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Karlsruhe: Historische Euro-Verhandlung

Foto: Uli Deck/ dpa

Verhandlung über Euro-Rettung Verfassungsrichter zweifeln an EZB-Programm

Eine historische Verhandlung: Das Verfassungsgericht soll über das Anleiheprogramm der EZB entscheiden - und damit über den Kern der Euro-Rettungspolitik. Schon am ersten Tag zeigen die Richter Zweifel an der Rechtmäßigkeit - doch sie ringen auch mit der Frage, ob sie das überhaupt etwas angeht.

Nach einer Stunde zieht Jörg Asmussen beide Mundwinkel nach oben. Es ist eine dieser unzähligen Nachfragen der Verfassungsrichter, die dem Direktor der Europäischen Zentralbank ein kurzes Schmunzeln entlockt. "Herr Asmussen, Sie können noch lächeln", sagt Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. "Das beruhigt uns sehr."

Es sind schwere Minuten für Asmussen. Er muss vor Deutschlands höchstem Gericht ein Programm verteidigen, das ökonomisch zwar erwiesenermaßen erfolgreich ist, womöglich aber gegen geltendes Recht verstößt.

Es geht um das Anleihekaufprogramm OMT, das die Europäische Zentralbank (EZB) im vergangenen Jahr angekündigt, aber noch nicht umgesetzt hat. Es sieht vor, dass die Notenbank unter bestimmten Bedingungen unbegrenzt Anleihen eines Euro-Landes kaufen kann, um die Zinsen für dieses Land zu senken. Im Kampf gegen die Krise wirkte das Programm wie eine Wunderwaffe: Die bloße Ankündigung reichte aus, um die gefährliche Lage an den Finanzmärkten zu beruhigen. Selbst Gegner des Programms erkennen das an. Das OMT sei "die bisher erfolgreichste Maßnahme der Euro-Rettung", sagt Dietrich Murswiek, Prozessbevollmächtigter des CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler, einem der Beschwerdeführer in Karlsruhe.

Es gibt nur ein Problem: Das Programm ist womöglich rechtswidrig. So sehen es zumindest die Kläger. "Die Staatsfinanzierung - ob mittelbar oder unmittelbar - ist der EZB verboten", sagt der Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider. Und tatsächlich gehört viel Phantasie dazu, in den angekündigten Anleihekäufen keine Staatsfinanzierung zu erkennen. Im Kern geht es also um die Frage: Geht wirtschaftspolitischer Pragmatismus vor strenger Rechtsauslegung?

Die Karlsruher Richter müssen sich naturgemäß streng am Recht orientieren. Schon zum Verhandlungsbeginn am Morgen hat Gerichtspräsident Voßkuhle klar gemacht, dass es hier um die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit gehe. Und da spiele es keine Rolle, ob die zu überprüfenden gesetzlichen Regelungen bisher erfolgreich waren. "Andernfalls würde der Zweck allein die Mittel rechtfertigen."

Entsprechend groß sind die Zweifel, die die Richter dem offiziell als Sachverständigen geladenen Asmussen entgegenbringen. 75 Minuten lang dauert seine Anhörung. Asmussen berichtet von den irrational hohen Zinsen, die Staaten wie Spanien oder Italien im vergangenen Sommer für ihre Staatsanleihen zahlen mussten. Die EZB habe feststellen müssen, dass die geldpolitische Steuerung über den Leitzins nicht mehr funktionierte. So tief sie die Zinsen auch senkte, bei den Unternehmen in Südeuropa kamen die niedrigen Sätze nicht an. Es habe sogar eine Deflation gedroht, sagt Asmussen - also sinkende Preise. Schon deshalb habe die EZB das OMT-Programm ankündigen müssen.

Das ist der Kniff, mit dem die EZB ihr Programm zu rechtfertigen versucht. Als Teil der Geldpolitik sind ihr die Anleihekäufe nämlich erlaubt. Sie dürfen eben nur nicht dem Zweck der Staatsfinanzierung dienen.

