
G-20-Bilanz Club der matten Mächtigen
Hamburg - Angela Merkel sagt am Freitag das, was man so sagt nach einem Gipfeltreffen: "Der Gemeinschaftsgeist hat gesiegt." Und: "Wir haben ausführlich darüber gesprochen, wie wir ein nachhaltiges, ausbalanciertes, beständiges Wachstum schaffen können."
Der Polit-Sprech der Kanzlerin überdeckt, dass die zentralen Ergebnisse des G-20-Gipfels in Seoul nicht sonderlich überraschend sind. Die Verabschiedung schärferer Regeln für Banken stand im Grunde schon vor dem Gipfel fest. Auch war klar, dass US-Präsident Barack Obama sich kaum damit durchsetzen würde, die Exportüberschüsse von Deutschland, China und Japan zu beschränken.
Die G20 sind die 20 wichtigsten Wirtschaftsmächte der Welt. Seit 1999 treffen sich die Vertreter aus 19 Industrie- und Schwellenländern sowie der Europäischen Union. 15 Gipfel gab es seitdem, das Ziel ist es stets, gemeinsame Vorstellungen in der Finanz-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik zu formulieren. Doch bereits bei der Gründung der G20 warnten Experten vor übertriebenen Erwartungen: Je größer eine Runde sei, desto mehr unterschiedliche, oft gegensätzliche Interessen träfen aufeinander - und desto weniger konkret fielen die Ergebnisse zwangsläufig aus.
Dass die Kritiker grundsätzlich Recht behalten haben, beweist ein Rückblick auf die wichtigsten Gipfel der vergangenen elf Jahre. Fast immer dominieren die selben Themen. Von Beginn an standen die Währungsmanipulationen Chinas und der USA auf der Agenda. Auch über die Ungleichgewichte bei den Handelsbilanzen debattieren die G-20-Teilnehmer seit jeher. Über Allgemeinplätze und floskelhafte Absichtserklärungen kamen sie allerdings selten hinaus.
Immerhin: Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise hat sich die Handlungsfähigkeit der Runde gezeigt. Neben staatlichen Konjunkturprogrammen brachten die G-20-Länder auch eine Reform der Finanzaufsicht in Gang.
Aber wie sieht es in anderen Bereichen aus? Wo haben die Mächtigsten der Welt viel versprochen, aber wenig gehalten? Und wie war es diesmal in Seoul?
Welthandel - Dauerdebatte ohne Ergebnis
Beim Streit über den Welthandel zeigen sich die Grenzen der G20 wohl so deutlich wie bei keinem anderen Thema. Seit Jahren üben die USA Druck auf Länder mit positiven Handelsbilanzen aus - also vor allem Deutschland, Japan und China.
Und so drängten US-Präsident Barack Obama und sein Finanzminister Timothy Geithner auch in diesem Jahr auf Höchstgrenzen bei Export- beziehungsweise Importüberschüssen. Die Export-Länder sollten ihre Binnennachfrage ankurbeln, um weniger stark auf Kosten der Import-Länder zu leben.
Dass die Amerikaner damit auch beim Gipfel in Seoul keine Aussicht auf Erfolg haben konnten, zeigt bereits die Geschichte der G20. Stets konnten sich die Gipfelteilnehmer - zunächst die Finanzminister, seit 2008 sind es die Regierungschefs - allenfalls auf Minikompromisse und allgemeine Ankündigungen einigen. Feste Verabredungen, wie die Differenzen im Welthandel ausgeglichen werden könnten, gab es nicht.
Auch die Behinderung eines freien Handels durch Protektionismus wurde lediglich kritisiert - etwa in Melbourne 2006. Konsequenzen daraus folgten aber nicht. Im Gegenteil: Die Nationalstaaten bauen immer mehr Handelsbarrieren auf und behindern damit den freien Warenverkehr - gerade erst drohten die USA mit neuen Einfuhrzöllen auf chinesische Waren.
Dabei hatten sich die G-20-Staaten schon beim Gipfel in Peking allgemein verpflichtet, "alle Arten von Agrarsubventionen abzuschaffen und Entwicklungshilfe zu erhöhen, damit Entwicklungsländer von Chancen des zunehmenden Welthandels profitieren können".
