Fachkräftemangel Deutsche Firmen buhlen um arbeitslose Spanier

Mehr als hunderttausend hochqualifizierte Spanier finden im eigenen Land keinen Job, viele suchen Stellen im Ausland. Deutsche Firmen hoffen nun, ihren Fachkräftemangel zu beheben und gehen auf Talentjagd in Südeuropa - mit erstem Erfolg.
Von Julia Groth
Schlangen vor dem Arbeitsamt in Madrid: Arbeitslosigkeit erschreckend hoch

Schlangen vor dem Arbeitsamt in Madrid: Arbeitslosigkeit erschreckend hoch

Foto: © Susana Vera / Reuters/ Reuters

Hamburg - Tausende Deutsche treten dieser Tage ihren Sommerurlaub in Spanien an. Die Spanier dagegen zieht es oft in die andere Richtung - allerdings nicht zum Urlauben: Rund 130.000 suchen einen Job jenseits der eigenen Landesgrenzen, berichtet des EU-Netzwerk Eures, das bei grenzüberschreitenden Stellensuchen hilft. Mehr auswanderwillige Arbeitskräfte gibt es derzeit in keinem anderen Staat der Europäischen Union (EU).

Schuld am spanischen Fernweh ist die Wirtschaftskrise. Die Arbeitslosenquote liegt bei rund 21 Prozent, es ist die höchste im gesamten Euro-Raum. Insbesondere junge Spanier haben schlechte Chancen auf eine Anstellung. Fast jeder Zweite zwischen 19 und 25 ist arbeitslos, dabei sind viele von ihnen hochqualifiziert.

Genau an solchen Fachkräften mangelt es in der alternden deutschen Gesellschaft. Allein 73.000 Ingenieure fehlen quer durch alle Fachbereiche, sagt Lars Funk, Leiter des Bereichs Beruf und Gesellschaft vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI). "Der Fachkräftemangel ist dramatisch." Jetzt suchen deutsche Unternehmen nach neuen Lösungen für die Ingenieursknappheit. Viele gehen auf Talentjagd in Spanien - und bekommen dafür von vielen Seiten Unterstützung.

Deutschland-Wochen in der Botschaft in Madrid

So beschloss die Bundesregierung kürzlich, ausländischen Elektroingenieuren, Maschinen- und Fahrzeugbauern sowie Ärzten den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Ausländische Abschlüsse sollen leichter anerkannt werden.

Politik und Wirtschaft gehen zudem in Spanien auf Werbetour. Die deutsche Botschaft in Madrid etwa veranstaltete jüngst sogenannte Deutschland-Wochen, gemeinsam mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und den Goethe-Instituten in Madrid und Barcelona. Die Deutsche Handelskammer für Spanien bot Veranstaltungen zum Thema "Deutsch-spanische Berufsmobilität" für spanische Ingenieure an, in denen sie über den deutschen Arbeitsmarkt informierte. Das Interesse war offenbar groß: Rund 300 Ingenieure seien gekommen, teilt die Handelskammer mit.

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Auch die deutsche Agentur für Arbeit geht in Spanien auf Fachkräftefang. Im Anschluss an die jüngsten Seminare der Handelskammer lud die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur zur Jobbörse. "Wir sehen in Spanien ein wachsendes Interesse am deutschen Arbeitsmarkt", sagt eine ZAV-Sprecherin.

Die Bewerber wollen wissen: Welche Unterlagen benötigt man, um in Deutschland arbeiten zu dürfen? Wie funktioniert die Sozialversicherung? Welche Arbeitsverträge sind üblich? Im Anschluss an die Informationsveranstaltung arrangierte die ZAV Bewerbungsgespräche zwischen deutschen Arbeitgebern und spanischen Jobsuchern. Inzwischen bekomme der Ingenieursverband immer mehr Anfragen aus Spanien nach Kontakten zu deutschen Arbeitgebern, berichtet VDI-Mann Funk.

Neue Fachkräfteschwemme?

Um Fachkräften den Weg nach Deutschland zu erleichtern, will der VDI mit dem europäischen Ingenieurs-Dachverband FEANI europaweit einen Berufsausweis einführen. Dieser weist Qualifikationen einheitlich und verständlich aus und erleichtert es Arbeitgebern so, die fachlichen Voraussetzungen eines ausländischen Bewerbers zu beurteilen. "Die Einführung der Engineering Card in Spanien ist in Vorbereitung", sagt Funk.

Die Goethe-Institute in Spanien melden derweil eine wachsende Nachfrage nach Deutschkursen. In Madrid belegten zuletzt rund 4300 Personen pro Jahr einen Deutschkurs, so viele wie lange nicht.

Wie viele spanische Ingenieure dem Ruf nach Deutschland bisher gefolgt sind, kann der ZAV nicht sagen. Erstens, weil längst nicht alle Arbeitsmigranten über die Arbeitsagentur oder mithilfe der Internetplattform Eures einen Job finden. Und zweitens, weil viele Einstellungsverfahren noch laufen. "Das Interesse ist allerdings beachtlich", sagt die Sprecherin.

Gut möglich, dass eine Migrationswelle aus Spanien bevorstehe - rund 40 Jahre, nachdem zuletzt spanische Gastarbeiter massenweise nach Deutschland kamen. Diesmal sollen sie freilich eher Autos konstruieren, als sie am Fließband zusammenzubauen.

"Spanier sind sehr heimatverbunden", sagt Walther von Plettenberg, Geschäftsführer der deutschen Handelskammer in Madrid. Doch angesichts der anhaltenden Krise werde die berufliche Mobilität der Spanier zweifellos zunehmen.

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