"Das bedeutendste Urteil seit Jahrzehnten"

Die Richter haben viele Fragen. Wie lässt sich objektiv entscheiden, wie viele Anleihen die Notenbank kaufen muss, um die Funktionsfähigkeit der Geldpolitik wieder herzustellen? Was passiert, wenn die strikten Bedingungen, die die EZB von den Staaten verlangt, nicht eingehalten werden? Am meisten aber interessiert sie die Sache mit dem Schuldenschnitt: Sollte es - wie etwa in Griechenland erwartet - zu einem Teilausfall von Staatsanleihen kommen, müsste auch die EZB zu Gunsten des Staates auf Geld verzichten. "Das wäre ein Fall monetärer Staatsfinanzierung", sagt der Verfassungsrichter Peter Müller - und Asmussen kann ihm nur schwach widersprechen.

Ansonsten bemüht er sich redlich, den Richtern ihre Zweifel zu nehmen. Das unbegrenzte Anleiheprogrammsei faktisch eigentlich doch begrenzt, sagt Asmussen. So werde die Notenbank nur Anleihen mit kurzer Laufzeit bis zu drei Jahren kaufen. Man habe im vergangenen Jahr eben ein "starkes Signal" an die Märkte gebraucht, um die Angst vor einem Auseinanderbrechen der Währungsunion einzudämmen. Auch die Sorge um die Demokratie will Asmussen den Richtern nehmen: "Die EZB darf, kann und will das Handeln von demokratisch gewählten Regierungen nicht ersetzen."

Von seinem alten Studienkollegen Jens Weidmann kann Asmussen keine Unterstützung erwarten. Denn der ist heute Präsident der Bundesbank - und ein erklärter Gegner der Anleihekäufe. Als Einziger hatte er im vergangenen Jahr im 23-köpfigen EZB-Rat gegen das OMT-Programm gestimmt. Am Dienstag ist er gleich nach Asmussen an der Reihe. Er hat sich in den fünf Stunden zuvor viele Notizen in seiner blauen Mappe gemacht. Nun darf er alles loswerden. Er halte es für bedenklich, staatliche Risiken über die Notenbankbilanz faktisch zu vergemeinschaften, sagt Weidmann. Die Rechenmodelle, die laut Asmussen belegen sollen, wie irrational hoch die Zinsen in den Krisenländern waren, nennt Weidmann subjektiv. Und die Richter fragen genüsslich nach, wie das denn wohl sein könne.

Am Mittwoch werden sie die Verhandlung fortsetzen, ein Urteil wird frühestens in einigen Monaten erwartet. Doch es deutet sich schon jetzt an, wie schwierig die Entscheidung für das Gericht werden könnte. Zwar haben die Richter offenbar große Zweifel an der Rechtmäßigkeit des OMT-Programms. Ähnlich groß könnten aber auch ihre Zweifel sein, worüber sie eigentlich entscheiden sollen. Ihre Aufgabe ist es, die Einhaltung des Grundgesetzes zu überwachen. Einer europäischen Institution wie der EZB können sie nur beikommen, wenn Sie zum Beispiel Auswirkungen auf die deutsche "Verfassungsidentität" erkennen - ein schwieriges Unterfangen.

Während Kläger wie der Gauweiler-Vertreter Murswiek auf "das bedeutendste Urteil seit Jahrzehnten und für Jahrzehnte" hoffen, sind Experten skeptisch. "Das Gericht ringt mit sich selbst", sagt Daniel Thym, Rechtsprofessor in Konstanz. Den Verfassungsrichtern drohe dasselbe, was Kritiker der EZB vorwerfen: eine Überdehnung des eigenen Mandats.

Davor warnt im Übrigen auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der ebenfalls in Karlsruhe geladen war. Für ihn ist es schlicht "nicht vorstellbar, dass deutsche Gerichte über Maßnahmen der EZB entscheiden."

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