Gesundheitspläne der Koalition Armutszeugnis in schwarz-gelb

Mit einer Gesundheitsreform im Blitztempo und drastischen Beitragserhöhung versucht Schwarz-Gelb den Befreiungsschlag. Tatsächlich patzt die Koalition gleich dreifach: Das Konzept lässt politischen Mut vermissen, ist widersprüchlich und macht das System nur noch bürokratischer.
Arzt im Krankenhaus: "Für-jeden-was-dabei"-Lösung der Koalition

Arzt im Krankenhaus: "Für-jeden-was-dabei"-Lösung der Koalition

Foto: DDP

die schwarz-gelbe Koalition

Hamburg - Jetzt sollen es also höhere Beiträge richten: Zur Schließung des Finanzlochs in der gesetzlichen Krankenversicherung plant eine Anhebung des Beitragssatzes von derzeit 14,9 auf 15,5 Prozent.

Das ist nach einem monatelangen Streit ein ausgesprochen mageres Ergebnis.

Da kämpfte die FDP munter für die Umwandlung des Arbeitnehmerbeitrags in eine Kopfpauschale. Da verteidigte die CSU hartnäckig den Status Quo. Und was die CDU eigentlich genau wollte, ist bis heute nicht ganz klar. Umso deutlicher wurde, wie zerstritten die Koalition bei diesem Thema ist. Man erinnere sich nur an den Disput zwischen Christsozialen und Liberalen, der in wüsten Beschimpfungen endete ("Wildsäue", "Gurkentruppe").

Jetzt gibt es immerhin im Grundsatz eine Einigung. Wenn der Beitragssatz auf 15,5 Prozent steigt, müssen besserverdienende Versicherte pro Monat gut elf Euro mehr zahlen. Macht 135 Euro pro Jahr. Gleichzeitig soll der monatliche Zusatzbeitrag, der unabhängig vom Einkommen erhoben werden kann, "weiterentwickelt" werden, wie es im Politsprech so schön heißt. Dahinter verbirgt sich ebenfalls eine Verteuerung, denn es fehlt ja Geld im System.

Zwei Varianten für den Zusatzbeitrag

Während der Zusatzbeitrag heute maximal ein Prozent des Einkommens beträgt (bis zu 37,50 Euro pro Monat), soll er künftig wahrscheinlich gestaffelt werden. Das könnte so aussehen: Wer etwa bis zu 1500 Euro im Monat verdient, zahlt höchstens ein Prozent, wer mehr hat, bis zu 2 oder 2,5 Prozent. Da kommen bei Gutverdienern schnell fast 100 Euro pro Monat zusammen.

Eine andere Variante, die sich die Regierung offenlässt: Die Kassen könnten in Zukunft ohne Einkommensprüfung zwischen 12 und 15 Euro pro Monat von den Versicherten kassieren (bislang sind es acht Euro). Gleichzeitig steigt der maximale Zusatzbeitrag auf bis zu 1,5 Prozent des Einkommens.

Allein die Anhebung des allgemeinen Beitragssatzes um 0,6 Prozentpunkte wird den Kassen Mehreinnahmen von sechs Milliarden Euro pro Jahr bescheren. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat für 2011 noch einen Zwei-Milliarden-Euro-Zuschuss zum Gesundheitsfonds versprochen und die Koalition ein Pharma-Sparpaket in Höhe von einer Milliarde Euro verabschiedet.

Deshalb dürften vom ursprünglich für 2011 erwarteten Defizit von elf Milliarden Euro nur zwei Milliarden Euro übrigbleiben. Die wird Schwarz-gelb irgendwo zusammenkratzen. So gibt es bereits Überlegungen, dass die gesetzlichen Versicherungen künftig nicht mehr für die Verletzungen nach Verkehrsunfällen aufkommen müssen.

