EU-Gipfel Die störrischen Staaten von Europa

Angela Merkel will die Euro-Länder mit strikten Vorgaben aus Brüssel disziplinieren. Doch die Verzahnung der Wirtschaftspolitik kommt nicht voran, der Widerstand ist groß. Auf dem EU-Gipfel wurde wieder nur ein Zeitplan beschlossen.
Angela Merkel auf dem EU-Gipfel: Bis zur Wahl bitte nicht stören!

Angela Merkel auf dem EU-Gipfel: Bis zur Wahl bitte nicht stören!

Foto: JOHN THYS/ AFP

Angela Merkel war voll des Lobes für die irische EU-Ratspräsidentschaft. In den vergangenen sechs Monaten sei man "auf dem Weg zu einem stärkeren Europa gut vorangekommen", sagte die Kanzlerin nach dem zweitägigen EU-Gipfel in Brüssel. Eine Vielzahl von nationalen Reformen beginne nun zu greifen.

Die Wahrheit sieht nicht ganz so rosig aus. Von den 107 Reformaufträgen, die die EU-Kommission 2012 an die nationalen Regierungen verteilt hatte, wurden gerade einmal in 13 Fällen nennenswerte Fortschritte verzeichnet. Zu diesem ernüchternden Ergebnis kam jüngst eine Untersuchung des Europäischen Parlaments.

Viele Regierungen und Parlamente sehen nicht ein, wieso sie sich von den Kommissionsbeamten Vorschriften machen lassen sollten. Die sogenannten länderspezifischen Empfehlungen zur Wirtschaftspolitik, die jeden Sommer aus Brüssel kommen, werden meist geflissentlich ignoriert.

Auch Merkels Plan, die Empfehlungen verbindlicher zu machen, kommt nur zäh voran. Nach dem Wunsch der Bundesregierung soll die EU-Kommission künftig mit jedem Land einen nationalen Reformvertrag schließen, der dann vom jeweiligen Parlament abgesegnet wird. Dann würden die Selbstverpflichtungen auch ernster genommen, so die Hoffnung.

Doch bis es soweit ist, kann es noch dauern. Auf dem Gipfel beschlossen die Regierungschefs zunächst nur einen Zeitplan. Beim nächsten Treffen im Oktober wollen sie die Parameter festlegen, mit denen die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes gemessen werden soll. Frühestens im Dezember könnten die Regierungschefs dann die Einführung von nationalen Reformverträgen beschließen.

Hollande stellt eigene Defizitprognose in Frage

Auf Drängen der Bundesregierung war die Entscheidung auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben worden. Merkel wollte vorher offensichtlich keine Debatte über den geplanten Euro-Solidaritätsfonds führen. Denn dieser ist eng mit der Reformdebatte verwoben. Die Kanzlerin hatte den neuen Hilfstopf in Aussicht gestellt, um die Partner zur Zustimmung zu den Reformverträgen zu bewegen. Besonders reformfreudige Länder, so die Idee, sollen mit Geld belohnt werden. Allerdings weigert Merkel sich bislang, eine Summe zu nennen.

Bei den Reformverträgen gebe es "noch eine ganze Menge Skepsis", sagte Merkel. Die Partner hätten sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, was unter Wettbewerbsfähigkeit zu verstehen sei. Zählen die Lohnstückkosten dazu? Die Forschungsausgaben? Der Sozialstaat? Zunächst müsse man eine gemeinsame Basis finden, sagte Merkel. Das dauere eben etwas länger. Aber immerhin gebe es nun einen Zeitplan.

Der luxemburgische Regierungschef Jean-Claude Juncker mahnte nach dem Gipfel. "Niemand sollte denken, dass die Krise als solche bewältigt worden ist", sagte der langjährige Chef der Euro-Gruppe. "Wir sind noch nicht über dem Berg, aber wir sind auf dem richtigen Weg", fügte er hinzu. Auch Kommissionschef José Manuel Barroso warnte: "Wir müssen Selbstgefälligkeit vermeiden", sagte er. Europa müsse mit Blick auf die Rekordarbeitslosigkeit und Rezession in vielen Teilen Europas das Reformtempo halten.

Doch die Ablehnung gegen die Bevormundung aus Brüssel ist weiterhin groß. Frankreichs Präsident Francois Hollande setzte soeben durch, dass die länderspezifische Empfehlung der EU-Kommission für Frankreich verwässert wurde. Im Mai hatte die Kommission seiner Regierung aufgetragen, das gesetzliche Renteneintrittsalter zu erhöhen. In der abgeschwächten Version heißt es nun nur noch, sie solle das "effektive" Renteneintrittsalter erhöhen.

Auch bei den Sparzielen scheint Hollande darauf zu setzen, dass die Kommission ihm schon entgegenkommen wird. Die Brüsseler Beamten hatte Paris zwei Jahre Aufschub bis 2015 gewährt, um das Maastricht-Defizitziel von drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu erreichen. Dieses Jahr plant die Regierung mit einem Defizit von 3,7 Prozent. Hollande stellte die eigene Prognose jedoch schon wieder in Frage. Wenn das Wachstum so schwach bleibe, werde es schwer, die 3,7 Prozent zu erreichen, sagte der französische Präsident in Brüssel.

Juncker warnt vor schwerer Sozialkrise in Europa

Luxemburgs Premier Juncker warnte nach dem Gipfel zudem vor den Folgen der harten Wirtschaftskrise in den südeuropäischen Euro-Staaten. Zwar glaube er, dass die Finanzkrise ihren Höhepunkt überschritten habe. "Aber wir sind nicht am Ende der Wirtschafts- und Sozialkrise angelangt." Viele Menschen in den Krisenländern Südeuropas sähen keine Ergebnisse für die Opfer, die sie gebracht hätten.

Dementsprechend harsch kritisierte Juncker seine europäischen Kollegen. Die Äußerungen des Gipfels zur sozialen Dimension der Krise seien "dürftig". "Ich glaube, dass diejenigen, die sich mit dem Thema zu beschäftigen haben, sich noch nie richtig mit dem Thema beschäftigt haben", sagte Juncker.

Mit Material von dpa
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