
Eurobudget Zeit für den großen Notfallplan


Kanzlerin Merkel, EU-Kommissionschef Juncker, französischer Präsident Macron
Foto: HANNIBAL HANSCHKE/ REUTERSEs ist ein bisschen wie bei der deutschen Nationalmannschaft. Warnsignale gab es schon länger. Und als im ersten WM-Spiel mit jeder Minute offenbarer wurde, dass die Vorbereitungs-Unspiele doch keine unglücklichen Ausrutscher waren, schienen Jogis Jungs zu reagieren, als ginge das Problem auch irgendwie wieder vorbei. Von wegen. Jetzt hilft nur noch ein Kraftakt.
So ähnlich wirkt, wie Deutschlands Regierende auf das reagieren, was sich seit Monaten abzeichnet: dass hinter dem Phänomen wütender Populisten à la Trump und Salvini mehr steckt als nur mehr oder weniger landestypisch-vorübergehendes Krakeelen über unfaire Zölle und böse Deutsche - gut möglich, dass da gerade ein historisches Drama aufzieht, das Deutschlands Wohlstand enorm zu gefährden droht. Weil die Trumps im Zweifel auch Ernst damit machen, uns zu schaden, wenn es das eigene Land vermeintlich besserstellt. Und wir mittlerweile auch unsere Westentaschen-Trumps haben, die gar nicht zu merken scheinen, welchen Nationalunsinn sie da nachplappern. Gut möglich, dass da jetzt auch nur noch ein Kraftakt hilft.
Nichts spiegelt die hiesige Sorglosigkeit dieser Tage so atemberaubend wie das Gezeter darüber, ob es ab, Achtung, 2021 ein - wahrscheinlich ohnehin eher mickriges - Eurobudget geben soll, wie das Frankreichs Staatspräsident vor Monaten vorgeschlagen hat. Was für eine Aufregung. Weil da angeblich die armen Deutschen schon wieder zahlen sollen. So weit kommt es noch. Oder weil wir angeblich gar keine neuen Geldtöpfe brauchen. Wozu auch? Läuft doch in Europa. Wer wird bei so ein bisschen Handelskrieg und Regierungskrise schon nervös werden.
Historisch angemessen wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit vielmehr eine Art ganz großer Marshallplan für die nach wie vor kriselnden Regionen des Kontinents - im ureigenen deutschen Interesse. Und bevor die Nationalträumer in noch mehr Ländern die Oberhand gewinnen.
Selbst Deutsche fühlen sich als Globalisierungsverlierer
Wenn in diesen Zeiten fast überall in den reicheren Industrieländern die Verkünder klarer Feinbilder - mal Flüchtlinge, mal die Deutschen - Auftrieb haben, kann das nur sehr bedingt daran liegen, wer etwa an der bayerischen Grenze jetzt zurückgeschickt werden kann oder nicht - so sehr sich darüber streiten lässt. Oder ob auf der 5th Avenue zu viele Mercedes rumfahren.
Auffällig ist, dass die Trumps aller Nationen vor allem dort gewählt werden, wo es wirtschaftlich in den vergangenen Jahren drastische Brüche gab - wie im Rust Belt in den USA, wo früher Auto- und andere Industrien saßen. Oder in Frankreichs Grenzregionen im Norden. Oder im deutschen Osten und in strukturschwachen Regionen wie der Oberpfalz. Oder in Großbritannien, wo die Brexit-Zustimmung regional ähnlich klar verteilt war. Und wo die Lockerung von Arbeitsmarktregeln zu entsprechend größerer Unsicherheit und Kontrollverlust über das eigene Schicksal beigetragen haben. Und wo in staatlichen Kürzungsorgien Leuten Geld abgenommen wurde - während andere ihres in Panama haben.
Nach einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung gibt selbst in Deutschland eine knappe Mehrheit der Menschen an, dass sie sich nicht hinreichend vor den Nebenwirkungen der Globalisierung geschützt fühlen. Selbst im Land des Exportmeisters. In Europa schwankt die Arbeitslosenquote zwischen weniger als drei und weit mehr als zwanzig Prozent. Das geht auf Dauer nicht gut.
Starkes Signal gegen Kontrollverlust
Wenn das stimmt, wird das Drama mit ein paar homöopathischen Korrekturen oder Masterplänen gegen Flüchtlinge nicht zu stoppen sein. Auch nicht über hübsche Fotos mit dem feschen Herrn Kurz aus Wien. Oder irre Sprüche von Markus Söder, Germany's Next Trump Model. Dann sind das Ersatzkämpfe mit gefährlicher Nebenwirkung. Und Potenzial für Eskalation, wie sich beim Strafzoll-Pingpong des US-Präsidenten in Richtung Handelskrieg gerade zeigt. Dann ist der nächste Polit-Schock in Europa nur eine Frage der Zeit.
Und dann braucht es eine sehr viel größere Gegenoffensive derer, die uns vor solchen und anderen Kriegen bewahren - vielleicht sogar ein historisches Investitionsprogramm wie einst der Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg. Eins, das heute gerade in den neuralgischen Regionen Europas, in denen die Populisten ihre Basis finden, so viel Wirtschaftswachstum schafft, dass die Menschen dort wieder das Gefühl bekommen, ihren Anteil an jenem Wohlstandsgewinn abzubekommen, den in den vergangenen Jahren (fast) nur die ohnehin Privilegierten bekamen - und über ihr eigenes Schicksal wieder stärker bestimmen zu können. Und nicht immer nur verzichten und für die Krise anderer (Banken) zahlen zu müssen. Ein starkes Signal, dass Regierungen vor Kontrollverlust schützen.
Angela Merkel scheint sich mühsam dazu durchgerungen zu haben, für ein Eurobudget zwecks Abbau solcher Schieflagen einen "niedrigen zweistelligen Milliardenbetrag" ansteuern zu wollen. Das wären - wenn wir mal von 15 Milliarden ausgehen - ganze 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung. Irgendwann ab 2021. Egal, wie man das verwenden würde: Das wäre schlicht und einfach nichts, was auch nur einen Hauch an dem ändern würde, was uns gerade an historischen politischen Beben zu erschüttern beginnt. Wenn es bis 2021 nicht ohnehin schon zu spät ist.
Zeit für etwas Großes. Hier und jetzt. Wie bei unseren Jungs.
Wer das bezahlen soll? Darum geht es in der nächsten Woche.