Ein simpler Kabinettsbeschluss hätte gereicht

Auf den ersten Blick könnte man nun meinen, da habe die Koalition eine typische "Für-jeden-was-dabei"-Lösung gefunden. Das Problem eines Horror-Defizits ist gelöst. Und jeder der drei Partner bekommt einen Teil seiner Forderungen erfüllt.

Bereits das ist ein bescheidener Anspruch an Politik. Mit Gestaltungswillen haben solche Kompromisse kaum noch etwas zu tun. Was aber noch schlimmer ist: Die Koalition hat sich für die mutloseste, widersprüchlichste und bürokratischste Lösung entschieden.

So ist die Absicht, den allgemeinen Beitragssatz anzuheben, kein forscher Schritt, sondern ein zaghaftes Manöverchen - auch wenn Versicherte und Arbeitgeber aufschreien werden. Es handelt sich um den Weg des geringsten Widerstands. Diesen sind zwar auch schon frühere Regierungen am liebsten gegangen. Nur hatte Schwarz-Gelb stets getönt, neue Rezepte für den Umbau der Sozialsysteme ausprobieren zu wollen. Vom ursprünglichen Vorhaben, die Entwicklung der Gesundheitsausgaben von den Lohnnebenkosten zu entkoppeln, ganz zu schweigen.

Wenn die Regierung schon keinen politischen Mut hat - wie er etwa zur Einführung einer Kopfpauschale oder echten Strukturreformen auf der Ausgabenseite nötig ist - dann hätte sie sich das besser sofort eingestehen sollen. Um den allgemeinen Beitragssatz anzuheben, hätte ein ganz simpler Beschluss des Kabinetts gereicht. Die Sandkasten-Spielchen der vergangenen Monate wären dem Publikum damit ebenso erspart geblieben wie die Blessuren, die alle Kombattanten nun tragen.

Im Prinzip eine schöne Idee, aber nicht praxistauglich

Zumal die Vorhaben der Koalition grundsätzlich dem widersprechen, was die Krankenkassen für eine sinnvolle Planung bräuchten: Kontinuität. Bislang waren alle Anbieter davon ausgegangen, dass Union und FDP alles tun würden - nur nicht den Beitragssatz anheben.

Klamme Kassen wie die DAK, immerhin eine der größten der Republik, haben deshalb in diesem Jahr die unbeliebten Zusatzbeiträge eingeführt. Dafür haben sie bereits einen hohen Preis bezahlt. Die DAK verlor weit mehr als Hunderttausend Mitglieder. Bislang konnte sie zumindest darauf hoffen, die Vorhut einer Bewegung zu sein. Denn es galt als ausgemacht, dass ab kommendem Jahr fast alle Kassen mit den Mini-Kopfpauschalen nachziehen müssen. Nun steht die DAK blamiert da - und mit ihr all die anderen gesetzlichen Versicherungen, die aus purer Not vorgeprescht sind.

Es kommt aber noch schlimmer: Ausgerechnet jene Parteien, die in Sonntagsreden gerne vom notwendigen Bürokratieabbau reden, wollen das eh schon überregulierte Gesundheitssystem noch komplizierter machen.

Ein gestaffelter Zusatzbeitrag mag im Prinzip eine schöne Idee sein, weil er dem Empfinden nach sozialer Gerechtigkeit entspricht. Nur macht er die Praxis extrem umständlich. Die Kassen müssen künftig nicht nur flächendeckend die Einkommen ihrer Mitglieder erfassen, sondern die Versicherten müssen AOK und Co. auch jegliche Veränderung beim Gehalt melden. Es könnte ja ein höherer Zusatzbeitrag fällig werden. Ob dabei alle mitmachen, ist fraglich.

Mutlos, widersprüchlich, kompliziert: Mit den am Freitag bekannt gewordenen Gesundheitsplänen macht die schwarz-gelbe Regierung ihrem Ruf als Murks-Koalition einmal mehr alle Ehre.

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