
Fracking: Angst um Amerikas Idyllen
Umstrittene Gasförderung in den USA Kampf ums gelobte Land
Matt Damons nächster Film kommt zwar erst Ende Dezember in die Kinos. Aber schon jetzt sorgt er für Furore. Nicht nur in Hollywood, wo er als heimlicher Oscar-Kandidat gilt - sondern vor allem in Pennsylvania, wo er gedreht wurde.
"Promised Land" heißt der Streifen, gelobtes Land. Damon spielt den gewissensgeplagten Angestellten eines US-Energiekonzerns, der arme Farmer in Pennsylvania mit allen Mitteln überreden soll, ihr Land zu verscherbeln, damit seine Firma darauf nach Erdgas bohren kann.
Ganz im Stil des Öko-Dramas "Erin Brockovich" aus dem Jahr 2000 knöpft sich "Promised Land" das Thema Fracking vor, jene nicht nur in den USA umstrittene Technologie zur Erdgasförderung. Es ist ein hochkarätiges Projekt: Regie führt Gus Van Sant ("Good Will Hunting"), und der als Umweltaktivist profilierte Damon schrieb das Drehbuch persönlich mit.
Doch der Film ist so kontrovers wie sein Thema. Fracking bezeichnet eine Methode, bei der ein Mix aus Wasser, Sand und Chemikalien mit Hochdruck in unterirdisches Gestein gepresst wird, um Schiefergas freizusetzen. Die genauen Umweltrisiken bleiben bis heute ungeklärt.
Fracking erhitzt seit Jahren in den USA die Gemüter
Die Inspiration für "Promised Land" ist Dimock in Pennsylvania - ein Dorf im Zentrum des Fracking-Booms, das mit Berichten über verseuchtes Trinkwasser, sieches Vieh und spontan explodierende Brunnen Schlagzeilen gemacht hat. Erst kürzlich einigte sich der US-Energiekonzern Cabot per Vergleich mit drei Dutzend Familien, die ihn wegen Gaslecks und Trinkwasserverschmutzung verklagt hatten.
Andere haben ihre Grundstücke bereitwillig an Cabot verkauft. Auf einer Facebook-Seite bezeichnet sich die Pro-Fracking-Fraktion als "vernünftige Mehrheit" und wehrt sich gegen das, was sie als "negative Propaganda" über Dimock bezeichnet - namentlich Damons Film: "Promised Land" sei "lächerlich", nehme "lügende Naturschützer" in Schutz und zeige, "wie verzweifelt die Anti-Fracking-Leute sind".
Dimock ist gespalten, über Fracking und jetzt auch "Promised Land". Dass ein Film, den noch keiner gesehen hat, so die Gefühle aufwühlt, offenbart die anhaltende Brisanz der Lage.
Obwohl Fracking in den USA seit Jahren die Gemüter erhitzt, gibt es keinen Frieden. Beide Seiten graben sich immer tiefer ein. Die einen sehen Fracking als Wundermittel gegen die Energienot. Die anderen als Bedrohung von Natur und Mensch durch eine gierige Industrie.
"Die hauen uns übers Ohr", sagt Ralph Kisberg. "Sie zahlen einem so viel für das Land, dass man den Mund hält." Kisberg, ein zum Umweltschützer konvertierter Ex-Ölarbeiter, führt SPIEGEL ONLINE zu zahllosen Fracking-Bohrstellen im Herzen Pennsylvanias.
So finden sich in den Hügeln rings um den Ort Williamsport immer wieder Bohrtürme, Fuhrparks und Pipelines, die Schneisen durch den Wald pflügen. Unweit einer Kirche ruht ein rostiger Gastank auf einer Wiese, in einer frisch ausgehobenen Grube, die nur notdürftig mit einer teils zerrissenen Plastikplane isoliert ist.
Auch in Williamsport kursieren immer neue Horrorgeschichten über Gaslecks, faules Trinkwasser, Springfluten, kleine Erdbeben, Krebsrisiken. "Ich kenne Leute", behauptet Kisberg, "denen ist der Wasserkran explodiert."
Erdgas hat ein neues, globales Rohstofffieber ausgelöst
Das sind nicht nur Mythen. Die Umweltgruppe American Rivers ernannte den Susquehanna River, der auf seinem Weg von New York durch Williamsport bis in die Chesapeake Bay südlich von Washington Trinkwasser für sechs Millionen Menschen liefert, wegen der Fracking-Probleme 2011 zum "meistgefährdeten Fluss" der USA.
