Thomas Fricke

Explodierende Preise für Strom, Gas und Öl Der trügerische Charme der grünen Inflation

Thomas Fricke
Eine Kolumne von Thomas Fricke
Sind sprunghaft steigende Energiepreise unausweichlich, wenn wir das Klima retten wollen? Klar, sagen Ökonomen. Doch dahinter steckt ein gefährliches Kalkül.
Foto: Karl-Josef Hildenbrand / dpa

Es muss zum deutschen Wesen gehören. Wenn der Internationale Währungsfonds IWF oder führende Forschungsinstitute in Deutschland verkünden, dass die Wirtschaft schwächelt und es deshalb Zigtausend weniger Jobs im Land geben wird, hält sich die Aufregung in Grenzen. Auch neue Zahlen zum rasanten Artensterben scheinen jetzt nicht gerade große Gemütsschübe mit sich zu führen.

Nur, wehe, wenn in Deutschland mal ein paar Monate die ausgewiesene Inflationsrate höher ist – selbst wenn dahinter offenbar vorübergehende Faktoren stecken. Dann laufen viele Köpfe rot an, stufen eifrige Küchenkommentatoren all jene Ökonomen zu Halunken herunter, die beim Panik machen nicht mitmachen. Fakten scheinen dann auch nicht mehr so wichtig.

Was stimmt: Inflation trifft gerade jene Leute, die nicht so viel Geld haben. Weniger nachvollziehbar ist allerdings der Hang des einen oder anderen Untergangspropheten, jetzt schon das neue Inflationszeitalter aufziehen zu sehen. Ach, das Ende der Währung. Oder darüber zu sinnieren, dass das jetzt halt so ist, wenn man das Klima retten will. Ein Problem durch ein anderes bekämpfen? Klingt jetzt auch nicht optimal.

Dabei ist die Frage, ob derartige Preisschübe wie jetzt wirklich so gut fürs Klima sind – und wir die Inflation zur Erhaltung unserer Art einfach brauchen. Und es deshalb auch schlecht wäre, drastische Preissteigerungen zu verhindern oder durch staatliches Geld auszugleichen, wie es die Sachverständige Veronika Grimm mal eben in Widerspruch zu entsprechenden Versuchen in Spanien und Italien ausgegeben hat.

Zu bitter-schön, um wahr zu sein

Richtig ist, dass ein nennenswerter Teil der Teuerung derzeit von höheren Energiepreisen kommt – ob durch die neue CO₂-Steuer auf Kraftstoffe und Heizen seit Januar (ohne Energie dürfte die Inflation dieses Jahr knapp über zwei Prozent liegen, kein Drama); oder durch stark steigende Kurse von Öl, Gas und Kohle sowie überhaupt dem CO₂-Preis, wie er im Europäischen Handelssystem durch Angebot und Nachfrage ermittelt wird. All das sollte in der technokratischen Modellwelt handelsüblicher Ökonomiedeuter dazu führen, dass die Leute dann auch weniger (fossile) Energie brauchen – gut fürs Klima also.

Zu bitter-schön, um wahr zu sein? Gegen den märchenhaften Wundereffekt solcher Inflation spricht, dass es für die Umstellung der Wirtschaft nach aller Erfahrung wichtig ist, mit stetig steigenden Preisen auf CO₂-Ausstoß kalkulieren zu können – um Produktion und Produkte strategisch umzustellen.

Was derzeit an den Märkten passiert, ist in etwa das Gegenteil von stetig. Der Preis für ein Fass Öl hat sich in einem Jahr gut verdoppelt. Allein seit Mitte August sind die Kurse für Energie an den Rohstoffmärkten um ein Drittel gestiegen. Irre. Das ist mit fundamental-realen Gründen nicht zu erklären. Dahinter stecken mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur die viel zitierten coronabedingten Engpässe bei der Lieferung (was an sich auch nur vorübergehend ist). Sondern zu einem nennenswerten Teil Spekulation, wie die Pariser Ökonomin und Finanzmarktspezialistin Véronique Riches-Flores sagt. Da gibt es irre Herdentriebe, und da nutzt der eine oder andere einen Trend, um sich reich zu spekulieren.

Durch reale Bewegungen bei Angebot und Nachfrage ist auch nicht erklärbar, warum sich die CO₂-Preise im Europäischen Emissionshandel seit dem Coronafrühjahr 2020 mal eben verdreifacht haben. Kuriosum: Seither poltern auch Lobbys der Industrie gegen entsprechend gefährlich steigende Kosten, die sonst immer auf marktwirtschaftlichen Klimaschutz schwören. So ist das halt mit dem Markt. So ist das, wenn Märkte mit virtuellen Werten im Unsicheren handeln. Da wird dann auf politische Events spekuliert.

Das Dilemma: solche Preissprünge machen eine planbare Umstellung der Wirtschaft schwierig. Schlimmer noch: wenn Finanzmärkte die Preise derart hochtreiben und dahinter Herdentriebe stecken, steigt mit jedem weiteren Hoch die Wahrscheinlichkeit, dass die (im Börsensprech) Rallye ebenso abrupt endet, der Trend dann kippt – und die Kurse kollabieren. So wie das alle paar Jahre passiert. Da reicht dann eine Krise XY – schon purzelt der Ölpreis auch mal wieder auf 30 Dollar. Schön für Verbraucher. Nicht so schön für alle, die das Klima über hohe Energiepreise zu retten versuchen.