Geschehen ist seitdem wenig. Zu stark wehrten sich etwa die Franzosen gegen ein Ende der EU-Hilfe. Die Landwirtschaft des wirtschaftlich zweitstärksten EU-Landes ist wesentlich von den Subventionen aus Brüssel abhängig.
Fazit: Beim Streitpunkt Welthandel bringen die G20 nur politische Formelkompromisse zustande. Zu unterschiedlich sind die Interessen, zu festgefahren die Lager. Wenn es nicht noch andere Themen gäbe, könnte man die Gipfel als überflüssige Veranstaltung betrachten: viel heiße Luft, doch keine Resultate.
Währungsstreit - China am Pranger
Der Streit in dieser Frage hatte sich vor dem Gipfel besonders zugespitzt: Welche Währungen sind unterbewertet und wie groß ist dadurch der Wettbewerbsvorteil im Welthandel?
So aktuell die Debatte erscheint, die G-20-Teilnehmer streiten immer wieder darüber. So stand etwa beim Treffen in Berlin 2004 der rasche Wertverlust des Dollar im Fokus. Die US-Währung hatte in dem Jahr gegenüber dem Euro mehr als 20 Prozent an Wert verloren.
Auch die Taktik der Chinesen, ihre Währung künstlich niedrig zu halten, um den Export zu stärken, wurde bereits 2004 kritisiert. Der Abschlussbericht enthielt den - vor allem auf die Volksrepublik bezogenen - Hinweis, man erwarte von den asiatischen Schwellenländern "Maßnahmen für eine größere Wechselkursstabilität".
Auch 2007 in Kapstadt stand das Währungsthema im Mittelpunkt: Die Gipfelteilnehmer verzichteten zwar auf eine direkte Kritik an den USA oder China, einigten sich aber zumindest auf das lose Versprechen, die Wechselkurse so anzupassen, dass sie dem internationalen Handel förderlich seien.
Daran hat sich jedoch seitdem nichts geändert: Vor allem der chinesische Yuan gilt als chronisch unterbewertet, trotz leichter Aufwertungen in den vergangenen Wochen halten Experten ihn gegenüber dem Dollar für mindestens 20 Prozent zu billig.
Aber auch die USA haben vor dem Gipfel für Unmut gesorgt: Mit der Entscheidung der Notenbank Fed, 600 Milliarden Dollar in die Märkte zu pumpen, sorgten die Amerikaner für Unruhe. Kritiker werfen ihnen vor, damit den Dollar künstlich abzuwerten - und eine neue Spekulationsblase auszulösen.
Fazit: Die Interessen vor allem der USA und Chinas sind beim Währungsstreit zu gegensätzlich, als dass die G-20-Runde hier zu einem praktikablen Ergebnis kommen könnte. Die Amerikaner lassen sich in ihre expansive Geldpolitik ebenso wenig reinreden wie die Chinesen sich von der Koppelung des Yuan an den Dollar abbringen lassen. Die nationalen Interessen lassen einfach keinen gemeinsamen Nenner zu.
Finanzregulierung - Lehren aus dem Lehman-Desaster
Die Bankenregulierung ist nicht erst seit Ausbruch der Finanzkrise wichtig. Sie war für die G20 sogar konstituierend. Seit dem Gründungsgipfel 1999 in Berlin steht eine neue Finanzarchitektur auf der Agenda. Die Märkte sollten transparenter, die Bildung von Spekulationsblasen verhindert und damit die Gefahr von Finanzkrisen gemildert werden.
Dass dabei in den ersten acht Jahren keine Fortschritte gemacht wurden, zeigte sich mit der Eskalation der Finanzkrise nach der Pleite von Lehman Brothers im September 2008. Noch beim Gipfel in Kapstadt 2007 hatte US-Finanzminister Hank Paulson versucht, seine Kollegen davon zu überzeugen, dass die US-Wirtschaft die Krise auf dem Immobiliensektor locker überwinden könne. Es kam bekanntlich anders.
