Euro-Krise Sparen, sparen, Spanien

Spaniens Ministerpräsident Zapatero, Kanzlerin Merkel: Erst Aufschwung, dann Krise
Foto: JUAN MEDINA/ REUTERSEinen solchen Alptraum hätte sich Eva Reina López vor ein paar Jahren nicht vorstellen können. Nach ihrem Abitur zog die Madrilenin in den Norden Spaniens, sie fing als Schweißerin bei einer Firma an, die Türme für Windkraftanlagen zusammenbaute. Es herrschte Aufbruchstimmung im Land, der Wohlstand wuchs und erfasste breite Bevölkerungsschichten. Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero erklärte, werde Deutschland beim Pro-Kopf-Einkommen wohl in "zwei, drei Jahren" überholen.
Heute, zwei, drei Jahre später, ist Reina, 21, arbeitslos, sie wohnt wieder in ihrem Kinderzimmer in Madrid bei ihrem verwitweten Vater. Das einstige Wirtschaftswunder hat sich als Blase entpuppt, das Wachstum basierte vor allem auf niedrigen Zinsen und einer irrwitzig florierenden Bauwirtschaft. Als die Blase im Zuge der Finanzkrise platzte, schnellte die Arbeitslosigkeit von acht auf 20 Prozent hoch.
Das Ausmaß der Krise bedroht nicht nur Familien wie die Reinas, sie ist eine Gefahr für die gesamte Europäische Währungsunion. Die Finanzmärkte spekulieren immer wieder darauf, dass das Land unter den europäischen Rettungsschirm flüchten muss.
Spanien wäre für den Rettungsschirm eine Nummer zu groß
Die Unsicherheit macht die Kreditaufnahme teuer, mehr als fünf Prozent Zinsen muss Spanien zahlen, wenn es an den Finanzmärkten frisches Kapital für seine Staatsgeschäfte beschaffen will.
Griechenland und Irland mussten schon die Hilfe anderer Euro-Länder in Anspruch nehmen, Portugal sperrt sich noch, gilt aber als nächster Kandidat. Und dann? Ist dann Schluss? Oder greift die auf den großen iberischen Nachbarn über?
Das wäre ein Alptraum. Spanien wäre eine Nummer zu groß für den 750-Milliarden-Euro-Rettungsschirm - die Euro-Krise geriete vollends außer Kontrolle. "Mit Spanien steht und fällt alles", sagt Commerzbank-Analyst Christoph Rieger.
Es ist deshalb ein ganz besonderer Besuch, den Bundeskanzlerin (CDU) an diesem Donnerstag dem spanischen Regierungschef Zapatero abstattet. Der deutschen Delegation gehören neben mehreren Bundesministern auch der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Michael Sommer, sowie Repräsentanten von großen Unternehmen wie Siemens , RWE und Telekom an. Sie sollen mit ihren spanischen Kollegen Erfahrungen austauschen, wie Deutschland Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise zu Beginn des Jahrtausends bewältigt hat.
Zügelloser Bauboom in den wilden Jahren
Guten Rat kann Zapatero brauchen. Der Sozialist hat schmerzhafte Sparmaßnahmen eingeleitet, er baut den Sozialstaat komplett um und zwingt die kriselnden Sparkassen des Landes zu radikalen Reformen. Trotzdem bleiben viele Händler in den internationalen Finanzmetropolen misstrauisch. Manche meiden Anleihen aus den kriselnden Peripheriestaaten der derzeit einfach generell. "Es ist schwer, einen Unterschied zwischen den einzelnen Ländern zu machen", sagt etwa David Scammell, Fondsmanager für europäische Anleihen bei der Londoner Vermögensverwaltung Schroders, die mehr als 200 Milliarden Euro betreut.
Es war ausgerechnet die Einführung des Euro, die den Grundstein legte für jene Entwicklung, die heute die gesamte Gemeinschaftswährung zu sprengen droht: Spanien kam mit einer zu niedrig bewerteten Peseta in die Union. Und die Zinsen, die sich fortan an der Entwicklung des gesamten Euro-Raums orientierten, waren für das Land viel zu niedrig.
Die Folge war ein zügelloser Bauboom: In den wilden Jahren entstanden in Spanien 800.000 Wohnungen jährlich, mehr als in Deutschland, Italien und Frankreich zusammen. Auch einfache Arbeiter waren in der Lage, Eigenheime zu erwerben und für jedes Kind eine Wohnung als Mitgift - oder einfach als Geldanlage. Die Immobilienpreise stiegen je nach Lage zwischen 150 und 300 Prozent.
Nicht nur an der zubetonierten Mittelmeerküste sind die Folgen allgegenwärtig. Rund um die Hauptstadt Madrid stehen halbfertige Geistersiedlungen, die geplant waren für Zehntausende Pendler, und in die bislang nur einige tausend Pioniere eingezogen sind.
Größenwahn und Brachialsanierung
Zwei Autobahnstunden von Madrid entfernt wurde mitten im Nirgendwo ein besonders surreales Projekt umgesetzt: Der erste Privatflughafen des Landes, konzipiert für mehr als zwei Millionen Fluggäste pro Jahr. Auf seinem vier Kilometer langen Rollfeld kann sogar der Riesenflieger A380 landen. Den braucht aber in der Ebene von La Mancha niemand. Durch die Abfertigungshalle des Airport mit ihren schimmernden Marmorböden und den protzigen Säulen laufen meist nur die Angestellten. Nur selten landet mal ein Flieger.
