Immobilien und Staatsschulden Was droht, wenn die Zinsen wieder auf fünf Prozent steigen

Baustelle in Hamburg
Foto: Christian Charisius/ picture alliance / Christian ChaViele Deutsche sind genervt: Die Wirtschaft floriert, die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie nie - doch die Europäische Zentralbank (EZB) will partout den Sparern nicht das gönnen, was sie so gerne hätten: Zinsen auf Erspartes.
Seit Jahren ist die Geldpolitik der Zentralbank ultralax: Der Leitzins liegt mittlerweile bei null, zudem kauft die EZB jeden Monat Anleihen auf - insgesamt schon etwa zwei Billionen Euro. Zuletzt hatte es Anzeichen für eine baldige Wende gegeben. Denn die Konjunktur ist stark - und damit zieht die Inflation wieder an.
Bald, so die Hoffnung, könnte deshalb auch die EZB die Zinsen wieder erhöhen. Damit die Inflation nicht zu sehr zunimmt. Die nächste Gelegenheit dazu hat die Bank bei der Ratssitzung an diesem Donnerstag. Dass es spätestens im nächsten Jahr wieder leicht aufwärts gehen könnte bei den Zinsen, glauben inzwischen viele Experten - aber wie weit eigentlich?
Wären hohe Zinsen überhaupt vorstellbar? Analysten des Flossbach von Storch Research Institutes haben ausgerechnet was passieren würde, wenn die Zinsen im Jahr 2025 wieder auf dem Niveau von 2008 wären. Also auf einem Niveau von etwa fünf Prozent, so wie vor der Finanzkrise.
Staaten könnten Schulden nicht mehr bedienen
Staaten wären von höheren Zinsen, so die Flossbach-Analysten, sofort und direkt betroffen. Denn in den Jahren nach der Finanzkrise haben viele Länder hohe Schulden angehäuft und zahlen sie nur äußerst langsam ab. Die Zinsausgaben als Anteil des Staatshaushalts befinden sich auf Tiefständen. In der Eurozone werden durchschnittlich gerade einmal neun Prozent der Staatseinnahmen aufgewendet, um Zinsen zu bedienen.
Höhere Zinsen hätten deshalb teure Folgen für viele Staaten, insbesondere die Euro-Südländer. Sie könnten ihre Schulden vermutlich kaum mehr finanzieren.
Das zeigt das Beispiel Italien: Dort liegt die Durchschnittsverzinsung der ausstehenden Staatsschulden bei drei Prozent, je nach Laufzeit der Anleihe variieren sie stark. Müsste sich Italien fortan zu einem Zins von durchschnittlich fünf Prozent finanzieren, könnte die Zinslast bereits in 2025 bei mehr als 100 Milliarden Euro liegen. Das wäre Im Vergleich zur heutigen Schuldenlast ein Anstieg von etwa 50 Prozent. Ein Horrorszenario, die Schuldenkrise im Euroraum wäre zurück.
Aber auch für ein vergleichsweise gering verschuldetes Land wie Deutschland könnten signifikant höhere Zinszahlungen schnell zum Problem werden. Ein Anstieg der Zinsen auf Bundesschulden auf vier Prozent würde Mehrausgaben von bis zu etwa 20 Milliarden Euro pro Jahr für den deutschen Haushalt bedeuten. Das entspricht etwa der Summe, die pro Jahr für das Außen-, das Innen- und das Landwirtschaftsministerium vorgesehen sind.
"Höhere Zinsen können nur dann gezahlt werden, wenn Verschuldung abgebaut wird, oder wenn Geld an anderer Stelle eingespart wird", schreiben die Autoren der Studie. Doch gibt der Staat weniger aus, kann das die Gesamtwirtschaft bisweilen dämpfen: Sinken etwa Zahlungen an Rentner oder Familien, konsumieren sie oft weniger.
Der Studie zufolge sind höhere Zinsen zumindest in Europa deshalb nicht mehr so einfach machbar. Dass die Zinsen noch einmal das Niveau aus der Zeit vor der Finanzkrise erreichen, könne man deshalb "abhaken", sagte jüngst Bert Flossbach, Mitgründer und Vorstand des Vermögenverwalters Flossbach von Storch, im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Das ist vorbei."
Haushalte könnten Immobilienkredite nicht mehr bedienen
Auch die Immobilienmärkte könnten bei einem Zinsanstieg kollabieren. Auf Haus- und Wohnungsbesitzer kämen extreme Mehrkosten zu. Auch das zeigt eine Beispielrechnung: Ein Privathaushalt mit einem monatlichen Nettoeinkommen von 3.314 Euro zahlt beim derzeitigen Zinsniveau für ein Immobiliendarlehen in Höhe von 400.000 monatlich eine Rate von 1.1667 Euro, was etwa 35 Prozent des Haushaltseinkommens entspricht.
Würden die Zinsen nun auf höhere Niveaus ansteigen, müsste der Haushalt plötzlich etwa 70 Prozent seines monatlichen Nettoeinkommens für Tilgungen aufwenden (siehe Grafik), "Das wäre für den Haushalt kaum tragbar, sodass er in diesem Fall überhaupt keinen Bankkredit erhalten dürfte", schreiben die Flossbach-Experten. Und so könnte es vielen Haushalten ergehen.
Die Folge: Hauspreise müssten fallen, damit der Haushalt exakt die gleiche Monatsrate stemmen könnte. Steigt der Kreditzins für den Haushalt also von 1,5 auf fünf Prozent an, müsste der Kaufpreis um 40 Prozent fallen. Ein drastischer Einbruch der Immobilienmärkte.
Die Flossbach-Experten kommen in ihrer Analyse zum Schluss, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass die EZB bald die Zinsen spürbar anhebt. "Nicht nur die Staatshaushalte würden unter der Schuldenlast ächzen, auch Privathaushalte würden weniger konsumieren und Unternehmen ihre Investitionspläne zusammenstreichen", schreiben sie.
Ein Ausweg wäre nur in Sicht, wenn sich der wirtschaftliche Aufschwung fortsetzt. Höhere Wachstumsraten ließen die staatlichen Steuereinnahmen dann so stark steigen, wodurch die hohen Schulden womöglich auch bei steigenden Zinsen bedient werden könnten.

