EuGH kippt die Pkw-Maut Aus die Maut

Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU)
Foto: Sina Schuldt/ DPAWer das politische Beben wirklich verstehen will, das sich heute morgen um kurz vor zehn Uhr mit Epizentrum in Luxemburg ereignet hat, der sollte mit einem Blick auf die Straßenkarte beginnen. Der Weg von Wien über Innsbruck nach Bregenz, also einmal quer durch die Alpenrepublik, führt über die deutsche Autobahn A8 bis zum Dreieck Inntal und dann weiter über die A93. Dabei passieren österreichische Autofahrer zwei Grenzübergänge, einen in Salzburg und einen in Kiefersfelden. Für die 91 Kilometer dazwischen bezahlen sie außer Spritkosten - nichts.
Das ist die Ausgangslage für eine politische Saga, die sich nunmehr seit über einem Jahrzehnt zwischen der bayerischen Landeshauptstadt München, Berlin, Brüssel und Wien abspielt. Die langen Fahrzeugkolonnen mit österreichischen Kennzeichen sind ein Ärgernis für die Bayern und ein Angriffsziel von Politikern in großer Not.
So war es im Jahre 2013, als der damalige CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer in Umfragen schlecht dastand. Und so kam er auf die Idee, die Forderung nach einer Vignette für Autofahrer wieder aufzuwärmen. Seehofer schaltete damals den populistischen Turbo ein und sprach von einer "Ausländer-Maut", die es zu erheben gelte.
Video: Andreas Scheuer"Die Diskussion ist nicht zu Ende"
Rache für Stunden im Stau
Seehofer wusste genau, dass seine bayerischen Wähler bei diesem Wahlslogan sogleich die Bilder von österreichischen Autos auf der A8 vor Augen hätten. Das war das teuflische Kalkül: Rachegelüste auslösen für die vielen Stunden, die bayerische Wähler schon im Stau standen, vermeintlich wegen dieser Ösis, die deutsche Autobahnen quasi umsonst nutzen dürfen, während die Deutschen auf dem Weg zum Skifahren oder nach Italien Geld für ein "Pickerl" berappen. Dass ausländische Fahrzeuge laut ADAC nur gut fünf Prozent des Verkehrs auf deutschen Straßen ausmachen - geschenkt.
Seit heute Morgen ist aber auch klar, dass dieses Kalkül Seehofers damals gleichzeitig das Scheitern der Straßengebühr in sich trug. So spannt sich der Bogen von Seehofers Bierzeltauftritten bis zu dem Urteil der Luxemburger Richter am Europäischen Gerichtshof, die heute das Gesetz zur Einführung einer "Infrastrukturabgabe" - so hieß die "Ausländer-Maut" mittlerweile - als europarechtswidrig einstuften.
Zunächst sah es so aus, als habe sich Seehofer mit seinem irrwitzigen Plan durchsetzen können. Selbst ein Satz der Bundeskanzlerin Angela Merkel im TV-Duell mit ihrem Herausforderer Peer Steinbrück (SPD) konnte das Vorhaben nicht stoppen. "Mit mir wird es eine Pkw-Maut nicht geben", sagte sie vor Millionen von Fernsehzuschauern als Zeugen.
In den Koalitionsverhandlungen mit der SPD gelang es Seehofer und seinen Christsozialen dennoch, die Pkw-Maut in den Koalitionsvertrag hineinzuverhandeln. Zwei Bundesverkehrsminister mussten sich seitdem abmühen, den Auftrag ihres Parteichefs umzusetzen, zunächst Alexander Dobrindt und seit dieser Legislaturperiode Andreas Scheuer.

Mauten in Europa: Wo An- und Abreise für Deutsche am meisten kosten
Scheuer muss nun die Folgen ausbaden für eine fixe Idee mit einem fatalen Geburtsfehler: einer Abgabe, die nur ausländische Pkw-Fahrer zahlen müssen, während die deutschen Autofahrer die 130 Euro teure Vignette über eine reduzierte Kfz-Steuer kompensiert bekommen sollen. Genau das aber ist eine Diskriminierung anderer EU-Bürger und verstößt laut EuGH-Richtern gegen europäisches Recht.
