 noch unter dem Eindruck der Nachkriegs-Hungerjahre beschlossen wurde.

Proteste von Bauern in Brüssel (September 2015)

Proteste von Bauern in Brüssel (September 2015)

Foto: Olivier Hoslet/ dpa

Anachronistische EU-Agrarpolitik

Als "anachronistisch" bezeichnet etwa das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) die GAP. "Ihre starke Bedeutung im EU-Haushalt ist heute nicht mehr zu rechtfertigen", meint ZEW-Experte Friedrich Heinemann. Das ZEW hat jüngst im Auftrag der Bertelsmann Stiftung eine Studie über die EU-Agrarpolitik  erstellt. Das Urteil Heinemanns und seines Kollegen Stephan Cramon-Taubadel ist vernichtend.

Armen Bauern etwa hilft die GAP demnach kaum. Die 80 Prozent der Höfe mit dem geringsten Einkommen bekommen laut ZEW nur 25 Prozent der Direktzahlungen, die zehn Prozent mit dem höchsten Einkommen dagegen 55 Prozent. Damit gehe ein gutes Siebtel des gesamten EU-Haushalts an rund 750.000 ohnehin gut situierte Landwirtschaftsbetriebe.

Der Grund: Die Fördermenge richtet sich nach der bewirtschafteten Fläche, nicht nach der produzierten Menge. Das hat zwar dafür gesorgt, dass Butterberge und Milchseen verschwunden sind und Entwicklungsländer nicht mehr mit subventionierten EU-Produkten überschwemmt werden. Die Kehrseite: Großbetriebe profitieren besonders, die kleineren haben das Nachsehen.

Auch die Rolle von Landwirten für den Umweltschutz sehen die ZEW-Autoren kritisch. Zwar seien 30 Prozent der Direktzahlungen an Bauern an Öko-Kriterien geknüpft - doch das geschehe nicht primär zum Wohle der Umwelt, "sondern um Direktzahlungen an Bauern besser rechtfertigen zu können". Der Effekt sei nicht größer als der von anderen Umweltschutz-Maßnahmen. Hinzu kommt, dass die Landwirtschaft keinesfalls grundsätzlich umweltfreundlich ist - wie etwa die starke Belastung des Grundwassers mit Düngemitteln zeigt.

Umweltschutz? Nicht so wichtig

Die Landwirte sehen sich offenbar auch selbst nicht primär als Bewahrer der Natur. Drei Monate lang befragte  die EU-Kommission Landwirte, Verbände und Bürger zur Zukunft der GAP. Laut der 320-seitigen Zusammenfassung , die vergangenen Freitag vorgelegt wurde, halten 55 Prozent der anderen Bürger, aber nur 28 Prozent der Bauern den Umwelt- und Klimaschutz für die größte Herausforderung für die EU-Landwirtschaft. Am wichtigsten ist den Bauern demnach die Sicherung eines "fairen Lebensstandards". Das dafür beste Werkzeug: EU-Beihilfen.

Die Konkurrenzfähigkeit der EU-Landwirtschaft habe zudem in den vergangenen Jahrzehnten stark zugenommen, etwa durch technischen Fortschritt, heißt es in der Studie weiter. Auch gebe es in Europa vergleichsweise milde klimatische Bedingungen, eine gute Infrastruktur und viele Konsumenten mit hohem Einkommen. "Dieser Sektor", sagt Cramon-Taubadel, "muss nicht mehr gefördert werden, schon gar nicht in diesem Umfang."

Das Fazit der ZEW-Experten: Bis zum Ende der nächsten EU-Haushaltsperiode, die von 2021 bis 2027 reicht, müssten zumindest die Direktzahlungen - die rund 70 Prozent der GAP ausmachen - komplett abgeschafft oder durch eine stärkere Beteiligung der Mitgliedsländer ersetzt werden.

