EU-Finanzminister Planspiele für die Hellas-Pleite

Wolfgang Schäuble in Luxemburg: Schuldenschnitt "intensiv diskutiert"
Foto: FRANCOIS LENOIR/ REUTERSLuxemburg - Die Frage, vor der die Währungsunion steht, klingt banal: Ist ein Ende mit Schrecken nicht doch besser als ein Schrecken ohne Ende? Die griechische Regierung muss trotz Milliardenhilfen immer wieder verkünden, dass sie die Sparziele nicht erreicht. Die Wirtschaft des Landes durchlebt eine schwere Rezession. Und die Bereitschaft der Griechen, die Spirale nach unten weiter mitzumachen, scheint langsam aber sicher erschöpft.
Da wirkt es zusehends wie die bessere Alternative, das hochverschuldete Land endlich pleitegehen zu lassen. Mit einem deutlich geringeren Schuldenstand, so die Hoffnung, kann die Genesung besser gelingen als mit immer neuen Radikalkuren, die den Zustand des Patienten immer schlimmer erscheinen lassen. Es passt also ins Bild, dass die Euro-Finanzminister bei ihrem Treffen in Luxemburg "intensiv" über einen Schuldenschnitt diskutiert haben. Das bestätigte kein Geringerer als der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble, also der Vertreter des Landes, das für fast 30 Prozent des europäischen Rettungsschirms aufkommen muss.
Es sei klar, dass Banken und Fonds im Rahmen eines erneuten Rettungspakets womöglich einen Verzicht ihrer Forderungen über die im Juli vereinbarten 21 Prozent hinaus hinnehmen müssten, sagte Schäuble. Allerdings hält der Privatsektor einen immer geringeren Anteil an den griechischen Schulden. Die Euro-Partner und die Europäische Zentralbank haben bereits mehr als hundert Milliarden der 350 Milliarden Euro Schulden in ihren Büchern.
Erst Schuldenschnitt, dann Flächenbrand?
Schäuble ging am Dienstag noch einen Schritt weiter: Die sogenannte Troika von EZB, Internationalem Währungsfonds (IWF) und EU-Kommission müsse feststellen, ob die Schuldentragfähigkeit Athens noch gegeben sei, sagte er. Und das Ergebnis könne negativ sein. Ganz klar sei aber auch, dass Griechenland in der Euro-Zone bleiben wolle und werde.
So deutlich die Signale aus Luxemburg auch klingen mögen: Die Finanzminister wissen genauso wenig wie alle Experten, wie ein mögliches Ende mit Schrecken aussieht. Die Euro-Zone hätte sich wohl längst auf einen massiven Schuldenerlass für Griechenland eingelassen, wenn sie nicht einen Flächenbrand fürchten würde. Was passiert, wenn die Märkte als nächstes Portugal, Irland oder gar Italien attackieren? Dann könnte die Euro-Zone ganz rasch auseinanderfallen. Dann hätte Griechenland, das wirtschaftlich eine zu vernachlässigende Bedeutung hat, die Währungsunion gesprengt.
Eben diese Sorgen äußerte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstagabend auf einer CDU-Regionalkonferenz in Magdeburg. Wer jetzt einen Schuldenschnitt als Allheilmittel vorschlage, vergesse wesentliche Gefahren. Das Risiko, dass dann auch andere Euro-Staaten den Weg einer Umschuldung suchten, um die Schuldenlast zu reduzieren, sei groß. "Dann wird niemand mehr in Europa investieren", warnte die Kanzlerin. Außerdem mache eine Umschuldung erst Sinn, wenn ein Land in der Lage sei, seine Finanzen in den Griff zu bekommen. Dies setze ernsthafte Reformen voraus. Zudem ermögliche nur der dauerhafte Euro-Rettungsschirm die Insolvenz eines Staates, ohne dass die Krise auf andere Euro-Staaten übergreife.
