Euro-Krise Warum Europa den Schuldenschnitt braucht

Die Euro-Krise ist nur durch eine Radikalaktion zu bewältigen: Europa braucht eine große Umschuldungsaktion, bei der Gläubigerbanken auf Forderungen verzichten - doch die Regierenden häufen bizarrerweise lieber mehr Schulden an.
Von Wolfgang Kaden
Euro-Münze: Ist die Euro-Zone ein Schlaraffenland?

Euro-Münze: Ist die Euro-Zone ein Schlaraffenland?

Foto: Julian Stratenschulte/ dpa

Der Euro war bei den Deutschen noch nie populär. Doch seitdem droht, dass die Bundesrepublik für die Schuldensünden anderer europäischer Länder zahlen muss, haben die Gegner kräftig Zulauf bekommen.

Da wäre es für Angela Merkel hochwillkommen, wenn sie sich an der Heimatfront ein wenig Entlastung verschaffen könnte - durch das, was Fachleute "Gläubigerhaftung" nennen: Die bösen Buben von den Banken, die den klammen Euro-Staaten all das Geld geliehen haben, sollen mitbluten. Euro-Land solle nicht länger, so Merkel öffentlich, ein "Schlaraffenland" sein für die Geldhäuser, die hohe Zinsen für ihre Anleihen kassierten, ohne im Pleitefall mitzuhaften.

Es wird, wie bekannt, so nicht kommen. Wieder einmal hat Berlin sich in Brüssel nicht durchsetzen können, nicht gegen die vermeintlichen Freunde aus Frankreich und nicht gegen die übrigen Europäer. Nur im "Extremfall", bei einer regelrechten Insolvenz, sollen die Banken künftig mitzahlen. Bei schlichten Zahlungsschwierigkeiten sollen sie "ermutigt" werden, ihre Staatsanleihen doch länger zu halten. Ha, ha.

Mit dieser Entscheidung packt Europa weiterhin Neuschulden auf Altschulden, versinkt noch tiefer im Schuldensumpf, schiebt die unvermeidlichen Einschnitte in immer weitere Ferne - mit der Folge, dass der Crash dann umso härter ausfällt.

Staaten lassen sich nicht liquidieren

Es muss ja nicht erst umständlich ein "Insolvenzrecht für Staaten" gebastelt werden, wie es die Regierenden in Berlin monatelang bombastisch verlangt hatten. Was soll das überhaupt sein? Staaten sind keine Unternehmen. Wenn Letztere zahlungsunfähig geworden sind, dann werden sie nach einem Forderungsverzicht der Gläubiger entweder mit bereinigter Bilanz fortgeführt. Oder sie werden, wenn wirklich nichts mehr zu versilbern ist, "abgewickelt", wie es so schön heißt; sie finden also den Unternehmenstod.

Staaten aber lassen sich nicht liquidieren. Die Vermögenswerte eines Staats, anders als die Maschinen oder Grundstücke eines Unternehmens, können nicht zu Bargeld gemacht werden, was übrigens, da sind wir Deutschen ja gründlich, ausdrücklich in der deutschen Insolvenzordnung (Paragraf 12) festgehalten ist. "Ein Staat ist konkursunfähig", hat das Bundesverfassungsgericht einmal (1962) in einem Urteil festgehalten.

Es wird also auch in Euro-Land kein Insolvenzrecht für Staaten geben, das mit dem in der Wirtschaft vergleichbar wäre, selbst wenn alle Regierungen mitzögen. Worum es allein gehen kann, ist folgendes: Krisenländer müssen wieder wirtschaftlich leistungsfähig gemacht und ihre Schulden geordnet werden. Und dies, in der Tat, ist für etliche europäische Staaten unvermeidlich.

Warum scheuen die Europäer einen harten Schnitt?

"Restrukturierung" heißt eine solche Operation, und dies ist ein eingeübtes Verfahren. Seit 1956 gibt es den Pariser Club, eine beim französischen Finanzministerium angesiedelte Einrichtung ohne feste Regeln und ohne Satzung, in der staatliche Forderungen gegen zahlungsunfähige Staaten (aus Schwellenländern oder der Dritten Welt) verhandelt werden. 419 Umschuldungen für 88 Länder wurden dort bereits durchgezogen. Das Pendant für die Schulden privater Banken bei Staaten ist der Londoner Club.

