Rettung Italiens Sein Name: Bond, Corona-Bond

Italiens Premierminister Giuseppe Conte: Hilfen aus dem Rettungsfonds ESM lehnt das Land ab
Foto:HANDOUT/ AFP
Eigentlich hätte das Pandemie-Notprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) alle Sorgen wegwischen sollen. Gerade fünf Wochen ist es her, Italiens Gläubiger wurden immer nervöser, da zückte Christine Lagarde die sogenannte Bazooka. "Es gibt keine Grenzen für unseren Einsatz für den Euro", erklärte die EZB-Chefin nach einer nächtlichen Krisensitzung. Gerade hatten die Notenbanker beschlossen, für 750 Milliarden Euro staatliche und Unternehmensanleihen aufzukaufen, um eine neue Euro-Schuldenkrise im Keim zu ersticken.
In den Tagen davor waren die sogenannten Spreads für italienische Staatsanleihen hochgeschossen - jene Zinsaufschläge, die Investoren dafür verlangen, dass sie Schuldpapiere des hoch verschuldeten, von der Pandemie schwer getroffenen Landes kaufen - anstelle der als sicher geltenden Bundesanleihen aus Deutschland. Bis auf 2,91 Prozentpunkt war diese Risikoprämie gestiegen.
Nach Lagardes Ankündigung beruhigte sich die Lage wieder. Aber mit dieser Ruhe scheint es mittlerweile, kurz vor dem EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs an diesem Donnerstag, wieder vorbei.
Am Mittwoch kletterte der Italien-Spread schon wieder bis auf 2,71 Prozentpunkte. Die Spanien- und Portugal-Spreads erreichten sogar neue Coronakrisen-Höchststände.
Noch ist es längst nicht so weit wie in den dunkelsten Tagen der Euro-Schuldenkrise im Jahr 2012, als der der Italien-Spread zeitweise bei über 5,5 Prozent lag. Bei seiner jüngsten Anleiheemission wurde Italien seine Schuldenpapiere noch sehr gut los. Die Nachfrage lag um ein Vielfaches höher als das Angebot.
Doch der Trend ist zumindest gefährlich. Denn je höher die Risikoaufschläge sind, desto teurer wird es mittelfristig für Staaten, Schulden aufzunehmen. Und wenn nicht einmal das neue 750-Milliarden-Programm der EZB reicht, um Ängste vor einer Neuauflage der Eurokrise zu zerstreuen, muss man sich fragen, was denn noch kommen soll. Und vor allem von wem.
Am 31. Dezember 2019 wandte sich China erstmals an die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In der Millionenstadt Wuhan häuften sich Fälle einer rätselhaften Lungenentzündung. Mittlerweile sind mehr als 180 Millionen Menschen weltweit nachweislich erkrankt, die Situation ändert sich von Tag zu Tag. Auf dieser Seite finden Sie einen Überblick über alle SPIEGEL-Artikel zum Thema.
Die EU-Mitgliedstaaten scheinen derzeit zu zerstritten für den ganz großen Wurf. Beim Gipfel an diesem Donnerstag werden die Regierungschefs Italiens, Spaniens, Portugals und Frankreichs mal wieder Corona-Bonds fordern - also gemeinsame Anleihen aller Euroländer zur Bewältigung der Krise. Und die von Deutschland, Österreich, Finnland und den Niederlanden werden sie mal wieder ablehnen. Sie wollen keine gemeinsame Haftung für Schulden.
Die Nordeuropäer werden die Südeuropäer auf das vor zwei Wochen vereinbarte Rettungspaket über mehr als 500 Milliarden Euro verweisen: mit einem Kurzarbeiterprogramm der EU-Kommission, einem Garantiefonds der Europäischen Investitionsbank – und vor allem zusätzliche Kreditlinien durch den Euro-Rettungsschirm ESM in Höhe von 240 Milliarden Euro. Und die Südeuropäer werden vortragen, warum ihnen das nicht genügt.
Italiens Regierung meutert sogar gegen die Rettungsschirm-Hilfen. "Italien braucht den ESM nicht", sagte Premierminister Giuseppe Conte am Mittwoch vergangener Woche. In einer Krisensitzung des Kabinetts soll die populistische Fünf-Sterne-Bewegung Medienberichten zufolge gedroht haben, die Koalition platzen zu lassen, falls Conte die angebotenen 39 Milliarden Euro aus Brüssel annehme.
Druck auf den Norden
Seit Contes Nein steigt der Italien-Spread wieder rapide. "Italiens Regierung geht auf Krawallkurs", kritisiert Jörg Krämer, Chefökonom der Commerzbank. Sie schlage die beschlossenen Hilfen aus, um stattdessen auf einen Freifahrtschein in Form von Corona-Bonds zu hoffen. "Wenn Rom mit dieser Alles-oder-Nichts-Strategie einen neuen Konflikt entfacht, ist es doch klar, dass die Risikoaufschläge hochgehen." Dies habe Contes Regierung womöglich sogar bewusst einkalkuliert, um den Druck auf die Corona-Bonds-Gegner zu erhöhen.