Nach der Lehman-Pleite stand die Finanzregulierung dann im Mittelpunkt aller G-20-Treffen. Und tatsächlich konnten die Regierungschefs sich auf eine schärfere Kontrolle einigen: Seitdem gibt es ein Krisenfrühwarnsystem des Internationalen Währungsfonds, Ratingagenturen und Hedgefonds werden registriert und stärker überwacht. Auch das Boni-System, mit dem Banken ihre Händler zu besonders risikoreichen Geschäften bewegen, wird inzwischen von den Aufsichtsbehörden kontrolliert. Im Einzelfall können die Institute gezwungen werden, es zu ändern.
Doch obwohl sich seit Lehman einiges getan hat, gehen die Beschlüsse längst nicht weit genug. Kritiker bemängeln, dass die Banken trotz schärferer Eigenkapitalvorschriften (Basel III) nach wie vor zu wenig eigenes Geld einsetzen müssen - sprich, in Krisen immer noch anfällig sind und das gesamte System gefährden. Auch eine immer wieder geforderte Finanztransaktionssteuer fand auf G-20-Ebene bislang keine Berücksichtigung.
Fazit: Was vor der Lehman-Pleite versäumt wurde, haben die G20 danach zumindest teilweise wettgemacht. Bei aller berechtigten Kritik haben sich die Regierungschefs auf wichtige Maßnahmen zur Verhinderung künftiger Krisen einigen können. Die Gefahr ist allerdings, dass das Thema nicht weiterverfolgt wird, weil der Druck abgenommen hat.
Entwicklungshilfe - nicht gehaltene Versprechen
Wesentliches Ziel der G20 ist seit ihrem Bestehen der Ausbau der Entwicklungshilfe. So heißt es etwa im Abschlussdokument des Gipfels in Neu Delhi 2002, das Ziel seien "Verbesserung der Lebensbedingungen und Reduzierung der Armut" auf der Welt.
Deshalb haben sich die Industrieländer verpflichtet, ihre Entwicklungshilfe bis 2015 auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Laut Kritikern ist selbst dies viel zu wenig, um die Armut wirklich zu bekämpfen. Peinlich ist allerdings, dass selbst die Umsetzung des 0,7-Prozent-Ziels bislang nicht einmal annähernd erreicht wird.
Deutschland etwa gab 2009 für Entwicklungshilfe 8,83 Milliarden Euro aus. Das entspricht gerade einmal 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung. Auch im laufenden Jahr werden es laut OECD nur 0,4 Prozent sein - obwohl nach dem Versprechen auf internationaler Bühne schon jetzt mindestens 0,51 Prozent fällig wären.
Fazit: Das Thema Entwicklungshilfe zeigt wie kein zweites, wie sehr Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Das Nicht-Einhalten der ohnehin dürftigen Verpflichtungen wirft einen Schatten auf die G20 und alle beteiligten Regierungen.
Klimaschutz - kaum greifbare Fortschritte
Das Desaster der Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 war eigentlich absehbar. Denn alle Versuche der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, sich auf ein gemeinsames Vorgehen beim Klimaschutz zu einigen, scheiterten bereits bei den vorangegangenen G-20-Gipfeln.
Die Europäer wollten verbindliche CO2-Reduktionsziele beschließen. Doch vor allem die USA und China waren nicht bereit, sich darauf festnageln zu lassen. So fielen die Formulierungen im Abschlussdokument von Pittsburgh 2009 hinter bereits bestehende Beschlüsse zurück. Ein Mitglied der deutschen Delegation gab offen zu, dass die Passage zum Klimaschutz so verwässert sei, "dass man sie auch weglassen könnte".
China weigerte sich sogar, in dieser Runde überhaupt über CO2-Reduktion zu sprechen. Das Argument: Diese Diskussion gehöre auf die Ebene der Vereinten Nationen. In Seoul spielte die Klimadebatte schon gar keine Rolle mehr. Allenfalls am Rande debattierten die Delegierten darüber.
Fazit: Die G-20-Statements zum Klimaschutz sind kaum der Rede wert. Hier zeigt sich ganz offen, dass die Interessen der europäischen Staaten nicht mit jenen der USA übereinstimmen - geschweige denn mit denen Chinas.