Bauernverband, Ost- und Südeuropäer leisten Widerstand

Doch der Widerstand formiert sich bereits. Auch wenn gespart werden müsse - "ein Sonderopfer der Landwirtschaft lehnen wir ab", sagt Udo Hemmerling, Vizegeneralsekretär des Deutschen Bauernverbands (DBV). Wenn die Mitgliedstaaten künftig mehr in den EU-Haushalt einzahlten, wie von Kommisar Oettinger gewünscht, könne die GAP sogar gänzlich von Kürzungen verschont bleiben, hofft Hemmerling.

Mit dem schärfsten Widerstand rechnen EU-Politiker aus den ost- und südeuropäischen Ländern, die besonders von den Agrarhilfen profitieren - insbesondere in Frankreich, das für seine renitenten Landwirte berüchtigt ist. Unterstützung bekamen die Franzosen bisher traditionell ausgerechnet von den Deutschen, auch wenn die hinterher gern öffentlich über die teure und sinnlose EU-Agrarpolitik jammern.

"Grenzenlos unehrlich" sei das, beklagt Jens Geier, Chef der deutschen SPD-Gruppe im EU-Parlament. Doch Änderungen erwartet er auch bei den nächsten Verhandlungen nicht - erst recht nicht angesichts des politischen Honeymoons zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Emmanuel Macron. Frankreichs neuer Präsident hat zudem bereits ein massives Sparprogramm angekündigt. Zusätzlichen Ärger mit den Bauern wird er kaum gebrauchen können. "Die Bundesregierung wird sich aufplustern, die CSU und die Bauern werden sich wehren, und am Ende wird es kosmetische Änderungen geben", meint Geier.

Doch auch Europas Sozialdemokraten sind sich keineswegs einig, wie aus dem EU-Parlament zu hören ist. Während die Deutschen eher für eine Reform der GAP sind, wollen Süd- und Osteuropäer sogar noch draufsatteln. Und mit den Briten verlässt nun ausgerechnet der einzige machtvolle Verbündete die EU, den die Deutschen in diesem Kampf hätten gewinnen können.

Bauernverband: "Auf Markterlöse konzentrieren"

EU-Agrarkommissar Phil Hogan beschwichtigte bei der GAP-Konferenz am Freitag die Landwirte. Oettingers Haushaltsvorschläge seien genau das: Vorschläge, und noch keine Verhandlungen über den nächsten EU-Haushalt. Allerdings seien "harte Entscheidungen" unausweichlich.

Auch in der üblicherweise bauernfreundlichen CSU gibt es Anzeichen eines Umdenkens. Die Co-Finanzierung der Beihilfen durch die Mitgliedstaaten etwa hält Markus Ferber für eine gute Idee. "Davon war ich schon immer ein Fan", sagt der CSU-Europaabgeordnete. Er könnte sich zudem eine Staffelung zugunsten kleinerer Höfe vorstellen: "Für die ersten Hektare gibt es mehr, für die weiteren dann immer weniger."

Die FDP sieht die Beihilfen ohnehin kritisch. "Wir gehen vom Leitbild des unternehmerischen Landwirts aus, der ohne Subventionen auskommen muss", sagt der liberale Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff. Er ist wie die ZEW-Autoren dafür, die Förderung in der nächsten EU-Haushaltsperiode "graduell abzuschmelzen". Die Agrarlobby sowohl in Deutschland als auch in Frankreich sei zwar stark, ergänzt Lambsdorffs Parteifreund Michael Theurer. "Aber der Handlungsdruck ist so groß, dass es wohl gewisse Veränderung geben wird."

Selbst Bauernverbands-Funktionär Hemmerling räumt ein: "Die Bedeutung von EU-Zuschüssen wird abnehmen." Der DBV rate seinen Mitgliedern deshalb, "sich auf ihre Markterlöse zu konzentrieren".


Zusammengefasst: Die EU gibt rund 40 Prozent ihres Budgets für die Förderung der Landwirtschaft aus - was nach Meinung von Kritikern nicht mehr zeitgemäß ist angesichts von Flüchtlingskrise, Brexit und anderen neuen Herausforderungen an die EU. Die Widerstände gegen eine Reform der Agrarpolitik sind massiv, doch der Brexit und die durch ihn entstehende Finanzlücke könnten Kürzungen erzwingen.

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