Kurzausbildungen für Flüchtlinge "Sie hätten auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance"

Verkürzte Berufsausbildungen sollen Flüchtlingen bei der Integration helfen. Doch Gewerkschaften und Arbeitgeber sind skeptisch: Sie fürchten, dass kaum jemand die Absolventen braucht.
Angehender Auszubildender und Flüchtling mit Schreiner-Meister (in Baden-Württemberg): Nicht alle können Fachinformatiker werden

Angehender Auszubildender und Flüchtling mit Schreiner-Meister (in Baden-Württemberg): Nicht alle können Fachinformatiker werden

Foto: Felix Kästle/ dpa

Schüchtern steht Ibrahim Sediqi auf der Bühne des Münchner Lustspielhauses und lächelt in die Kamera. Der Bayerische Rundfunk überträgt eine Benefizveranstaltung für Flüchtlinge. Vor drei Jahren floh der junge Mann aus Afghanistan nach Deutschland, nun beantwortet er die Fragen der Moderatorin. "Ich will gutes Geld verdienen - und Steuern zahlen!", sagt Sediqi auf Deutsch.

Seine Chancen stehen gut: Sediqi macht eine Ausbildung zum Fachinformatiker, ein anspruchsvoller Beruf, dessen Absolventen in der Regel gut verdienen und sich ihren Arbeitgeber aussuchen können.

Allerdings ist abzusehen, dass es nicht für alle jungen Geflüchteten so gut laufen wird wie für Sediqi. Erstens sind es viele: Im vergangenen Jahr waren 55 Prozent der neu angekommenen Flüchtlinge jünger als 25 Jahre, der Anteil dürfte auch in diesem und den kommenden Jahren ähnlich groß sein.

Zweitens sind nicht nur mangelnde Deutsch-Kenntnisse ein Problem: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) betont in einem aktuellen Bericht  zwar, dass es noch keine repräsentativen Daten zur Qualifikation der Flüchtlinge gebe, geht aber auch bei der schulischen Bildung von einem "Bildungsgefälle" zwischen jungen Flüchtlingen und ihren in Deutschland aufgewachsenen Altersgenossen aus.

Für den Bildungsökonomen Ludger Wößmann vom Münchner Ifo-Institut steht daher fest: "Wir werden nicht alle jungen Flüchtlinge zu Mechatronikern oder Fachinformatikern ausbilden können." Wößmann hält daher verkürzte Ausbildungen für sinnvoll, als Alternative zu den bestehenden anspruchsvollen, dreijährigen Berufsausbildungen.

"Können wir berufliche Qualifikationen mit ein bis zwei Jahren Dauer anbieten, die es jungen Flüchtlingen ermöglichen, sich im Anschluss produktiv am Arbeitsmarkt zu beteiligen?", fragt Wößmann. Das sei für die Flüchtlinge in jedem Fall besser, als gar keine Ausbildung zu erhalten, argumentiert der Ifo-Experte.

Kaum Bedarf auf dem Arbeitsmarkt

Bei den für die Berufsausbildung maßgeblichen Akteuren trifft Wößmanns Vorschlag allerdings auf viel Skepsis. Die Vizevorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DBG), Elke Hannack, warnt vor "Häppchen-Ausbildungen", die höchstens "auf schlechte Arbeit in prekären Verhältnissen vorbereiten".

Die für die Prüfungen zuständigen Kammern der Arbeitgeber reagieren ebenfalls ablehnend: "Von verkürzten Ausbildungen speziell für junge Flüchtlinge halte ich nichts", sagt etwa Achim Dercks, der Vize-Hauptgeschäftsführer des DIHK. Auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), der zweite Dachverband der für die Prüfungen zuständigen Kammern, hält Ausbildungsdauern von weniger als zwei Jahren generell für nicht sinnvoll.

Das Argument von Gewerkschaften und Kammern: Es gebe für Ausbildungen von einem oder eineinhalb Jahren Dauer schlicht keinen Bedarf. Unterstützung bekommen sie von den Wissenschaftlern des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). "Die jungen Leute hätten mit einer solchen Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance", sagt Reinhold Weiß, Vizepräsident und Forschungsdirektor des BIBB. Weiß' Urteil: "Spezielle Ausbildungsberufe ergeben keinen Sinn, und daher wird es sie auch nicht geben."

Handwerk offen für zweijährige Ausbildungen

Etwas anders sieht es mit zweijährigen Ausbildungen aus, auf die der DIHK als einen Lösungsansatz verweist. Hier gibt es bereits rund 30 Berufe mit abgespeckter Fachtheorie, zumeist in Industrie und Handel, etwa den des Verkäufers. Bei den meisten von ihnen können die Absolventen im Anschluss ohne Zeitverlust noch einen Abschluss in einem dreijährigen Ausbildungsberuf anhängen - bei den Verkäufern wäre das zum Beispiel der Einzelhandelskaufmann. Die Fachleute nennen das "Durchstieg".

Auch der Handwerksverband ZDH will sich der zweijährigen Ausbildung nicht verschließen - sofern am Arbeitsmarkt Bedarf bestehe.

Genau daran aber zweifelt DGB-Bildungsexperte Matthias Anbuhl. "Schon heute konzentrieren sich die zweijährigen Ausbildungen vor allem auf den Beruf der Verkäuferin", sagt er. "Von den rund 45.000 zweijährigen Ausbildungsplätzen insgesamt entfallen allein 25.000 auf diesen einen Beruf." Erst kürzlich hätten Gewerkschaften und Arbeitgeber gemeinsam zwei zweijährige Ausbildungsberufe wieder abgeschafft, weil sie schlicht nicht benötigt wurden.

Unisono verweisen Gewerkschaften, Kammern und auch die Arbeitgeber allerdings auf zwei Instrumente, die gerade jungen Flüchtlingen helfen können:

  • Seit diesem Jahr gibt es die sogenannte Assistierte Ausbildung, bei der den Auszubildenden eine Art Coach zur Seite gestellt wird, der von den Arbeitsagenturen bezahlt wird. Er hilft bei fachlichen, aber auch privaten Problemen.
  • Bereits seit 2004 können Jugendliche eine sogenannte Einstiegsqualifikation über sechs bis zwölf Monate absolvieren: Sie arbeiten bereits in ihrem potenziellen Ausbildungsbetrieb und besuchen in der Regel auch schon die Berufsschule. Und wenn sie im Anschluss einen regulären Ausbildungsvertrag erhalten, kann die Zeit teilweise angerechnet werden.

BIBB-Forschungsdirektor Weiß hält das für sinnvoll: "Eine Einstiegsqualifizierung wirkt prinzipiell wie eine verlängerte Probezeit." Ibrahim Sediqi profitiert bereits davon. Auch er ist über eine Einstiegsqualifizierung zu seinem Ausbildungsbetrieb gekommen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren