Öffnung von Restaurants "Wir kämpfen hier um jeden Gast"

Seit dieser Woche dürfen Restaurants in Niedersachsen unter Auflagen wieder öffnen. Gastronom Alexander Korte aus Lüneburg war erst überrascht und fröhlich, dann skeptisch. Wie lief nun der Neustart?
Gastronom Alexander Korte: "Das waren Kioskumsätze"

Gastronom Alexander Korte: "Das waren Kioskumsätze"

Foto: Robin Wille/ DER SPIEGEL

"Haben Sie noch ein Plätzchen frei?", fragt der Gast an der Tür. Erst vor wenigen Minuten hat Alexander Korte an diesem Dienstag sein Restaurant, das Alte Brauhaus in Lüneburg, geöffnet. Korte nickt, es ist noch Platz. Alle Tische sind frei. 

Vor einer Woche war Niedersachsen als erstes Bundesland vorgeprescht und hatte angekündigt, die Corona-Auflagen für die Gastronomie zu lockern. Restaurants dürfen seit dem 11. Mai wieder Gäste empfangen. Korte wurde überrascht: "Ich war mir relativ sicher, dass wir nicht vor Juni öffnen dürfen", sagt er. 

Der 44-Jährige führt das Alte Brauhaus gemeinsam mit seiner Schwester in der zweiten Generation. Sie steht hinter dem Tresen, er am Herd. Korte hat 1994 im Hamburger Luxushotel Vier Jahreszeiten seine Lehre gemacht, er kochte im Brenners Park-Hotel in Baden-Baden und auf der MS Europa, ehe er das Restaurant der Eltern übernahm.

Altes Brauhaus in der Lüneburger Fußgängerzone

Altes Brauhaus in der Lüneburger Fußgängerzone

Foto: Robin Wille/ DER SPIEGEL

Wie Korte durften auch andere Gastronomen fast zwei Monate niemanden bewirten. Die Umsätze brachen weg, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden in Kurzarbeit geschickt, Minijobber verloren ihren Job. Jetzt sollte es plötzlich ganz schnell gehen und die Restaurants innerhalb von einer Woche wieder öffnen - im Sicherheitsmodus. Kann das funktionieren? 

Der SPIEGEL hat Alexander Korte seit der Ankündigung für die Öffnung der Restaurants in Niedersachsen begleitet, unter der Woche täglich mit ihm telefoniert und die Eröffnung mitverfolgt. Entstanden ist ein Protokoll, das zeigt, wie Vorfreude der Skepsis weicht und die Unsicherheit in der Gastronomie bleibt.

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Dienstag, 5. Mai: Am Vortag hat Niedersachsen die Öffnung der Restaurants in der kommenden Woche verkündet.

In einer Woche will Korte das Alte Brauhaus wieder öffnen. Er dürfte auch schon am Montag, aber da hat er Ruhetag. Der März sei eine Katastrophe gewesen, schon kurz vor der Schließung habe er Tagesumsätze von 80 oder 150 Euro gemacht. Für ein Restaurant, in dem das Wiener Schnitzel mit Bratkartoffeln, Gurkenrahmsalat, Preiselbeeren und Zitrone 24,90 Euro kostet, viel zu wenig. "Das waren Kioskumsätze", sagt er.

Damals dachte er noch, er könne in zwei Wochen wieder loslegen. Als er merkte, dass es länger gehen wird, beantragte er Soforthilfe, 15.000 Euro. Einen Kredit bräuchten sie bisher noch nicht, sie seien finanziell gut gepolstert, "aber natürlich auf die Einnahmen angewiesen". 

Korte freut sich, "dass es wieder losgeht". Auch wenn er noch nicht weiß, unter welchen Voraussetzungen. Bis jetzt ist nur bekannt, dass die Auslastung auf 50 Prozent begrenzt ist. Er hofft, dass am Mittwoch, nach der Videokonferenz zwischen den Ministerpräsidenten und der Kanzlerin, alles geklärt ist "und dann das Telefon klingelt und wir das Reservierungsbuch vollschreiben können", sagt er und lacht: "Zumindest halb voll."

Altes Brauhaus: "Das Reservierungsbuch vollschreiben"

Altes Brauhaus: "Das Reservierungsbuch vollschreiben"

Foto: Robin Wille/ DER SPIEGEL

Mittwoch, 6. Mai: Nach dem Corona-Gipfel überlässt der Bund den Ländern weitestgehend die Verantwortung für weitere Lockerungen.