Hebel: EFSF-Volumen könnte auf bis zu zwei Billionen Euro steigen
Und genau hier scheint die Lösung des griechischen Problems nahe: Die Finanzminister diskutierten in Luxemburg auch über den sogenannten Finanzhebel für den Euro-Rettungsschirm EFSF. Zurzeit stimmen die Parlamente der Euro-Zone darüber ab, das Fondsvolumen von 440 auf 780 Milliarden Euro zu erhöhen. Nur Malta, die Niederlande und die Slowakei müssen noch zustimmen. Der Hebel bedeutet nichts anderes, als dass der EFSF mehr Geld zur Verfügung hat als die 780 Milliarden Euro. Das Volumen könnte auf bis zu zwei Billionen Euro ansteigen. Mit der zusätzlichen Feuerkraft könnte verhindert werden, dass im Falle einer Griechen-Pleite überhaupt ein Flächenbrand in der Euro-Zone entsteht.
Der reformierte Fonds hätte dann ausreichend Geld, etwa Banken zu rekapitalisieren und Staatsanleihen von anderen hochverschuldeten Staaten wie Portugal und im Zweifel auch Italien aufzukaufen. Und mindestens genauso wichtig: Er hätte auch die entsprechenden Kompetenzen. Denn die werden im Rahmen der aktuellen Reform ebenfalls ausgeweitet.
Die österreichische Finanzministerin Maria Fekter räumte am Dienstag ein, dass Experten mit der Suche nach einem geeigneten Finanzhebel für den Euro-Rettungsschirm EFSF beauftragt worden seien. Ihr schwedischer Amtskollege Anders Borg bereitete den Privatsektor auf diesen Schritt vor: "Es ist doch klar, dass die griechische Verschuldung auf einem sehr, sehr hohen Level ist, und dass daran was getan werden muss."
Experten: Schuldenschnitt von bis zu 60 Prozent notwendig
Ohne eine glaubhafte Reduzierung der Staatsschulden, so auch Schäuble, sei eine dauerhaft tragfähige Lösung für Griechenland nicht möglich. Experten wie Sony Kapoor vom Brüsseler Think-Tank Re-Define halten einen Schuldenschnitt von 50 bis 60 Prozent für notwendig, um den Hellenen die wirtschaftliche Wiederbelebung zu ermöglichen. Dann wäre das Land mindestens die Hälfte seiner rund 350 Milliarden Euro Schulden los.
Hätte der EFSF die entsprechenden finanziellen Mittel, könnte er auch den Finanzsektor stützen. Auch wenn die Banken in den vergangenen Monaten massenhaft griechische Staatsanleihen verkauft haben, müssten sie im Falle eines Schuldenschnitts noch immer Milliarden Euro abschreiben. Und unklar ist, wie viele Institute genügend Kapital haben, um das zu stemmen.
Schäuble warnte nach dem Treffen in Luxemburg entsprechend vor einer europäischen Bankenkrise. Die Minister hätten intensiv über die Lage im Bankensektor diskutiert. Es sei vereinbart worden, dass alle Finanzminister beim kommenden Treffen über die Verfassung ihrer Banken und ihre Schritte zur Abwendung einer Krise berichten sollen. Es gelte zu vermeiden, dass die Krise sich über den Bankensektor noch weiter ausweite. Schäuble zeigte sich enttäuscht, dass seine Kollegen nicht bereits auf diesem Treffen spezifische Bankenrettungspläne präsentiert hatten.
Insofern dürfte das Treffen in Luxemburg zu Wochenbeginn ein weiterer Schritt gewesen sein, das Problem Griechenland endlich aus der Welt zu schaffen. Das Experiment, das Land tatsächlich pleitegehen zu lassen, werden die Finanzminister frühestens wagen, wenn der EFSF wirklich ertüchtigt ist. Und selbst dann könnte das Risiko vielen noch zu groß sein.