Vorstoß der Kommission EU-Staaten sollen Vetorecht bei Steuerfragen hergeben

Die EU-Steuerpolitik ist oft blockiert, weil jedes Land ein Vetorecht hat. Die Kommission will das Einstimmigkeitsprinzip nun abschaffen. Das aber müssen die Staaten einstimmig beschließen. Der Vorschlag erntet Hohn.
EU-Kommission in Brüssel

EU-Kommission in Brüssel

Foto: Yves Herman/ REUTERS

Jedes Jahr gehen den EU-Staaten viele Milliarden Euro verloren. Internationale Konzerne spielen die unterschiedlichen Steuersysteme der Länder gegeneinander aus, vermögende Bürger nutzen Schlupflöcher. Geschehen aber ist in den vergangenen Jahren wenig. Der Grund: Die Steuerpolitik gehört zu den Bereichen, in denen der Rat der EU-Staaten seine Beschlüsse einstimmig treffen muss. Insbesondere Niedrigsteuerländer wie Irland, Luxemburg oder Malta hatten es leicht, Fortschritte auszubremsen. Aber auch Deutschland nutzte die Veto-Möglichkeit.

Die EU-Kommission will das jetzt ändern. Am Dienstag legte sie einen Vorschlag  vor, laut dem in Steuerfragen vom Jahr 2025 an mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden kann - wenn also 55 Prozent der EU-Staaten mit 65 Prozent der EU-Bevölkerung dafür sind. Das Problem: Die Mitgliedsländer müssen dieser Änderung zuvor zustimmen. Und zwar einstimmig.

Kritiker bezeichnen den Vorschlag der Kommission deshalb als reine Symbolpolitik. "Mit diesem Vorschlag wird das Mehrheitsprinzip beerdigt", sagt der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold. "Die EU-Kommission hat mal wieder einen Papiertiger losgelassen", lästert der Linken-Abgeordnete Martin Schirdewan.

Mitgliedstaaten sollen Vetorecht freiwillig abgeben

Der Grund für den Ärger steckt in den Tiefen der EU-Verträge. Der Vorschlag der EU-Kommission fußt auf einer sogenannten Brückenklausel, die es erlaubt, in bestimmten Politikfeldern Mehrheitsentscheidungen einzuführen. Allerdings muss das laut Artikel 48 des Lissaboner Vertrags nicht nur einstimmig von den Mitgliedstaaten beschlossen werden. Auch muss jede auf diese Art gefällte Entscheidung hinterher den nationalen Parlamenten vorgelegt werden, die dann ihrerseits ein Veto einlegen können. Das macht solche Änderungen sehr unwahrscheinlich.

Dabei gäbe es durchaus eine Alternative. Sie versteckt sich in Paragraf 116 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU und erlaubt den Mitgliedsländern ebenfalls, per Mehrheitsentscheid über Steuerfragen zu entscheiden. Die Kommission muss dazu lediglich feststellen, dass gewisse Gesetze - etwa steuerlicher Art - den Wettbewerb im EU-Binnenmarkt verzerren.

Nicht nur Kritiker der bisherigen Praxis glauben, dass die teils krass unterschiedlichen Steuerregeln eine solche Verzerrung darstellen. Auch Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schien noch im Mai 2017 davon überzeugt zu sein. Als der Grünen-Politiker Giegold ihn damals in einer Parlamentsanhörung fragte, ob er Paragraf 116 anwenden würde, um die Blockade in der Steuerpolitik zu lösen, antwortete Juncker: "Ja".

Frage von Grünen-Politiker Sven Giegold im Video (2017):

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"Da wird eine politische Diskussion zu führen sein"

Dieser Ansatz aber war in der Kommission nun offenbar nicht mehr mehrheitsfähig. Finanzkommissar Pierre Moscovici begründet das mit rechtlichen Problemen. Für die Anwendung von Paragraf 116 müssten "strikte Bedingungen" erfüllt sein. Zwar sei die Kommission weiterhin bereit, in Einzelfällen Artikel 116 anzuwenden. Doch mit ihm könne man das Gesamtproblem nicht lösen. "Wir verfolgen einen Systemansatz", sagte Moscovici. Die EU-Staaten davon zu überzeugen, ihr Vetorecht freiwillig abzugeben, dürfte allerdings nicht einfach werden - das ist auch Moscovici klar: "Da wird eine politische Diskussion zu führen sein."

Es geht dabei um viel Geld. Allein Mehrwertsteuer-Betrug führt nach Angaben der Kommission zu Einnahmeausfällen von 50 Milliarden Euro pro Jahr. Hinzu kämen gigantische Einnahmen, sollten einige Vorhaben umgesetzt werden, die seit Jahren im Rat der Mitgliedsländer festhängen. Eine Finanztransaktionsteuer etwa könnte jährlich 57 Milliarden Euro in die Kassen der Staaten spülen, die umstrittene Digitalsteuer zusätzlich fünf Milliarden Euro generieren. Eine einheitliche Bemessungsgrundlage für Unternehmensteuern könnte Investitionen in der EU um 3,4 Prozent und das Wirtschaftswachstum um 1,2 Prozent steigern.

Doch das Geld ist nicht alles, wie Moscovici betonte. Am Ende gehe es auch um das Vertrauen der Bürger in die EU: "Wir müssen ihnen zeigen, dass die EU die Lösung und nicht das Problem ist", sagte der Franzose. Ob der Vorschlag der Kommission dazu aber taugt, erscheint fraglich. "Sie schlägt etwas vor", sagt etwa Giegold, "von dem sie weiß, dass es nie kommt."

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