In diesen Institutionen wird ausgehandelt, wie es weitergehen soll, wenn Regierungen nichts mehr in der Kasse haben. So geschehen beispielsweise Anfang dieses Jahrzehnts nach der De-facto-Pleite Argentiniens, davor bei der Asien- oder der Südamerika-Krise. Die Schuldnerländer verständigen sich, in meist mühsamen Verhandlungen, mit einer großen Schar von Gläubigern, ob und wie lange die Zinszahlungen ausgesetzt werden, wie weit die Rückzahlung verschoben wird ("Moratorium") oder ob - das Härteste, aber Klarste - der Rückzahlungsbetrag nicht um einen bestimmten Prozentsatz gekürzt werden soll ("Haircut").

Warum verständigten sich die Europäer nicht auf eine solche eingeübte Prozedur? Schließlich sind Griechenland oder Irland in keiner besseren Lage als es manch ein Schwellenland war, das sich in Paris oder London diesem unrühmlichen Verfahren unterwerfen musste. Warum scheuen die Regierungen diesen Schnitt selbst für Anleihen, die erst in Zukunft ausgegeben werden, bei denen also die Zeichner der Kredite genau wüssten, worauf sie sich einlassen? Warum laden sie stattdessen den taumelnden Euro-Mitgliedern mit ihrem europäischen Rettungsschirm von unvorstellbaren 750 Milliarden Euro noch weitere Schulden auf, Kredite, deren Rückzahlung völlig im Ungewissen bleibt?

Das Prinzip Hoffnung reicht nicht

Es geht den Politikern, wieder mal, um nichts anderes als um kurzatmige Krisenbewältigung. Da ist einmal die Angst, dass die angeschlagenen Länder im Fall einer Umschuldung von den Geldgebern gnadenlos abgestraft würden und auf unabsehbare Zeit überhaupt keine Kredite mehr erhielten. Oder aber, dass sie unbezahlbar hohe Zinsen akzeptieren müssten. Vor allem aber sorgen sich die Politiker um die heimischen Banken und Versicherungen, die haufenweise Anleihen des griechischen Staats oder der irischen Banken in den Tresoren haben und auf diese Kredite milliardenschwere Abschreibungen tätigen müssten.

Wertminderungen übrigens, die nicht nur die ach so schlimmen Spekulanten in den Bankentürmen treffen würden, sondern viele ganz gewöhnliche Bürger. Menschen wie du und ich, die ihre Spargelder in vermeintlich sichere Rentenfonds gesteckt, die Kapitallebensversicherungen abgeschlossen oder fürs Alter Geld in Pensionsfonds angelegt haben. All diese Kapitalsammelstellen investierten munter in irische, portugiesische oder griechische Anleihen. Und für diese Anlageentscheidungen muss man die Vermögensverwalter nicht mal tadeln.

Denn vor der großen Finanzkrise und vor dem Offenbarungseid der Griechen hat keiner an der Zahlungsfähigkeit dieser Kreditnehmer gezweifelt. Auch die Profis in den Banken und Versicherungen konnten nicht wissen, dass Athen die Defizitzahlen grob fälscht. Es gab für diese Papiere auch nicht, wie heute, ein Plus von fünf oder noch mehr Prozentpunkten gegenüber deutschen Staatsanleihen, sondern nur einen Aufschlag von einem oder zwei Prozentpunkten.

Die Schulden sind so hoch, dass keiner an pünktliche Rückzahlung glaubt

Die heimischen Banken also sollen nicht in neue Turbulenzen gestürzt werden, die eigenen Wahlbürger sollen vor direkten Verlusten verschont werden. Stattdessen setzen die Regierenden das Steuergeld ihrer Bürger ein, um den taumelnden Staaten neue Kredite zu reichen. "Zeit kaufen", sagen die Fachleute zu dieser Operation. Die Regierenden tun das in der Hoffnung, Griechenland und Co. würden in einigen Jahren, wenn sie sich wirtschaftlich erholt haben, in der Lage sein, das Geld zurück zu zahlen. Man könnte das Verfahren aber auch Konkursverschleppung nennen.

Das Prinzip Hoffnung wird jedenfalls nicht tragen. Die Schuldenberge der Griechen wie der Iren sind inzwischen so hoch, dass kein Fachmann mehr an eine pünktliche Zurückzahlung glaubt. Schon wurden ja, fast heimlich, die Kredite an die Griechen von zunächst drei Jahren auf siebeneinhalb Jahre verlängert. Wie auch anders?

