Schuldenkrise "Deutschland muss mit dem Euro-Austritt drohen"

Euro-Skulptur vor der EZB-Zentrale: "Am schlimmsten wäre der chaotische Zusammenbruch"
Foto:Arne Dedert/ dpa
SPIEGEL ONLINE: Der Investor George Soros sieht für die Lösung der Euro-Krise nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder führe Deutschland die Währungsunion als wohlwollender Hegemon oder die Bundesrepublik müsse den Euro verlassen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Meyer: Nein, das sind nicht meine Lösungen. Was ich teile, ist die Kritik an der aktuellen Krisenpolitik. Die alte Grundordnung mit den Maastricht-Kriterien und dem Vertrag von Lissabon wurde aufgegeben, die Europäische Zentralbank ist nicht mehr die alte - seit die Notenbanker angekündigt haben, unbegrenzt Anleihen von Krisenländern zu kaufen. Deutschland müsste daraus die Konsequenzen ziehen und mit dem Austritt aus der Euro-Zone drohen.
SPIEGEL ONLINE: Aber eine Rückkehr zur D-Mark hätte für Deutschland doch dramatische Folgen. Die neue Währung würde drastisch aufwerten. Sie selbst haben die Kosten kürzlich auf 300 bis 400 Milliarden Euro beziffert.
Meyer: Das stimmt. Aber umsonst ist derzeit gar nichts mehr. Das schlimmste Szenario wäre ein chaotischer Zusammenbruch der Euro-Zone. Dann drohen unkalkulierbare Kosten. Durch die Pläne der EZB gibt es eine dramatische politische Instabilität: Die Haftungssummen sind jetzt unbegrenzt und die Bedingungen für Hilfskredite werden immer stärker aufgeweicht.
SPIEGEL ONLINE: Was schlagen Sie vor?
Meyer: Nur wenn Deutschland glaubhaft mit dem Euro-Austritt droht, lässt sich Druck auf die Partner ausüben und die Rettungspolitik kann korrigiert werden. Die Kosten bei diesem Szenario mögen zwar immens sein, aber die aktuelle Politik kostet Deutschland auch zwischen 75 und 150 Milliarden Euro pro Jahr - mit Griechenland-Paketen, Rettungsschirmen und Beteiligung an der EZB. Nach vier Jahren kommt man also auf die gleiche Summe.
SPIEGEL ONLINE: Aber wäre ein solches Szenario auch für die Krisenländer attraktiv? Soros argumentiert, Spanien und Italien könnten sich dann leichter erholen, weil der Euro deutlich abwerten würde.
Meyer: Ein Austritt der Bundesrepublik wäre das Ende der Euro-Zone. Dann würden Österreich, die Niederlande und Luxemburg sofort fragen: Sollen wir jetzt die Rettungsschirme allein tragen? Die würden also auch austreten. Fraglich ist, ob dann noch eine Rest-Euro-Zone übrig bliebe mit den Südländern inklusive Frankreich. Man muss sich im Klaren sein, dass das hohe politische Kosten hätte. Deutschland müsste eine solche Drohung daher sehr gut vorbereiten.
SPIEGEL ONLINE: Was denn nun? Einerseits sagen Sie, dass Deutschland mit dem Austritt drohen sollte. Andererseits betonen Sie die Risiken.
Meyer: Natürlich wäre eine solche Drohung gefährlich. Wenn es zu einem Eklat kommt, steht die Zukunft des europäischen Binnenmarkts auf dem Spiel. Das hätte dramatische Folgen. Deutschland und die EU müssen deshalb eine friedliche Lösung finden. Eine Möglichkeit wäre, den Euro durch nationale Parallelwährungen zu ergänzen.
SPIEGEL ONLINE: Wie meinen Sie das?
Meyer: Angesichts der unterschiedlichen Wettbewerbsfähigkeit der Euro-Länder brauchen wir wieder flexible Wechselkurse - quasi als Stoßdämpfer. Die Mitgliedsländer könnten per EU-Ratsbeschluss Ausnahmen vom Euro erlauben.
SPIEGEL ONLINE: Deutschland könnte also die D-Mark wieder einführen, den Euro aber trotzdem behalten?
Meyer: Genau. Für den Fall einer drohenden Euro-Inflation hätte die Wahl der neuen Mark eine Wertsicherungsfunktion. Und Griechenland könnte die Drachme wieder einführen. Daran kommt das Land mittelfristig nicht vorbei, wenn es seine Exportchancen erhöhen und die Reindustrialisierung schaffen will.
SPIEGEL ONLINE: Doch würde eine solche Parallelwährung auch die Schuldenprobleme des Landes lösen?
Meyer: Wohl kaum. Griechenland ist faktisch insolvent. Das Land müsste nach meinem Konzept deshalb die Euro-Zone verlassen. Die Griechen hätten kein Stimmrecht mehr in der EZB, dürften den Euro aber als Zahlungsmittel behalten.
SPIEGEL ONLINE: Das klingt absurd. Was hätte man dadurch gewonnen?
Meyer: Für Griechenland hätte die Idee einen großen Vorteil: Kapitalflucht würde sich nicht mehr lohnen. Die Bürger würden ihr Geld also nicht mehr ins Ausland schaffen, sondern könnten ihre Euro behalten. Es gibt solche Fälle bereits mit Montenegro, Monaco, San Marino und Vatikan-Stadt. Dazu kommt ein rein logistischer Vorteil: Die nationale Notenbank hätte Zeit, die neuen Banknoten zu drucken und zu verteilen. Das dauert nach Schätzungen mindestens ein halbes Jahr.
SPIEGEL ONLINE: Was würde das für die Euro-Zone bedeuten?
Meyer: Es wäre die Rückkehr zum Vertrag von Lissabon. Die Rettungsfonds könnten abgewickelt werden, da sie nur für Euro-Staaten gelten. Die verbleibenden Länder müssten Griechenland sicher weiterhelfen. Aber sie könnten das dann mit legalen EU-Maßnahmen tun, zum Beispiel über Strukturfonds, Kredithilfen oder Währungsbeihilfen. Das wurde bei Litauen und Bulgarien bereits so gemacht. Der Vorteil: Es wäre kein Vertragsverstoß und die Mittel wären begrenzter. Und auch die EZB wäre wieder die alte: Sie müsste keine Staaten mehr retten und behielte ihre Unabhängigkeit.
SPIEGEL ONLINE: Aber was hieße das für Griechenland?
Meyer: Die Griechen würden die Drachme natürlich auch nutzen. Das hieße: Die Löhne werden in Drachmen gezahlt, die Firmen nehmen aber auch nur noch Drachmen ein. Da die Unternehmen ihre Maschinen aber mit Euro-Krediten bezahlt haben, dürften sie Probleme bekommen, ihre Kredite zurückzuzahlen. Die Folge wären neue Probleme der griechischen Banken. Da könnte aber die EU eingreifen und mit erheblich weniger Mitteln die Wirtschaft stützen.
SPIEGEL ONLINE: Die Hilfsgelder würden also direkt an die griechischen Banken fließen - und nicht mehr an den Staat.
Meyer: Genau, besonders die systemrelevanten Geldinstitute müssten dann gestützt werden. Man könnte dem Land punktuell und ganz konkret helfen.