System Fifa Der Selbstbedienungsladen

Als Blatter verkleideter Demonstrant in Zürich: Schutzmantel für dunkle Machenschaften
Foto: FABRICE COFFRINI/ AFPDas Wort dürfte in die Geschichte eingehen: Als "Godfather" des Frauenfußballs bezeichnete sich Fifa-Präsident Joseph Blatter neulich im Gespräch mit einer BBC-Reporterin. Am Tag nach der spektakulären Festnahme mehrerer hoher Funktionäre des Fußball-Weltverbands wirkt der Begriff entlarvend. Denn Godfather bedeutet übersetzt nicht allein Patenonkel - spätestens seit dem gleichnamigen Kinofilm von Francis Ford Coppola denkt alle Welt bei dem Wort zuerst an den Boss eines großen Mafia-Clans.
Tatsächlich lässt die 161 Seiten lange Anklageschrift, die US-Justizministerin Loretta Lynch am Mittwoch einem New Yorker Gericht zustellte, an vielen Stellen Parallelen zu den Geschäftsmethoden der mächtigen Mafia-Banden erkennen. Es geht um Geben und Nehmen - oft jenseits des Gesetzes. Es entstehen Abhängigkeiten, die wie ein Schutzmantel für weitere dunkle Machenschaften wirken. Nur ist das Geschäft im Falle der Fifa nicht Rauschgift, Glücksspiel oder Prostitution - es geht schlicht um die globale Vermarktung der Fußball-Weltmeisterschaft für Männer und Frauen in verschiedenen Altersklassen. Und die Fifa ist der Verkäufer.
Video: Wie Blatter den Skandal beurteilt
Steuerfrei vor dem Fiskus
Es geht um unvorstellbar viel Geld. Seit 2009 macht der Verband jährlich mehr als eine Milliarde Dollar Umsatz (etwa 900 Millionen Euro) und fast 200 Millionen Gewinn. Die großen Turniere funktionieren wie Gelddruckmaschinen: Allein die WM in Brasilien lieferte einen Gewinn von 1,6 Milliarden Euro. Knapp 800 Millionen davon flossen als Prämien und Aufwandsentschädigungen an die 209 Mitgliedsverbände, der Rest blieb auf den Konten der Fifa. Steuerfrei übrigens, denn in den Augen des Fiskus gilt der Verband als gemeinnütziger Verein, genauso wie ein Karnevals- oder ein Gesangsverein.
Das Geld der Fifa nutzen Blatter und seine Gefolgsleute für durchaus sinnvolle Entwicklungshilfe, etwa Nachwuchsarbeit und den Bau von Infrastruktur. In Blatters Amtszeit flossen bislang 1,75 Milliarden Euro an die Verbände in aller Welt. Kritiker argwöhnen jedoch, dass es der Führungsriege in erster Linie darum geht, ihre Machtbasis zu verbreitern. Die Kontrolle der Mittel ist lax oder gar nicht beabsichtigt. So nutzten Funktionäre wie der Thailänder Worawi Makudi Mittel aus dem Fifa-Entwicklungshilfeprogramm Goal lieber für den Ausbau und die Renovierung ihrer Häuser.
Ihre Macht wiederum nutzten die Fifa-Bosse, wenn es darum ging, wichtige Entscheidungen durchzusetzen - zum Beispiel für den Austragungsort einer Weltmeisterschaft. Und dafür, so der Verdacht, ließen sie sich dann fürstlich bezahlen. Hohe Summen sollen auch bei der Vergabe nach Russland 2018 und Katar 2022 geflossen sein. Der deutsche Richter Hans-Joachim Eckert fand trotz zahlreicher Indizien jedoch keinen Hinweis auf Korruption - zum Verdruss seines US-Ermittlerkollegen Michael Garcia.
Im Falle der WM 2010 in Südafrika hingegen glauben die US-Ermittler, Schmiergeldzahlungen nachweisen zu können. Zehn Millionen sollen über Mittelsmänner auf die Konten der Karibischen Fußball-Union CFU und dem Uefa-Pendant in Nord- und Mittelamerika Concacaf geflossen sein, die der ehemalige Fifa-Vize und enge Blatter-Vertraute Jack Warner kontrollierte. Teile des Geldes seien schließlich an Unternehmen in Trinidad und Tobago und an Warner privat geflossen. 750.000 Euro habe Warner weitergereicht.
Ein Dollar für die Fernsehrechte
Auch bei anderen Gelegenheiten nutzte Warner seine Macht aus, um sich zu bereichern. So hatte die Fifa ihm für die Weltmeisterschaften 2002 und 2006 die Fernsehrechte in der Karibik für jeweils lediglich einen Dollar verkauft. Über seine Firma JD International erzielte er anschließend allein für die WM 2002 einen Erlös von 4,25 Millionen Dollar.
Die US-Gerichtsakten geben auch Einblick in Schmiergeldzahlungen für Blatters Wiederwahl zum Fifa-Präsidenten im Jahr 2011. Demnach sollen jeweils 40.000 Dollar vor der Wahl in Umschlägen den Besitzer gewechselt haben - in einem Hotel in der Karibik.
Die Zahlungen im Hyatt Regency Hotel in Trinidad und Tobago, Warners Heimat, sollen von einem hochrangigen Mitglied des Weltverbands und des asiatischen Kontinentalverbands AFC arrangiert worden sein. Ein Name wurde nicht genannt. Mohamed Bin Hammam, damals AFC-Präsident, war im Mai 2011 wegen Korruptionsverdachts von der FIFA suspendiert worden.
Zu den offiziell Verdächtigen gehört inzwischen auch der frühere Chef des südamerikanischen Fußballverbandes CONMEBOL in Paraguay und Fifa-Funktionär, Nicolás Leoz. Der inzwischen 86-Jährige soll sich beim Verkauf der Rechte für den Amerika Cup jahrelang eine "Entscheidungsprämie" in Millionenhöhe ausbedungen haben.
Die Korruption reicht sogar bis in die Zukunft. Für die kommenden vier Turniere, so die Erkenntnisse der Ermittler, seien elf CONMEBOL-Funktionären insgesamt 110 Millionen Dollar zugesichert worden. Ähnliche Verabredungen gäbe es auch für andere Cups in Mittel- und Nordamerika.
Dagegen muten die Summen, die im Weltfußball in der Vergangenheit an Schmiergeld vermutlich bezahlt worden sind, nahezu gering an. Für die vergangenen 25 Jahre haben die Ermittler bislang jedenfalls nur Hinweise auf 150 Millionen Dollar gefunden. Wahrscheinlich ist die wahre Summe noch deutlich höher.