S.P.O.N. - Die Spur des Geldes Schäubles Europa ist brandgefährlich

Finanzminister Schäuble: Ein Europa nach deutschen Regeln
Foto: EMMANUEL DUNAND/ AFPWird der Euro überleben? Und wie soll Europa künftig aussehen? Angefeuert von der Griechenlandkrise ist das Thema so aktuell wie selten zuvor. Doch es ist zugleich auch so komplex, dass es wichtig ist, die verschiedenen Standpunkte klar zu machen. Das will ich in den kommenden Kolumnen in einer Serie versuchen.
Von den unterschiedlichen Positionen sind meines Erachtens fünf einer Diskussion würdig. Die erste davon ist die von Wolfgang Schäuble. Ich fange damit an, weil man Schäubles Ideen jetzt schon diskutiert. Um es vorweg zu sagen: Es ist nicht meine Vorstellung von Europa.
Mir geht es aber vor allem darum, die Positionen zunächst einmal voneinander zu trennen. Denn der Föderalismus von Wolfgang Schäuble ist ein radikal anderer als der Föderalismus eines Guy Verhofstadt, des ehemaligen belgischen Premierministers, der im Europäischen Parlament die Fraktion der Liberalen anführt.
Das entscheidende Merkmal von Schäubles Europa ist das eines konvergierenden Kerns. Da Deutschland das wirtschaftlich wichtigste und größte Land im Euroraum ist, bedeutet Konvergenz in diesem Fall, dass sich alle anderen Staaten Deutschland annähern. Hier geht es nicht allein um Haushaltsregeln, die für alle gelten, sondern auch um die Konvergenz in der Privatwirtschaft.
Die deutsche Volkswirtschaft verbucht strukturell hohe Überschüsse in der Leistungsbilanz - dieses Jahr sind es etwa acht Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts. Das ist extrem viel. Der Überschuss in der Leistungsbilanz setzt sich aus der Summe der Überschüsse im Haushalt und der Überschüsse im Privatsektor zusammen. Und das wiederum ist ungefähr deckungsgleich mit dem Handelsüberschuss, also dem, was die Wirtschaft mehr exportiert als importiert. Die idealen Partner für Deutschland in einer Währungsunion wären andere exportorientierte Staaten, wie etwa die Niederlande.
Von dieser Art von Staaten gibt es in Europa allerdings nicht viele - in der Eurozone sind es vielleicht fünf oder sechs der insgesamt 19 Mitgliedstaaten. Frankreich gehört eigentlich nicht dazu, wäre dennoch Teil von Schäubles Kern, allein aus politischen Gründen. Ob Italien dazu gehört, ist unklar.
Ein europäischer Finanzminister
Schäubles Vision von Europa hat durchaus föderale Strukturen. Wie der SPIEGEL in dieser Woche berichtet, ist der deutsche Finanzminister der Idee eines europäischen Finanzministers und eines europäischen Haushalts nicht grundsätzlich abgeneigt.
Aber das Ziel einer solchen Struktur ist für Schäuble nicht etwa eine demokratisch legitimierte Wirtschaftspolitik, sondern der Zwang zur Einhaltung von Regeln. Schäuble will den deutschen Einfluss nicht etwa einer europäischen Ebene unterordnen, sondern genau das Gegenteil. Er will einen europäischen Finanzminister, der die deutsche Politik fortsetzt.
Und er will vor allem keine Macht an eine Institution abgeben, die am Ende Deutschland dazu zwingt, seine Überschüsse abzubauen. Denn würde ein europäischer Finanzminister von Deutschland jemals eine ausgeglichene Leistungsbilanz einfordern, müsste der Bundesfinanzminister die Steuern massiv senken und Schulden aufnehmen.
Kann Schäubles Plan funktionieren? Ökonomisch ist eine Konvergenz in Richtung eines strukturellen Überschusses brandgefährlich. Der Euroraum ist die zweitgrößte Währungszone der Welt. Wenn der gesamte Euroraum einen ähnlich hohen Überschuss erzielen würde wie Deutschland, dann bestünde eine hochgradige Gefahr für die Weltwirtschaft.
Denn dann müsste der Rest der Welt ein Defizit in der exakt gleichen Höhe aufweisen - schließlich addieren sich Überschüsse und Defizite global auf Null. Wir wissen aber von den Krisen der vergangen zehn Jahre, welche Folgen es hat, wenn derartige Ungleichgewichte entstehen, dass einige Staaten hohe Überschüsse und andere hohe Defizite einfahren.
Ein weiteres ökonomisches Problem wären die gewaltigen Strukturänderungen, die notwendig wären, um etwa aus einem Land wie Italien eine deutsche Wirtschaftsregion zu machen. Wirtschaft und Gesellschaft sind im Euroraum zu unterschiedlich, als dass sie sich strukturell vereinheitlichen lassen - zumindest nicht ohne massive Transferzahlungen.
Kann es politisch funktionieren? Kurzfristig vielleicht, wenn die eher konservativ geprägten sozialdemokratischen Regierungen in Paris und Rom ein schäublesches Europa als die bessere von zwei schlechten Alternativen betrachten. Die andere Variante ist nämlich Angela Merkels Europa, ein Europa des Aufschubs, der ewigen Krisen und der Nachtsitzungen des Europäischen Rats.
Langfristig wird das Schäuble-Europa aber auf politischen Widerstand stoßen. Denn in einem solchen Konstrukt wäre nicht nur, wie bisher, die Geldpolitik, sondern auch noch die Haushaltspolitik der demokratischen Kontrolle weitgehend entzogen. Diese Entdemokratisierung der Wirtschaftspolitik wird eine brutale Gegenreaktion hervorrufen. Die Anfänge dessen, was sich da abzeichnet, sehen wir jetzt schon in der Stärke des Front National in Frankreich und der Fünf-Sterne-Bewegung in Italien.
Nächste Woche lesen Sie in Teil zwei der Serie: Eine echte Föderation in einem Europa der zwei Geschwindigkeiten.