Das Phänomen der Corona-Ökonomie

Zurzeit scheint hinter etlichen Preisschüben das globale Phänomen zu stecken, dass in Immernoch-Coronazeiten mancherorts schon wieder viel gekauft wird, es andernorts aber noch Lockdown gibt – und die Produktion deshalb nicht hinterherkommt. Wenn das stimmt, spricht alles dafür, dass auch dieser akute Preistreiber abrupt zu wirken aufhört, wenn die Krise endlich überwunden ist. Auch, wenn das noch eine Weile dauern kann. Hier wirkt die Spekulation ebenfalls mit: Für Industrierohstoffe purzeln die Kurse seit Wochen schon wieder ähnlich rapide, wie sie vorher hochgeschnellt sind.

Ob der Kampf gegen den Klimawandel überhaupt zu dauerhaft mehr Inflation führen muss, ist ohnehin nicht so sicher. Zwar gibt es Schätzungen, wonach die Teuerung zur Rettung des Planeten jährlich einen halben Prozentpunkt höher ausfallen könnte als jetzt. Gegen einen solchen Effekt sprechen allerdings jüngste Studien von Beatrice Weder di Mauro. Die Genfer Ökonomin wertete etliche Fälle aus, bei denen Regierungen während der vergangenen drei Jahrzehnte in Europa und Kanada CO₂-Steuern anhoben – und prüfte, ob es danach jeweils zu Inflation kam. Und siehe da: Die Teuerungsraten fielen in aller Regel nicht höher aus – eher sogar niedriger.

Was erstaunlich wirkt, ist womöglich aufzulösen. Zum einen sind hohe CO₂-Abgaben ja kein Selbstzweck, sondern sollen dazu führen, dass die Leute dann stattdessen CO2-ärmere Dinge kaufen oder machen, die entsprechend günstiger sind. Noch ist etwa beim Autokauf die Alternative eines Elektromobils teurer. Schon jetzt ist aber absehbar, dass die Preise mit steigenden Verkäufen und höherer Produktion fallen. Erneuerbare Energien sind auf Dauer ohnehin günstiger. Also kein Grund zu Inflationsangst.

Zum anderen, so Weder di Mauro, scheint in den untersuchten Fällen steigender CO₂-Steuern ein weniger schönes Phänomen gewirkt zu haben: Die höheren Kosten haben erst einmal dazu geführt, dass die Leute weniger reales Einkommen hatten und konsumieren konnten – was rein ökonomisch zu entsprechend weniger Nachfrage in der Wirtschaft und am Ende zu weniger Inflation führt. So gingen höhere Energiepreise mit niedrigeren Preisen für andere Güter und Dienstleistungen einher. Per Saldo sei der Effekt höherer CO₂-Steuern so oft eher deflationär gewesen, so die Ökonomin. Auch nicht gut.

Genau hier liegt das womöglich größte Problem: So eine Kosten-fürs-Klima-Logik klingt zwar in der Theorie prima, in der realpolitischen Praxis ist sie aber schwer durchzuhalten. Dafür muss man nur das aktuelle deutsche Gezeter wirken lassen. Man will gar nicht wissen, wie die »Bild«-Zeitung und andere Inflations- und Untergangs-Apologeten wüten, wenn die CO₂-Steuern so richtig steigen. So wie die CO₂-Preise für die Industrie.

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Das kann man politisch durch die schönsten Kompensationen auszugleichen versuchen – in der Praxis wird immer ein Populist dazwischengehen. Und auch das Ausgleichen ist nicht trivial. Zumal die Preise an der Tanksäule so viel sichtbarer und spürbarer sind als, sagen wir, ein Plus oder Minus bei der EEG-Umlage, die im Zahlensalat der Stromrechnung untergeht. Das wird mühsam. Und die Zeit ist knapp.

Das Gezeter dieser Wochen bestätigt eher die Zweifel, ob das mit den hohen CO₂-Preisen als »zentrales Leitinstrument« (Wirtschaftsweise Grimm) überhaupt so eine gute Idee ist. Die Chouchou-Idee der althergebrachten Ökonomie droht an der politisch-gesellschaftlichen Realität früher oder später zu scheitern. Da ist auch der hehre Appell müßig, dass bitte die Spanier und Italiener doch jetzt nicht per Dekret und Subvention für Abfederung der Preisschübe sorgen sollten. Was andernfalls passiert, haben die Franzosen mit den Gelbwesten-Protesten erlebt. Das hat Frankreichs Klimapolitik um Jahre zurückgeworfen.

Es ergibt Sinn und ist politisch sicher machbar, alles allmählich teurer werden zu lassen, was die Klimakrise zu verschärfen droht. Dabei auf spekulative Höhenflüge an den Energiemärkten oder eine schön gedachte Klimainflation für Autofahrer und Wohnende zu setzen, könnte am Ende mehr schaden als nutzen. Da braucht es mehr positive Anreize und öffentliche Investitionen. Anderes Thema. Fortsetzung folgt.

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