EZB-Bericht Finanzsystem gefährdet wie zu schlimmsten Lehman-Zeiten

Die Pleite der Investmentbank Lehman löste 2008 einen weltweiten Schock aus. Jetzt schlägt die EZB Alarm: Nach ihrer Einschätzung ist die Finanzstabilität im Euro-Raum so stark gefährdet wie seit damals nicht mehr. Die Probleme haben sich demnach zu einer systemischen Krise ausgeweitet.
Euro-Skulptur und Occupy-Zelte vor der EZB: "Risiken haben beträchtlich zugenommen"

Euro-Skulptur und Occupy-Zelte vor der EZB: "Risiken haben beträchtlich zugenommen"

Foto: dapd

Frankfurt am Main - So deutlich hat man es von den Währungshütern lange nicht gehört: Die Stabilität des gesamten Finanzsystems der europäischen Währungsunion sei in Gefahr, schreibt die Europäische Zentralbank (EZB) in ihrem halbjährlichen Bericht zur Finanzmarktstabilität. "Die Risiken für die Finanzstabilität der Euro-Zone haben in der zweiten Hälfte 2011 beträchtlich zugenommen", heißt es dort. Die Wahrscheinlichkeit, dass Großbanken zusammenbrechen, sei zuletzt gestiegen.

Als Ursache nennen die Notenbanker eine gefährliche Mischung von vier Risikofaktoren:

  • Immer mehr Staaten stecken sich in der Schuldenkrise gegenseitig an, während die Finanzmärkte den öffentlichen Haushalten misstrauen.
  • Die Geldversorgung wird für die privaten Banken in der Euro-Zone immer schwieriger.
  • Die Konjunkturperspektiven verschlechtern sich, während sich die Kreditausfallrisiken der Banken erhöhen.
  • Das Ungleichgewicht der weltweit größten Volkswirtschaften und das Risiko eines scharfen globalen Abschwungs.

Diese Mischung sei hochexplosiv, schreibt die EZB: "Unter dem Strich hat sich die Übertragung von Anspannungen zwischen Ländern quer durch den Bankensektor und zwischen diesen Bereichen so stark intensiviert, dass die Krise systemische Ausmaße erreicht hat, wie sie seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers nicht mehr beobachtet wurden."

Die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 hatte einen weltweiten Schock ausgelöst. Staaten und Notenbanken pumpten in der Folge Milliarden in die Märkte, um den Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern.

EZB kritisiert Politik

Weil sich viele Banken nicht mehr refinanzieren können, könne sich die Lage verschlimmern, warnen die Währungshüter. Denn die Schwankungen an den Märkten und der Rückzug vieler US-Geldmarktfonds aus Europa mit Folgen für die Dollar-Versorgung seien weiter problematisch. Um den Banken zu helfen, hatte der EZB-Rat zuletzt beschlossen, seine Liquiditätshilfen für die Institute massiv auszuweiten.

In dem Bericht kritisieren die Notenbanker vor allem die Politik: Sie habe durch ihre langsame und zögerliche Antwort auf die Krise die Probleme noch verschlimmert: "Ein holpriger Ratifizierungsprozess scheint zu der zusätzlichen Unsicherheit der Finanzmärkte beigetragen zu haben." Gemeint sein dürfte vor allem die Umsetzung früherer Gipfelbeschlüsse.

Bei ihrem letzten Treffen Anfang des Monats hatten die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder unter anderem beschlossen, die Mittel des Internationalen Währungsfonds (IWF) um 200 Milliarden Euro aufzustocken. Zudem soll der dann dauerhafte Euro-Krisenmechanismus ESM um ein Jahr auf Mitte 2012 vorgezogen werden.

Zugleich hatten viele Regierungen die EZB dazu aufgefordert, stärker einzugreifen - in Form unbegrenzter Ankäufe von Staatsanleihen der Krisenländer. Die EZB weigert sich bisher standhaft, mehr Bonds zu kaufen, obwohl mit Italien und Spanien auch die dritt- und viertgrößten Volkswirtschaften der Euro-Zone in den Fokus der Märkte gerückt sind.

nck/Reuters/dpa
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