Das stört die Industrie wenig. "Die Ökos haben ein paar Probleme mit uns", lacht Lane Sloan, einst Top-Manager bei Shell und heute einer der gefragtesten Branchenberater. Doch diese Probleme dürften nichts ändern: "Amerika steckt mitten in einer Schiefergas-Revolution", sagt er im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.
Sloan sitzt fernab von Pennsylvania in einem Wolkenkratzer in Houston. Dort ist er Co-Chef der Energy Collaborative, der größten Industrielobby der Öl- und Gasmetropole. Für Sloan ist Erdgas die beste Waffe gegen die Sinnkrise seiner Industrie: "Es wird die Energieprognosen für die USA komplett verändern."
Nicht nur für die USA, glaubt die Internationale Energiebehörde (IEA). "Beginnt das goldene Gas-Zeitalter?", betitelte sie einen Bericht in 2011. Der Folgebericht hatte dieses Jahr schon gar kein Fragezeichen mehr: Erdgas hat ein neues, globales Rohstofffieber ausgelöst.
Quer durch die USA "gefrackt"
Amerikas Politiker sind ebenfalls längst auf diesen Zug aufgesprungen. Sowohl Präsident Barack Obama als auch sein Republikaner-Rivale Mitt Romney preisen fossile Brennstoffe - allen voran Erdgas - als einen Weg zur Energie-Unabhängigkeit vom Nahen Osten. Am Ende sei es "egal, wer im November die Wahl gewinnt", sagt Ralph Kisberg aus Pennsylvania resigniert.
Obama hat eine Erdgas-Arbeitsgruppe berufen und die Regulierungen eingeschränkt. Im September beschwor er einen "hundertjährigen Naturvorrat direkt unter unseren Füßen", der "unsere Ölimporte bis 2020 halbieren und mehr als 600.000 neue Arbeitsplätze stützen" werde.
Wobei die Branche kaum weitere Handreichung des Staates braucht. Schon 2005 befreite die Bush-Regierung Fracking von den Vorschriften des US-Trinkwasserschutzgesetzes. Bekannt ist diese Ausnahmeregelung als "Halliburton-Schlupfloch" - nach dem texanischen Energiekonzern Halliburton, den der damalige Vizepräsident Dick Cheney zuvor geleitet hatte.
Kein Wunder, dass der Anteil von Schiefergas, das durch Fracking gefördert wird, an der gesamten US-Gasproduktion seit 2005 von vier auf 24 Prozent in die Höhe geschossen ist. Heute wird quer durch die USA "gefrackt" - von Kalifornien über Colorado und Texas bis Ohio und Vermont.
"Widerstand wird von Lügnern, Scharlatanen und Schwindlern angetrieben"
Anders als Washington sind viele Bundesstaaten aber noch unschlüssig, wie sie mit der Technologie umgehen sollen. Pennsylvania hat seinen Kommunen zwar pauschal das Recht abgesprochen, Fracking-Anträge eigenmächtig abzulehnen, zugleich aber ein Bohrmoratorium über die Südostecke des Staates verhängt.
Dagegen herrscht im gesamten Nachbarstaat New York schon seit vier Jahren ein Fracking-Verbot. Eine kuriose Situation hat sich in North Carolina ergeben: Dessen Landesparlament hob ein Fracking-Moratorium wieder auf - dank einer Demokratin, die "aus Versehen" den falschen Abstimmknopf gedrückt haben will.
Die Dissonanz spiegelt sich auch in der Debatte um "Promised Land". Nach Informationen der konservativen "New York Post" wurde dessen Drehbuch "hastig" umgeschrieben, nachdem sich einige Behauptungen der Umweltschützer - wie sie auch den Dokumentarfilm "Gasland" prägten - als unbewiesen herausgestellt hätten, wenn nicht sogar als komplett erfunden.
"Der Widerstand wird von Lügnern, Scharlatanen und Schwindlern angetrieben", triumphierte die "Post", die sich immer hinter die Industrie stellt. "Diese Eliten nutzen Betrug, Übertreibung und die Star-Power von Prominenten, um ländliche Gemeinden daran zu hindern, an Gasbohrungen zu gedeihen."
Für weiteres Misstrauen sorgt der Umstand, dass "Promised Land" von Abu Dhabi Media mitproduziert wurde, der staatlichen Filmgesellschaft der Arabischen Emirate: Die hätten natürlich eigenes Interesse daran, einen selbständigen US-Gasboom zu diskreditieren.
Unterdessen hat Focus Features, das US-Studio hinter "Promised Land", den Kinostart vorverlegt: Der Film läuft in New York und Los Angeles nun schon am 28. Dezember an, bevor er dann im Januar landesweit startet. Dieser Termintrick ermöglicht ihm die Oscar-Qualifikation.