Sorge vor immensen Nachzahlungen Bundesnetzagentur plädiert schon jetzt für höhere Abschläge für Gasnutzer

Hohe Rechnungen statt Sparaufrufe: Angesichts der Preisspirale beim Gas sollten Abschlagszahlungen für Privathaushalte schon jetzt erhöht werden, fordert die Bundesnetzagentur. Nachforderungen wären sonst nicht immer stemmbar.
Hohe Energiekosten treffen Kunden mit Verzögerung

Hohe Energiekosten treffen Kunden mit Verzögerung

Foto: CarlH / Getty Images/EyeEm

Mit Blick auf die Gefahr eines Gaslieferstopps aus Russland ruft die Bundesregierung bereits vorsorglich zum Energiesparen auf. Doch Fachleute fürchten, dass viele Verbraucher den Ernst der Lage unterschätzen.

Die Bundesnetzagentur hat sich nun im Umgang mit der Gaskrise dafür ausgesprochen, Privathaushalte nicht zu spät mit steigenden Kosten zu konfrontieren. »Viele Haushalte werden erst bei der Heizabrechnung im nächsten Jahr bemerken, wie stark der Preis gestiegen ist, und die Nachzahlungen nicht stemmen können«, sagte Behördenchef Klaus Müller der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«. »Wenn die Abschläge erst nächstes Jahr erhöht werden, trifft es viele Menschen unvorbereitet.« Im Umgang mit Gasknappheit seien Preissignale wie höhere Abschläge wirksamer als Verzichtsappelle.

Privathaushalte in Deutschland haben schon vor Beginn des Ukrainekriegs mehr für Gas und Strom zahlen müssen. Im zweiten Halbjahr 2021 kostete eine Kilowattstunde Erdgas laut Statistischem Bundesamt im Schnitt 6,83 Cent. Das waren 6,6 Prozent mehr als in den ersten sechs Monaten des Jahres. Die Strompreise stiegen im selben Zeitraum um 0,8 Prozent auf durchschnittlich 32,87 Cent je Kilowattstunde.

Energie hatte sich bereits im Zuge der weltweiten Konjunkturerholung nach der Coronakrise verteuert. Der russische Angriff auf die Ukraine heizt die Preise jetzt zusätzlich an.

Behörde steht vor einer schwierigen Aufgabe

Durch den Krieg ist auch das Risiko gestiegen, dass Russland Gaslieferungen kappen könnte. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) rief am Mittwoch deshalb die Vorwarnstufe des Gas-Notfallplans aus. In einer späteren Stufe müsste die Bundesnetzagentur über die Abschaltung von Gasnutzern entscheiden.

Behördenchef Müller kritisierte die Erwartungshaltung, dass die Bundesnetzagentur bereits jetzt festlegen solle, in welcher Reihenfolge der Industrie im Ernstfall der Gashahn zugedreht werde. »Das wird nicht gehen«, sagte er. Dazu seien zu viele Randbedingungen offen.

Die Netzagentur werde nun Positivkriterien definieren. Aber auch das sei wegen der Verflechtung der Wirtschaft komplex. Die Behörde führt Gespräche mit der Industrie, um den genauen Gasbedarf zu erfahren.

Nach der sogenannten Frühwarnstufe des Gas-Notfallplans, die nun ausgerufen wurde, gibt es noch eine Alarmstufe und schließlich eine Notfallstufe, in der aktiv eingegriffen wird. Die Bundesnetzagentur entscheidet dann, wer noch wie viel Gas geliefert bekommt. Besonderen Schutz genießen etwa private Verbraucher und soziale Einrichtungen.

Arbeitgeber kritisieren Priorisierung von Privathaushalten

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall sprach sich jedoch gegen eine Bevorzugung privater Haushalte bei einem Notstand aus. »Niemandem wäre damit gedient, wenn die Menschen bei 24 Grad zu Hause in der Wohnung sitzen, aber die Unternehmen, in denen sie arbeiten, zusammenbrechen«, warnte Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf im Gespräch mit der »Augsburger Allgemeinen«. Die Netzagentur müsse daher ihre Reihenfolge der Gasabschaltung im Notfall überdenken.

Wolf warnte vor dem »größten wirtschaftlichen Einbruch in der Nachkriegszeit«, sollte die Industrie gezwungen sein, wegen mangelnder Gaslieferungen in hohem Maße herunterzufahren. Er rechne dann damit, dass die Kurzarbeit sprunghaft ansteige und Firmen zum Teil Beschäftigte entlassen müssten.

Nicht nur in Deutschland arbeiten Regierung und Behörden daran, die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu verringern. In niederländischen Behörden werden nun die Thermostate um zwei Grad Celsius nach unten geregelt. Die Regierung wolle auf diese Weise mit gutem Beispiel vorangehen, berichtete die Nachrichtenagentur ANP.

»Ziehen Sie Socken an«

»Unsere Energierechnung steigt, wir müssen weniger abhängig von Gas aus Russland werden, und wir wollen gegen den Klimawandel angehen«, heißt es in einem am selben Tag landesweit verbreiteten Energiespar-Appell der niederländischen Regierung. In Zeitungsanzeigen und mittels einer Onlinekampagne werden die Bürger aufgerufen, die Heizung bei sich zu Hause auf höchstens 19 Grad einzustellen.

»Ziehen Sie eine warme Jacke oder einen warmen Pullover, Socken und Hausschuhe an«, wird den Niederländern geraten. Und: »Wenn Sie zu Hause aktiv sind, kann der Thermostat vielleicht auch noch ein Grad niedriger gedreht werden.«

mmq/dpa/AFP
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren