Geplante Finanzreform Schäuble drängt Kommunen in Steuerschlacht

Offiziell plant Finanzminister Schäuble eine Steuerreform - in Wahrheit ist es eine Revolution. Städte und Gemeinden sollen künftig selbst entscheiden, wie stark sie ihre Bürger belasten wollen. Damit droht den Kommunen ein radikaler Finanzwettbewerb.
Hamburger Hafencity: Über Prestige-Projekte gäbe es künftig wohl noch mehr Streit

Hamburger Hafencity: Über Prestige-Projekte gäbe es künftig wohl noch mehr Streit

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Wolfgang Schäuble

Hamburg - Finanzminister plant eine Steuerreform, die für die Kommunen weitreichende Folgen hätte. Sie sollen große Freiheiten erhalten - und in einen knallharten Wettbewerb zueinander treten.

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Im Kern geht es darum, die Einkommensteuer zu splitten. Auf der einen Seite wären nur die Einnahmen von Bund und Ländern. Dadurch könnte der Spitzensteuersatz von derzeit 42 auf knapp 36 Prozent und der Eingangssteuersatz von 14 auf rund 12 Prozent sinken. Auf der anderen Seite sollen die künftig selbst Zuschläge erheben dürfen: eine eigene , deren Höhe sie in regelmäßigen Abständen ändern können. Je mehr Geld sie für kommunale Projekte brauchen, desto höher könnten sie die eigene Steuer schrauben.

Das Konzept soll zweierlei bewirken:

  • Die Gemeinden erhalten einen großen Spielraum für eigene Steuern. Bisher haben ihnen Bund und Länder pauschal 15 Prozent des Einkommensteueraufkommens überwiesen. Künftig sollen sie diese Summe selbst erheben - oder, je nach Geldbedarf, etwas mehr oder weniger. Insgesamt hätten die Kommunen so über einen jährlichen Betrag von 25 bis 27 Milliarden Euro die Eigenverantwortung.
  • Der Finanzminister will den Kommunen mehr Freiheiten bei den Ausgaben gewähren. Derzeit regiert der Bund den Gemeinden stark in ihre Etats hinein. Künftig sollen sie freier entscheiden können, wofür sie ihr Geld ausgeben. Sie sollen zum Beispiel mehr Spielraum bekommen, ihre Mietzuschüsse für Hartz-IV-Empfänger anzupassen.

"Mehr Demokratie auf kommunaler Ebene"

Offiziell argumentiert Schäuble, er wolle die Finanzierung der Kommunen auf eine breitere Basis stellen. Bislang sind die Gemeinden und Städte vor allem von der Gewerbesteuer abhängig. Diese schwankt je nach Wirtschaftslage stark. Gehen die Geschäfte der Unternehmen schlecht, sinken ihre Gewinne - und damit ihre Abgaben an die Kommunen. Die Einkommensteuer gilt als krisenfester. Sollten die Gemeinden hier künftig einen eigenen Aufschlag erheben, wären ihre Haushalte stabiler.

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Tatsächlich aber ist die geplante Steuerreform weit mehr - sie ist eigentlich eine Strukturreform. "Sie würde dazu führen, dass es mehr Demokratie auf kommunaler Ebene gibt", sagt Ralph Brügelmann, Steuerexperte am IW Köln. "Eine Kommunalregierung müsste sich bei ihren Wählern dafür rechtfertigen, wenn sie wegen eines teuren Infrastrukturplans die Steuern erhöhen muss." Über Prestigeprojekte wie die Hamburger Hafencity gäbe es künftig wohl noch mehr Streit. Schäuble will also nicht einfach das Geldproblem der Kommunen lösen - er will sie zu mehr Eigenverantwortung zwingen. Sprich: zu mehr Wettbewerb.

Dieses Projekt scheint dem Minister eine Herzensangelegenheit zu sein. Der Vorschlag für das aktuelle Konzept stamme aus der höheren Leitungsebene, berichtet eine Person aus dem Umfeld des Finanzministeriums. Der Plan stammt demnach von Schäuble selbst - oder von einem seiner Vertrauten.

Bisher prüften Mitarbeiter des Ministeriums einen ganz anderen Vorschlag: Ihm zufolge sollte die Gewerbesteuer ganz abgeschafft werden, dafür sollten Umsatz- und Körperschaftssteuer erhöht werden. Zusätzlich sollten die Kommunen ermächtigt werden, einen Teil der Einkommensteuer selbst zu erheben.

Kommunen im Finanzwettbewerb

Dass Schäuble nun von diesem Konzept abweicht, halten Beobachter für einen cleveren Schachzug. "Die Abschaffung der Gewerbesteuer ist leider nahezu ausgeschlossen", sagt Brügelmann. "Da schalten die Kommunen auf stur." Doch jetzt, da Schäuble ihnen in diesem vermeintlichen Hauptstreitpunkt entgegenkommt, zeigt sich, dass ihnen auch die Möglichkeit, einen Teil der Einkommensteuer selbst zu erheben, nicht behagt.

Der Vorschlag sei fatal, sagte Christian Ude (SPD), Vizepräsident des Deutschen Städtetags, der "Süddeutschen Zeitung". Er würde Städte in Finanznot zu Steuererhöhungen zwingen. Dadurch aber würden sie für Besserverdienende noch unattraktiver.

Aber stimmt das wirklich? "Ich halte es für unrealistisch, dass massenhaft Bürger ihren Wohnort wechseln, wenn eine Kommune die Steuern erhöht", sagt Brügelmann. Die Steuerersparnis am neuen Wohnort müsste ja erst einmal die Kosten des Umzugs aufwiegen." Sollten Städte aufgrund günstiger steuerlicher Bedingungen besonders attraktiv werden, dürften dort zudem die Immobilienpreise und Lebenshaltungskosten steigen - was die Steuervorteile zum Teil wieder aufhebt.

Allerdings ist die Angst, Steuerzahler könnten die eigene Gemeinde verlassen, ein wirksames Druckmittel, um Kommunen zu strengerem Haushalten zu zwingen. Auch hier werden die Gemeinden also zu mehr Eigenverantwortung getrieben.

Doch was heißt das für eine klamme Kommune? Um nicht ständig die Steuern erhöhen zu müssen, dürfte eine Stadt wie Berlin radikal sparen. Davon wären vor allem Einrichtungen wie Kindertagesstätten oder öffentliche Bibliotheken noch stärker betroffen als sie es jetzt schon sind.

Showdown im Bundesrat

Bleibt die Frage, wie realistisch es ist, dass Schäuble sein Konzept durchsetzt. Fest steht: Das Grundgesetz müsste er für die geplante Reform nicht ändern. Dass die Kommunen einen Teil der Einkommensteuer selbst erheben, ist laut Artikel 106, Absatz 5 ausdrücklich erlaubt. Dort steht allerdings auch ausdrücklich, dass der Bundesrat der Einführung eines Steuer-Splittings zustimmen muss. Doch in dem hat die Opposition die Mehrheit - sie könnte den Finanzminister auflaufen lassen.

Die Kommunen indes haben sich bereiterklärt, Schäubles Vorschlag in der Arbeitsgruppe Kommunalsteuern und in der Gemeindefinanzkommission zu diskutieren.

Auch hat Schäuble noch Verhandlungsspielraum. So hat er angeboten, der Bund könne die Grundsicherung im Alter künftig vollständig finanzieren. Diese Leistungen erhalten über 65-Jährige, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können. Sie kosteten den Staat im vergangenen Jahr fast vier Milliarden Euro.

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