"Ich habe auf jeden Fall mehr erwartet. Uns fehlt noch immer die Klarheit, um zu wissen, worauf wir uns einlassen", sagt Korte. Das Telefon habe schon geklingelt, vier oder fünf Reservierungen, nicht so viele wie gedacht. Aber Korte ist zuversichtlich, dass sich das häufen wird, "wenn die Menschen heute Abend die Nachrichten schauen". 

Gerade zu Beginn der Einschränkungen sei die Unterstützung eine tolle Sache gewesen, aber so langsam lasse auch das Mitnahmegeschäft nach, das Korte eingeführt hat. Er vermutet, weil die Menschen wüssten, dass sie bald wieder von einem heißen Porzellanteller essen könnten und nicht aus der Styroporschale. Im April habe er mit dem Außer-Haus-Verkauf etwa 3000 Euro verdient, doch das sei "nur ein Tropfen auf dem heißen Stein". 

Donnerstag, 7. Mai

Korte hat die Bierleitungen gereinigt und grübelt. "Am Montag war ich noch optimistisch, aber seit heute überwiegt die Skepsis. Ich habe gedacht, dass viel mehr passiert", sagt er. Die Reservierungen sind weiter verhalten. "Wir kämpfen hier um jeden Gast und jeden Euro, aber gerade glaube ich nicht, dass wir die 50 Prozent schaffen." 

Freitag, 8. Mai

Noch immer weiß Korte nicht, welche Regeln das Land Niedersachsen für die Öffnung vorgibt. Er hat sich Empfehlungen des Branchenverbands Dehoga ausgedruckt und ist skeptisch. Es sei "unheimlich schwierig", sich an all die Vorgaben zu halten, jahrelange Automatismen würden "rigoros verändert".

Trotzdem bereitet er sich vor, so gut er kann. Er hat seine Speisekarte auf eine DIN-A4-Seite reduziert und laminieren lassen, damit er sie desinfizieren kann. In der Küche laufen die Vorbereitungen. Es ist Nachmittag, Korte wartet noch auf eine Lieferung, die schon vor Stunden hätte kommen sollen. Das sei "vor Corona noch nie passiert", grummelt er. 

Montag, 11. Mai

Am Wochenende hat Korte die niedersächsische Verordnung erhalten. Im Grunde stünde darin nichts, womit er nicht gerechnet habe, sagt er. Nur, dass die Gäste unterschreiben müssen, dass ihre Daten für drei Wochen gespeichert werden dürfen, hält er für "unheimlich umständlich". Am Wochenende ist er mit dem Zollstock durch das Restaurant gegangen, hat Tische und Stühle rausgestellt und Tafeln mit Hinweisen zu den Regeln beschriftet. 

Hinweise am Eingang: "Bitte tragen Sie Ihre Maske"

Hinweise am Eingang: "Bitte tragen Sie Ihre Maske"

Foto: Robin Wille/ DER SPIEGEL

Korte ist sich mittlerweile sicher, dass er die 50-Prozent-Auslastung "nicht ansatzweise" erreichen wird, das sei "völlig utopisch". Er will nun abwarten, wie sich das Geschäft entwickelt. Wenn es sich nicht rentiert, könne es sein, dass er wieder schließt, die Personalkosten seien sonst zu hoch.

Dienstag, 12. Mai

Alles ist vorbereitet. Die Tische sind leer geräumt - keine Blumen, kein Salz, kein Pfeffer. Am Eingang stehen auf einer Tafel Hinweise wie "Bitte warten, wir bringen Sie an den Tisch". Daneben ein Spender mit Desinfektionsmittel. Für den Mittag hat Korte zwei Reservierungen, am Abend erwartet er insgesamt zwölf Personen. Er rechnet nicht damit, dass spontan weitere Gäste kommen. 

Als kurz nach der Öffnung der erste Gast hineinkommt und kurz darauf drei weitere, ist Korte etwas baff und "erleichtert, dass die Tür doch aufgeht".

Nach fast zwei Monaten kommt dann wieder das erste Gericht aus der Küche getragen, Backfisch mit Kartoffelsalat, Remoulade und Gurkensalat. Noch etwas unbeholfen trägt es der Kellner an den Tisch, das Besteck muss sich der Gast selbst vom Tablett nehmen. 

"Bevor es mit der Schließung losging, war ich noch am Tag zuvor hier", sagt der Gast zu Kortes Schwester Beatrix.

"Und heute sind Sie der Erste", sagt sie. 

"Wahnsinn", sagt der Gast. "Auf diesen Backfisch habe ich lange gewartet."

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