1,1 Milliarden Euro verschlang das Ende 2008 eingeweihte Prestigeobjekt. Die Betreibergesellschaft musste Konkurs anmelden. Und die Sparkasse Castilla La Mancha, einer der Kreditgeber, konnte nur mit Hilfe der Zentralbank gerettet werden.
Die Cajas, die etwa 50 Prozent des heimischen Finanzsektors ausmachen und wie regionale Fürstentümer geführt wurden, finanzierten solchen Irrsinn besonders freigiebig. Im ständigen Kampf um Marktanteile drängten sie Unternehmen und auch Privatkunden die Kredite geradezu auf.
Diese Schulden privater Kreditnehmer und vor allem die der darbenden Bauindustrie machen Ökonomen wie Luis Garicano von der London School of Economics nun Sorgen. Was, wenn immer mehr Kredite ausfallen? Die Summe der Risikokredite beziffert die spanische Zentralbank auf 180 Milliarden Euro. Doch die Händler an den internationalen Finanzmärkten bleiben argwöhnisch. "Problemkredite lassen sich verstecken", erklärt Garicano. Die Sparkassen können notleidende Immobilienkredite zu günstigen Konditionen refinanzieren - und müssen dies nicht veröffentlichen.
"Regierung und Banker müssen ihre Hausaufgaben machen"
Bislang hat der spanische Rettungsfonds FROB Hilfen in Höhe von elf Milliarden Euro an die Cajas verteilt. Ratingagenturen wie Moody's gehen fest davon aus, dass das nicht alles gewesen sein kann. Auch die Regierung macht Druck auf die Cajas: Bis September müssen bestimmte Eigenkapitalanforderungen erfüllt werden. Sonst droht die Verstaatlichung. Auf rund 20 Milliarden Euro beziffert die Regierung den zusätzlichen Kapitalbedarf der Probleminstitute. Analysten sind sehr viel pessimistischer - und sprechen von bis zu 120 Milliarden Euro.
Hohe Abschreibungen bei Banken und Sparkassen könnten letztlich auch den spanischen Staat überfordern. Regierung und Zentralbank wiegeln ab. Regierung und Banker müssten ihre Hausaufgaben machen, dann ließen sich auch die Finanzmärkte beruhigen, sagt ihr Chefökonom José Luis Malo de Molina. Aber kann ein Land wirklich in wenigen Monaten Reformen nachholen, die über Jahrzehnte verpasst wurden?
Spaniens Wirtschaft hat ein "Wettbewerbsproblem und ein Produktivitätsproblem", weiß auch Malo de Molina. Die Unternehmenslandschaft ist zersplittert: Ein Großteil der Unternehmen haben wenige Dutzend Mitarbeiter. Die Investitionen in Forschung und Entwicklung betragen gerade einmal 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Bevölkerung ist schlecht ausgebildet: Viele Jugendliche wollten während des Booms ähnlich wie die Madrilenin Reina lieber schnell Geld verdienen als studieren. Die Schulabbrecherquote liegt mit fast 35 Prozent doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt. Die Jugendarbeitslosigkeit ist ebenfalls doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt.
Sozialist Zapatero gibt den Brachialsanierer
Ein neuer "integrierter Plan zur Industriepolitik" soll Spanien nun wirtschaftlich ins 21. Jahrhundert katapultieren. Umwelt- und Medizintechnik, Pharmaindustrie und erneuerbare Energien sollen gefördert werden, heißt es in dem Regierungspapier. Aber wie soll das gehen ohne Geld?
Denn zurzeit muss die Regierung vor allem eins tun: sparen. "Die Märkte können brutal reagieren", sagt Schroders-Investor Scammell. Sie fordern Reformen, die sofort wirken. So gibt der Sozialist Zapatero seit einigen Monaten notgedrungen den Brachialsanierer. Er kappte die Beamten-Gehälter, verordnete Rentnern eine Nullrunde, kürzte die Hilfe für Langzeitarbeitslose.
Auch den Arbeitsmarkt hat die Regierung mittlerweile reformiert, das Rentenalter soll zudem von 65 auf 67 Jahre angehoben und die Tarifverhandlungen flexibilisiert werden. Trotz desaströser Umfragewerte scheint Zapatero entschlossen, seinen Kurs fortzusetzen - "was immer es koste", wie er gegenüber der "Financial Times" beteuerte.
Seinem Gast Merkel kann der Regierungschef am Donnerstag immerhin erste kleine Erfolge präsentieren. Die Chancen, das Haushaltsdefizit dieses Jahr auf die geplanten sechs Prozent zu drücken, stehen nicht schlecht. Auch die Bevölkerung scheint sich vom Schock des Immobiliencrashs langsam zu erholen: Der für die spanische Wirtschaft überlebenswichtige Binnenkonsum hat sich leicht erholt.
Und Merkel lobt ausdrücklich seine Bemühungen: "Ich glaube, dass in der letzten Zeit ganz Großartiges geleistet wurde, wichtige Reformen, die die Zukunft Spaniens in eine bessere Richtung lenken werden."
Für Eva und ihren Vater Juan Carlos Reina López gibt es immerhin Hoffnung: Die Madrilenin hat ab März einen Praktikumsplatz - und ihr Vater einen Job. Der Zulieferbetrieb, der ihn in der Krise entlassen hatte, stellte ihn wieder ein. Befristet zwar, aber immerhin: "Sie haben sich an mich erinnert", sagt er.