Gerichtssaal vs. Bierzelt
Die Urteilsbegründung liest sich wie eine späte Replik auf die dumpfen Bierzelt-Sprüche von Seehofer, vornehm verpackt in nüchterne juristische Rhetorik:
"Im vorliegenden Fall bewirkt die Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer aber zugunsten der Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen, dass die von diesen entrichtete Infrastrukturabgabe vollständig kompensiert wird, sodass die wirtschaftliche Last dieser Abgabe de facto allein auf den Haltern und Fahrern von in anderen Mitgliedstaaten als Deutschland zugelassenen Fahrzeugen liegt", schreiben die Richter.
Aus die Maut: Scheuer muss die Abgabe bis auf Weiteres abmelden. Er habe "eine Taskforce" eingesetzt, erklärte er unmittelbar nach dem Urteil in einem ersten Statement. Das ist die neudeutsche Formulierung für einen Arbeitskreis. Und Arbeitskreise setzen Minister dann ein, wenn sie völlig ratlos sind.
Scheuer hatte sich keinen Plan B zurechtgelegt für den Fall, dass die Richter das Naheliegende entdecken. Er hatte sich davon einlullen lassen, dass seine Juristen fest mit einer Abweisung der Klage Österreichs gerechnet hatten. Schließlich habe die EU-Kommission seinen Plänen zugestimmt und bei der Anhörung des EuGH habe der Generalanwalt doch erkennen lassen, er halte nichts von den Argumenten aus Wien. Was für eine Fehleinschätzung.
Da kommt Scheuer nicht mehr raus
Jetzt hat Scheuer kaum Optionen, um sich aus seiner Lage herauszumanövrieren. Er könnte die Kompensation für die deutschen Autofahrer über die reduzierte Kfz-Steuer kippen. Das würde die Richter umstimmen, würde aber zur Folge haben, dass Seehofer und seine Christsozialen wortbrüchig werden. Deutsche sollten ja eben nichts draufzahlen für die Pkw-Maut.
Oder er nutzt die Chance, eine Maut einzuführen, die eine echte Infrastrukturabgabe ist, weil sie pro Kilometer abrechnet. Bei Lastwagen existiert dieses Modell bereits seit vielen Jahren: Toll Collect erhebt mit einem ausgeklügelten technischen System von den Brummifahrern eine Gebühr.
Vor Gericht hatte Deutschland auch deshalb einen schwachen Stand, weil bei der geplanten Pauschalabgabe so schlecht zu erklären war, dass hier wirklich das Verursacherprinzip zum Tragen kommt. Mit der Abrechnung im Stil von Toll Collect würde die Pkw-Maut ein Ziel erreichen, das Verkehrs- und Finanzexperten für sinnvoll erachten. Straßen würden direkt durch die finanziert, die von ihnen profitieren, nämlich die Autofahrer. Nimmt man die steuerrechtliche Systematik zum Maßstab, ist das wünschenswert.
Ist aber leider keine Option für den Minister. Denn deutsche Autofahrer ließen sich so nicht kompensieren für ihre Maut-Ausgaben. Es sei denn, am Ende des Jahres könnten sie sich ihre Rechnung, die sie an die Mautgesellschaft bezahlt haben, vom Finanzamt zurückerstatten lassen. Das wäre aufwendig und bürokratisch, am Ende kaum praktikabel. Ohne Rückerstattung aber würden ihn die Wähler dafür prügeln, wortbrüchig geworden zu sein und sie schröpfen zu wollen.
Entschädigung für Maut-Dienstleister
Als wäre das nicht genug, ist da noch das Problem mit den zwei Firmen, die Scheuer unvorsichtigerweise bereits mit der Einführung der Maut beauftragt hatte. Die beiden Unternehmen, eines davon ironischerweise aus Österreich, werden sich in jedem Fall mit vielen Hundert Millionen Euro für die entgangenen Aufträge entschädigen lassen.
Ein handwerklich gravierender Fehler des Ministeriums. Warum hatte man nicht gewartet, bis die EuGH-Richter ihr Urteil gesprochen haben?
Erklären lässt sich das nur mit dem großen politischen Druck, unter dem Scheuer und seine Ministerialen standen: Er wollte unter Beweis stellen, dass er den Auftrag seines Ziehvaters und ehemaligen CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer auch umsetzen kann. Die Pkw-Maut galt wie eine Art Beweis, dass bayerische Politik für die eigenen Partikularinteressen noch immer funktioniert.
Doch diese Extrawurst für die Bayern, sie bleibt der CSU jetzt im Hals stecken.
Anmerkung der Redaktion: Der Weg von Wien über Innsbruck nach Bregenz führt in Deutschland über die A8 (und die A93) und nicht über die A9. Der Artikel wurde entsprechend korrigiert.