Am Anleihemarkt sei Italien wieder "ein großes Thema", berichtet ein Insider, der schon die Euro-Schuldenkrise mitgemacht hat. "Wenn der Spread über 2,5 Prozentpunkte steigt, werden viele Investoren nervös – und die EZB auch. Dass Italien so sehr darauf pocht, einen Teil seiner Neuschulden über Corona-Bonds zu vergemeinschaften, spricht für sehr angespannte Staatsfinanzen."
Schon vor der Coronakrise hatte das Land die zweithöchste Schuldenquote aller Eurostaaten - fast 135 Prozent der Wirtschaftsleistung. Bald könnten es 160, 170, 180 Prozent werden. Deswegen drohen Italien nun auch noch Herabstufungen durch die Ratingagenturen, die die Kreditwürdigkeit von Staaten bewerten und entsprechende Noten vergeben, an denen sich Investoren orientieren können. Schwächere Bonitätsnoten könnten dazu führen, dass Investoren ihre Schuldpapiere abstoßen und der Spread weiter steigt. Die Agentur Moody's stuft Italiens Kreditwürdigkeit nur noch eine Stufe über "Ramschniveau" ein, bei S&P und Fitch liegt die Bonitätsnote geringfügig höher.
Die EZB in Bedrängnis
Auch für die EZB wären Downgrades ein Problem. Nach ihren eigenen Regeln müsste die Notenbank Italiens Schuldpapiere von ihrem Anleihekaufprogramm ausschließen, sobald alle großen Ratingagenturen dem Land Ramschstatus attestieren. Dieses Szenario, so glauben sie bei der EZB, werde derzeit an den Märkten gespielt – ein weiterer Grund, warum die Zinsen auf italienische Staatsanleihen steigen.
Am Mittwochabend disktutierten die Notenbankchefs der Eurozone per Videoschalte, ob sie Italiens Staatsanleihen auch dann noch als Sicherheit akzeptieren werden, wenn das Rating des Landes auf Ramschstatus fällt. Im Anschluss an ihre außerordentliche Sitzung gab die EZB dann grünes Licht für Italien: Sie wird künftig auch Schuldpapiere mit Ramsch-Charakter akzeptieren, die Geschäftsbanken bei ihr als Sicherheit hinterlegen, sobald sie sich Geld leihen wollen. Erst vor zwei Wochen hatte die EZB mitgeteilt, griechische Ramsch-Schulden zu akzeptieren. Nun gilt diese Regel, zunächst befristet bis September 2021, auch für die Anleihen anderer Euro-Mitgliedstaaten - und ebenso für Unternehmensanleihen mit Ramschniveau.
Gerade letzteres ist fast genauso bemerkenswert wie die Ausnahmegenehmigung für Staatsanleihen: Denn seit 2011, so die Schweizer Bank UBS, ist das Volumen europäischer Unternehmensanleihen, die gerade noch eine Stufe über Ramsch bewertet werden, von 330 Milliarden Euro auf 1,14 Billionen Euro explodiert. Mit anderen Worten: Würden diese Papiere von den Ratingagenturen auch nur eine Stufe schlechter bewertet, hätte die EZB sie schon nicht mehr als Sicherheit akzeptieren können und viele Geschäftsbanken in Schwierigkeiten gebracht, die sich Geld bei der Notenbank leihen wollen.
Durch die Änderung der Regeln wird diese Gefahr nun gebannt. Doch der Preis der Lex Italia ist hoch: In der Bilanz der EZB sammeln sich immer mehr Schrottpapiere an; zudem werden Unternehmen mit Ramsch-Rating ermuntert, ihre riskanten Anleihen überhaupt erst an Investoren zu verkaufen.
Zugleich hoffen sie bei der EZB immer sehnlicher darauf, dass die Politik ihnen stärker zur Seite springt – möglichst schon bei diesem EU-Gipfel. Günstige Kredite für Italien seien nicht die Lösung, wenn das Land in absehbarer Zeit abermals strikte Sparauflagen erfüllen müsse und so in die nächste Rezession rutsche, heißt es aus Notenbank-Kreisen. Die Hilfen müssten als Transfers deklariert werden – auch wenn das heiße, dass solvente Nationen wie Deutschland, die Niederlande und womöglich einige Osteuropäer mehr zahlen müssten.
"Wir haben schon das Gefühl, vieles allein machen zu müssen. Zur Not machen wir auch noch mehr im Kampf gegen Corona", heißt es in Frankfurt. "Aber das allein wird nicht reichen."