Haushaltsstreit Mehrere EU-Staaten blockieren Corona-Hilfen

Mehrere EU-Staaten blockieren eine für den Start des europäischen Corona-Konjunkturprogramms wichtige Entscheidung. Nach Angaben von Diplomaten machten am Freitag rund ein Drittel der Mitgliedsländer in Brüssel deutlich, dass sie den Beschluss zur künftigen Finanzausstattung der EU vorerst nicht mittragen werden. Dieser sogenannte Eigenmittelbeschluss soll regeln, woher das Geld kommen soll. Vorher aber müsse Klarheit über den EU-Gesamthaushalt für die kommenden sieben Jahre bestehen, so lautet eine Forderung.
"Dies zeigt, wie wichtig rasche Fortschritte bei den Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament über den mehrjährigen Finanzrahmen sind, um das Gesamtpaket rechtzeitig über die Ziellinie zu bringen", kommentierte ein Diplomat.
Das von den Staats- und Regierungschefs bei einem Sondergipfel im Juli vereinbarte Paket besteht aus Corona-Hilfen im Umfang von 750 Milliarden Euro und aus Geldern für die EU-Haushalte von 2021 bis 2027 in Höhe von 1074 Milliarden Euro. Es kann allerdings nur in Kraft treten, wenn auch das EU-Parlament zustimmt. Nach derzeitigem Stand wollen die Abgeordneten dies nur tun, wenn es mehr Geld als geplant für EU-Programme wie Erasmus (Jugend & Bildung) und Horizon (Forschung) gibt. Eine weitere zentrale Forderung des Parlaments ist, die Auszahlung von EU-Geldern künftig von der Einhaltung rechtsstaatlicher Standards abhängig zu machen - was sich vor allem gegen Länder wie Ungarn und Polen richtet.
Auch Plastik-Abgabe hängt davon ab
Das Parlament steckt allerdings in einem Dilemma: Stellt es sich beim Haushalt quer, blockiert es zugleich auch die in den Corona-Krisenländern dringend benötigten Konjunkturhilfen. Das zumindest ist die Lesart in den Mitgliedsländern.
Im Parlament wird jedoch ein Trick erwogen: Man könnte das Corona-Paket absegnen, den Haushalt aber vorerst nicht. Die EU-Staaten weisen das strikt zurück - schon weil die Staats- und Regierungschefs beide Teile eindeutig als Gesamtpaket verabschiedet hätte. Aus dem Parlament kommt dagegen nach wie vor der Hinweis, dass eine Auftrennung beider Teile juristisch möglich sei.
Damit riskiert das Parlament Streit mit Ländern aus gleich mehreren Lagern. Die "sparsamen" EU-Staaten befürchten, dass die Abgeordneten dem Corona-Wiederaufbaupaket zustimmen, um dann höhere Ausgaben im regulären Haushalt zu fordern. Vor allem Ungarn wiederum argwöhnt, dass das Parlament auf diesem Weg einen harten Rechtsstaatsmechanismus in den Haushalt bringen könnte. Regierungschef Viktor Orbán droht nach Angaben von Diplomaten damit, seine Zustimmung zum Eigenmittelbeschluss so lange zurückzuhalten, bis selbst eine milde Version des Rechtsstaatsmechanismus vom Tisch ist.
"Europa steht im Wort"
Der Eigenmittelbeschluss ist unter anderem Grundlage dafür, dass die EU-Kommission die für die Corona-Hilfen geplanten Gelder an den Finanzmärkten aufnehmen kann. Zudem soll über ihn beispielsweise geregelt werden, dass zugunsten des EU-Haushalts eine neue Abgabe auf nicht recycelte Kunststoffabfälle eingeführt wird. Eile ist vor allem deswegen geboten, weil die Entscheidung bis Jahresende auch noch in den einzelnen Mitgliedstaaten ratifiziert werden muss. Gelingt dies nicht, müsste vorerst mit einem Nothaushalt gearbeitet werden, und die Corona-Hilfen könnten nicht anlaufen.
"Europa steht im Wort, die von der Coronakrise besonders betroffenen Menschen und Regionen so schnell wie irgend möglich zu unterstützen", kommentierte der deutsche EU-Botschafter Michael Clauß, der die Verhandlungen mit dem Europaparlament für die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten führt. Die Frequenz der Beratungen müsse angesichts der zu langsamen Fortschritte deutlich erhöht werden, forderte der Spitzendiplomat.
Im Europaparlament wurde die Sichtweise der derzeitigen deutschen Ratspräsidentschaft am Freitag allerdings nüchtern zur Kenntnis genommen. "Das Problem besteht nicht darin, dass wir nicht genügend Sitzungen abhalten, sondern darin, dass die deutsche Präsidentschaft keine Kompromisse bei der Aufstockung der Programme zulässt", kommentierte der deutsche Abgeordnete Rasmus Andresen (Grüne). Wenn der Rat die Verhandlungen beschleunigen wolle, solle er auch so handeln.