Die Regierungen in Athen und Dublin sind derzeit dabei, auf Druck der Retter ihre Länder kaputt zu sparen. Die Kredite, die sie jetzt aus dem Euro-Fonds erhalten, sollen sie mit über fünf Prozent verzinsen, also mit weit mehr als Geberländer wie Deutschland ihren Gläubigern zahlen. Und sie sollen sie selbstverständlich zurückzahlen. "Womit eigentlich?", fragt ein deutscher Top-Banker, "Mit Oliven?". Die Iren nehmen, völlig absurd, in diesem Jahr Hilfskredite in Höhe eines Drittels ihrer Wirtschaftsleistung entgegen. In Griechenland steigen die Staatsschulden von derzeit rund 140 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf etwa 156 Prozent im Jahr 2012, trotz aller verzweifelten Budgetkürzungen, die das Land fast zerreißen.

"Die Rechnung liegt auf dem Tisch"

Gerade die Banker, die doch angeblich von einer allgemeinen Umschuldung und vor neuen Belastungen verschont werden sollen, bezweifeln, dass diese Strategie richtig ist. Andreas Schmitz, Präsident des Bankenverbands und Chef der Bank HSBC Trinkaus & Burkhardt, sagt: "Die Rechnung liegt auf dem Tisch. Sie ist bisher nur zwischenfinanziert. Wer sie am Ende bezahlt, ist offen." Auf die Frage, ob die Regierungen besser daran täten, die Gläubiger, also Banken und Versicherungen, mitzahlen zu lassen, sagt Schmitz: "Die privaten Banken sind grundsätzlich für ein solches Konzept."

In der Tat wäre es viel vernünftiger, die Regierungen würden mit den Banken zusammen Umschuldungspakete für die einzelnen Länder aushandeln. Dafür gibt es eingeübte Verfahren, dazu bedarf es nicht erst eines neuen Regelwerks. Wenn durch einen solchen Haircut einzelne Geldhäuser aus den Geberländern so sehr belastet würden, dass ihnen der Bankrott droht, dann müssen die eben dichtgemacht werden. Bei jenen Banken, die nicht pleitegehen dürfen, weil ihr Exitus das gesamte Finanzsystem wieder ins Wanken brächte, müsste der Staat Kapital zuschießen und entsprechende Eigentumsrechte erwerben.

Auch keine schöne Perspektive, fürwahr, aber eine Lösung, die die europäischen Schuldenprobleme nicht nur in die Zukunft verschiebt, sondern hier und heute für eine Bereinigung sorgt. Statt der jetzt praktizierten Umwegfinanzierung mit immer neuen Schulden - schon ist ja eine Erhöhung und zeitliche Streckung des europäischen Hilfsfonds im Gespräch - sollte die Rechnung jetzt voll beglichen werden. Auch als Lehre für die Zukunft, da hat Angela Merkel recht, dass die Geldgeber und nicht (nur) die Steuerzahler haften, wenn ein Kredit faul geworden ist.

Es gibt Aussicht, die Vertrauenskrise zu beenden

Gegen eine solche Operation spricht auch nicht, dass dann die Schuldenländer auf absehbare Zeit gar keine Kredite mehr auf den Finanzmärkten aufnehmen könnten oder zumindest abenteuerlich hohe Zinsen zahlen müssten. Diese Befürchtung ist offenkundig der Grund, warum die Mehrheit der Verantwortlichen in den Euro-Ländern gegen eine Umschuldung votiert.

Schon jetzt ist jedoch der Abstand zwischen dem, was solidere Regierungen und dem, was die Wackelkandidaten an Zinsen zahlen müssen, auf Rekordhöhe. Und das, obwohl Europas Finanzpolitiker beschwören, dass all diese Forderungen voll eingelöst würden. Und obwohl die Europäische Zentralbank fleißig Anleihen aufkauft, der schwerste Sündenfall überhaupt, dem Gelddrucken gleich. Das Misstrauen der Finanzprofis ist riesig, und da interessiert auch nicht, ob das berechtigt oder unberechtigt ist.

Wenn klarer Tisch gemacht, wenn umgeschuldet würde unter Beteiligung der privaten Geldgeber, bestünde gute Aussicht, diese Vertrauenskrise zu beenden. Und dann könnte der Euro - vorausgesetzt die Regierungen hören endlich mit ihrer unsäglichen Schuldenwirtschaft auf - auch wieder jenes Ansehen bekommen, das er braucht.

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