Reformideen für die EU Euro für alle

EU-Kommissar Pierre Moscovici
Foto: JOHN THYS/ AFPWahlsiege gegen Populisten, Einigkeit in den Brexit-Verhandlungen, eine anziehende Wirtschaft, dazu ein US-Präsident Donald Trump, der sich hervorragend als Feindbild eignet: Die EU gewinnt an Selbstvertrauen, gar von einer historischen Chance zur Vertiefung der Union ist die Rede. "Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen", sagte Kanzlerin Angela Merkel nach Trumps Europa-Besuch - und erhielt aus ganz Europa Zustimmung, sogar von ihrem Wahlkampfgegner Martin Schulz (SPD).
Doch wie schwierig die Einigkeitsrhetorik in die Tat umzusetzen ist, wurde am Mittwoch deutlich. Die EU-Kommission stellte ihr "Reflexionspapier" für die Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion vor - eine Sammlung an betont vorsichtigen Schritten. Sie zeigt, wie tief die Gräben innerhalb der Eurozone sind, und wie schwierig es wird, sie zu schließen.
Das zentrale Problem der Eurozone sind die teils gewaltigen wirtschaftlichen Ungleichgewichte. Hier rächt sich, dass die EU eine gemeinsame Währung, nicht aber eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik eingeführt hat. Die Folge: Die ärmeren Länder vor allem im Süden der EU leiden unter hohen Schulden und geringem Wachstum, die reicheren Nordeuropäer dagegen wollen nicht für das oft als unsolide kritisierte Finanzgebaren des Südens geradestehen.
"Mehr Konvergenz ist der Schlüsselbegriff", sagte Finanzkommissar Pierre Moscovici bei der Vorstellung des Papiers. Die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sollen kleiner werden. Ansonsten drohe eine Eurozone der zwei Geschwindigkeiten - was zur politischen Spaltung und zu Extremismus führen könne.
Die EU-Kommission will nun die Einheit der Eurozone stärken und die in der Krise teils hastig eingeführten Notfallmechanismen in ein besser geregeltes System überführen. "Die Finanzkrise hat die Konstruktionsschwächen des Euro aufgezeigt", sagte der für den Euro zuständige Kommissar Valdis Dombrovskis. "Wir sollten nicht auf eine weitere Krise warten."
Die Kommission schlägt im Kern folgendes vor:
- Die Vollendung einer "echten" Finanzunion: Risiken im Bankensektor sollen gemeinsam abgefedert werden, auch die Kapitalmarktunion soll vorangetrieben werden. Dabei setzt die Kommission auf bereits bekannte Ideen, etwa die europäische Einlagensicherung, die sie bis 2019 beschließen lassen und bis 2025 einführen will.
- Die Stärkung der Wirtschafts- und Fiskalunion: "Gemeinsame sichere Anlagen" könnten als "neues Finanzinstrument für eine gemeinsame Emission von Schuldtiteln" eingeführt werden. Dabei soll es ausdrücklich nicht um die Vergemeinschaftung von Schulden gehen, die vor allem Deutschland ablehnt. Erst recht spricht die Kommission deshalb nicht von Eurobonds.
- Mehr demokratische Kontrolle und stärkere EU-Institutionen: Am Ende könne es auf einen gemeinsamen EU-Haushalt und einen EU-Finanzminister hinauslaufen, sagte Finanzkommissar Moscovici - auch wenn das in dem Papier äußerst vorsichtig formuliert ist. Dann müsse allerdings auch die Steuerung der Eurozone gestrafft werden, zudem soll die Kontrollfunktion des Europaparlaments gestärkt werden. An der schwachen demokratischen Legitimierung der Eurogruppe, des Gremiums der Euro-Finanzminister, gab es immer wieder Kritik.
- Euro für alle: "Der Euro ist die Währung der gesamten EU", sagte Moscovici. Das Ziel sei nach wie vor, dass außer Dänemark, das den Euro bereits abgelehnt hat, alle EU-Staaten der Währung beitreten - auch wenn die Kommission ausdrücklich keine Frist nennt. Sie hofft allerdings, dass mit dem Brexit der Sog größer wird, da die Eurozone dann für 85 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU verantwortlich sein wird.
Viele der Vorschläge dürften nur mit erheblichen Schwierigkeiten umzusetzen sein. Die Ernennung eines Finanzministers etwa würde voraussetzen, "dass auch andere das wollen", räumte Moscovici ein. Zudem bedürfte die Einführung eines solchen Postens wohl einer Änderung der EU-Verträge - die einen einstimmigen Beschluss aller Mitgliedstaaten und bei manchen sogar Referenden voraussetzen, wie etwa in Frankreich. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat einen solchen Schritt deshalb bisher als unrealistisch abgelehnt.
Auch beim Thema Schulden hat die Bundesregierung prompt auf die Vorschläge der Kommission reagiert. Deren Vorschlag der sogenannten "European safe assets" (SBBS) hält man in Berlin offenbar für kaum besser als Eurobonds. An der ablehnenden Haltung zu gemeinsam besicherten Staatsschulden habe sich nichts geändert, erklärte eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums unmittelbar nach der Vorstellung des Kommissionspapiers.
Zusammengefasst: Die EU-Kommission hat Vorschläge zur Stärkung der Eurozone präsentiert. Mit großen Visionen oder gar Revolutionen hält sich die Brüsseler Behörde allerdings betont zurück. Stattdessen bietet sie Optionen für eine behutsame Weiterentwicklung der Gemeinschaftswährung an. Die Chancen, sie umzusetzen, stehen so gut wie lange nicht.