EZB-Chef Trichet hält "Vereinigte Staaten von Europa" für möglich

EZB-Präsident Jean-Claude Trichet: "Ich spreche jetzt als Bürger Europas"
Foto: dapdHamburg - Jean-Claude Trichet hält "Vereinigte Staaten von Europa" für möglich. Die Völker Europas müssten entscheiden, ob es einen vollständigen Zusammenschluss gebe oder nicht, sagte der EZB-Präsident der Wochenzeitung "Die Zeit". Davon sei die EU aber derzeit noch weit entfernt. Auf die Frage, ob er selbst einen solchen Staatenverbund anstrebe, sagte er: "Ich spreche jetzt als Bürger Europas und nicht als Präsident der Europäischen Zentralbank. Ich bin davon überzeugt, dass wir weiter gehen sollten als geplant."
Auch in Deutschland gebe es seiner Meinung nach eine Mehrheit für mehr Europa: "Ich bin sehr viel in Deutschland unterwegs. Mein Eindruck ist: Die erste Reaktion mag skeptisch sein, aber letztlich ist allen bewusst, wie wichtig unser historisches Projekt ist", sagte Trichet.
Den Rückzug von Bundesbankpräsident nahm Trichet laut "Zeit" gelassen auf. "Das ist Axels persönliche Entscheidung, die ich respektiere. Wir haben über viele Jahre hinweg an zahlreichen Themen erfolgreich zusammengearbeitet." Seit der heftigen Kritik Webers an der von Trichet verantworteten Entscheidung, Staatsanleihen von kriselnden Euro-Ländern zu kaufen, gilt das Verhältnis der beiden als zerrüttet.
Mit seinem Rücktritt hat Weber in jedem Fall Angela Merkel düpiert. Nun wurde ein weiteres Detail des unrühmlichen Abgangs bekannt: Bevor Weber die Kanzlerin informierte, soll er beim bereits über seine Zukunftspläne geplaudert haben. Das schreibt zumindest der amerikanische Ökonom Nouriel Roubini in seinem Blog. Seit seiner Vorhersage der Finanzkrise ist Roubini auch als "Dr. Doom" bekannt. Der Bundesbankchef habe ihm klar gesagt, er werde sich nicht um die Trichet-Nachfolge bewerben und stattdessen in die Privatwirtschaft wechseln.
Lob für Merkels Wettbewerbspakt
Nach Webers Verzicht gelten der Italiener Mario Draghi und der Luxemburger Yves Mersch als Favoriten für den EZB-Chefposten. Trichet, der noch bis Herbst im Amt sein wird, forderte die EU-Länder nun zu einer engeren Zusammenarbeit in der Wirtschaftspolitik auf: "Es muss hier dramatische Veränderungen geben. Das ist die Lehre aus dieser Krise." Vor dem Ausbruch hätten die Regierungen gedacht, sie könnten eine Politik der 'wohlwollenden Vernachlässigung', betreiben. Jetzt ist klar, dass dies nicht mehr geht", sagte Trichet der "Zeit".
Der deutsch-französische Vorschlag eines "Pakts für mehr Wettbewerbsfähigkeit" könne sich als ein Schritt in die richtige Richtung erweisen. "Aktuell wissen wir noch nicht, was dieser Pakt genau beinhaltet. Wenn er darauf abzielt, das Funktionieren der Wirtschaftsunion durch mehr Koordinierung und Integration zu verbessern, dann werden wir ihn unterstützen", sagte Trichet dem Blatt.
Die Euro-Staaten müssten ihre Politik laut Trichet an den Gesetzmäßigkeiten einer Währungsunion ausrichten, in der es keine nationale Geldpolitik mehr gebe. "Wenn ein Land einen Boom erlebt, muss es seine eigene nationale Politik restriktiver gestalten, damit die Wirtschaft nicht überhitzt oder die Spekulation außer Kontrolle gerät."
"Wir brauchen Anreize für Landwirtschaft in Afrika"
Trichet forderte die Staaten der G20 auf, gegen die steigenden Preise für vorzugehen. "Die Bevölkerungen von großen aufstrebenden Volkswirtschaften ändern ihr Konsumverhalten, das treibt die Nahrungsmittelpreise in die Höhe. Gut möglich, dass dieser Anstieg noch einige Zeit weitergeht", sagte der EZB-Chef. Dieses Problem könne jedoch gelöst werden. "Zugleich gibt es in Afrika immense Flächen, die landwirtschaftlich genutzt werden könnten. Wir brauchen hierzu die richtigen Anreize für die dortigen Bauern."
Die Notenbanken allein könnten den Anstieg der Nahrungsmittelpreise nicht in den Griff bekommen, sagte Trichet. Ihre Aufgabe sei es nur zu verhindern, dass ein Anstieg der Rohstoffpreise und höhere Lohnforderungen eine Inflationsspirale auslösten. Mit der Krisenpolitik der Notenbanken habe der jüngst gestiegene globale Preisdruck nichts zu tun. Dieser sei die "Folge der rasanten wirtschaftlichen Erholung in den aufstrebenden Volkswirtschaften".