Henrik Müller

Glyphosat und die Folgen Im Giftgewitter

Vor der Hauptversammlung des Bayer-Konzerns: Das Management hat völlig unterschätzt, wie stark öffentliche Debatten heute den Erfolg beeinflussen - von Unternehmen und von ganzen Volkswirtschaften.
Die Übernahme von Monsanto hat den Bayer-Konzern in eine heikle Lage gebracht. Vor allem wegen der hochemotionalen Debatte um Glyphosat (Symbolbild).

Die Übernahme von Monsanto hat den Bayer-Konzern in eine heikle Lage gebracht. Vor allem wegen der hochemotionalen Debatte um Glyphosat (Symbolbild).

Foto: Oliver Berg/DPA

Es gab eine Zeit, da war Bayer so ungefähr das langweiligste Unternehmen, das man sich vorstellen konnte. Es stand für Aspirin und Bundesligafußball, für Kultur und Sport, für Fairness und sozialen Ausgleich. Vermutlich gab es keinen anderen Konzern in Deutschland, der sich derart bemühte, das Gute in der Wirtschaft zu verkörpern.

Leverkusen - das war lange das Zentrum des rheinischen Kapitalismus.

Seit den Nullerjahren hat sich eine Menge geändert: Bayer wurde fokussiert und globalisiert. Durchaus mit Erfolg: Der deutsche Traditionskonzern war zeitweise das wertvollste Unternehmen an der deutschen Börse. Bayer änderte sich, so schien es, damit Vieles bleiben konnte, wie es war.

Doch seit der Übernahme des US-Agrarkonzerns Monsanto im vorigen Jahr ist nun eben gar nichts mehr, wie es war. Bei der Hauptversammlung am Freitag (neue Geschäftszahlen gibt's Donnerstag) wird es ordentlich zur Sache gehen. Aktionärsvertreter, Umweltaktivisten - alle sind auf der Zinne.

Der Aktienkurs hat sich seit Anfang vorigen Jahres fast halbiert. Angesichts der niedrigen Börsenbewertung steht die Drohung im Raum, aktivistische Investoren könnten das Unternehmen zerlegen. In diesem Szenario würden mehr als 150 Jahre deutscher Industriegeschichte ein schmachvolles Ende nehmen - eine absurde Folge einer wagemutigen Übernahme.

Die Mega-Fusion (63 Milliarden Dollar), die den Konzern eigentlich stärker machen sollte, hat das Unternehmen in eine heikle Lage gebracht. Die Bayer-Führung hat bereits ein Kostensenkungsprogramm angekündigt; 12.000 Jobs sollen wegfallen, davon 4500 in Deutschland. Das Management hat vorsorglich Gutachten in Auftrag gegeben, die belegen sollen, dass Vorstand und Aufsichtsrat bei der Übernahme korrekt gehandelt haben.

Jede Krise hat ihre eigene Dynamik. Aber Bayers Probleme sind auch eine Folge der völlig veränderten Mechanismen, mit denen öffentliche Auseinandersetzungen inzwischen geführt werden. Nicht nur die Politik steht unter dem Druck einer netzbasierten Öffentlichkeit. Auch die Wirtschaft muss nun damit rechnen, Ziel von Empörungswellen zu werden. Risiken, die die Bayer-Führung völlig unterschätzt hat.

Mehr als 11.000 Klagen wegen Glyphosat

Liam Condon war vorigen Herbst bei der Konferenz On the record an der TU Dortmund zu Gast. Im Bayer-Vorstand ist der Ire zuständig für den Agrarbereich und damit für jene Konzernteile, die früher mal Monsanto hießen und den Unkrautvernichter Glyphosat im Programm haben.

Condon war merklich angespannt bei unserem Live-Interview. Jeder Satz konnte massive Auswirkungen auf Tausende laufende Klagen in den USA haben, wodurch der Börsenwert des Konzerns um Milliarden Euro nach unten rauschen könnte.

In der öffentlichen Wahrnehmung ist Bayer jetzt der Glyphosat-Konzern. Das Pestizid, bekannt auch unter dem Markennamen "Round up", steht im Zentrum einer Klagewelle in den USA - mehr als 11.000 Klagen liegen inzwischen vor -, die parallel zur Übernahme durch Bayer begann. Und die Netzöffentlichkeit hat längst ihr Urteil gefällt.

Um nicht missverstanden zu werden: Es geht nicht darum, Glyphosat für unbedenklich zu erklären. Das müssen andere entscheiden. Aber dass es sich hierbei um Effekte einer überdrehten Öffentlichkeit handelt, liegt auf der Hand.

Müsli und andere Kalamitäten

Unter den Hashtags #glyphosat und #glyphosate prasselt Tag für Tag ein Giftgewitter auf das Unternehmen nieder. Netzaktivisten nehmen Bayer ins Visier. US-Anwälte werben für Sammelklagen. Medien greifen das Thema immer wieder auf; Zeitungen, Newsportale und Fernsehsender folgen dem Meinungstrend. Glyphosat wird in immer neuen Facetten thematisiert.

Es ist wie so häufig: Ein einmal mit eindeutig negativem Meinungstrend geprägtes Thema verschwindet nicht so leicht wieder. Die Debatte wird von immer weiteren Akteuren in Gang gehalten. Als etabliertes Hashtag zieht es Aktivisten an. Einige geben Studien in Auftrag, die wiederum medial aufgegriffen werden und die nächste Erregungswelle auslösen.

So beispielsweise im Herbst 2018, als die US-Umweltorganisation EWG eine Untersuchung veröffentlichte, wonach sich Glyphosat im Müsli bekannter US-Marken nachweisen ließ. Die Ergebnisse wurden dann beispielsweise in der CBS-Sendung Moneywatch diskutiert. Tenor der Gesprächsrunde: sicherheitshalber auf Müsli verzichten.

Mit Hilfe immer feinerer Messmethoden lassen sich nun Spuren aller möglichen Stoffe nachweisen, wie es bei der EWG-Studie der Fall war. Es sollte daher darum gehen, welche Wirkungen von diesen Spuren ausgehen. Und auch Folgewirkungen müssen mitbedacht werden, wenn man Glyphosat vom Markt nimmt. Welche alternativen Mittel stehen der Landwirtschaft zur Verfügung, und was ist über deren Einfluss auf Mensch und Natur bekannt?

Vernünftige Politik muss solche Abwägungen treffen. Klar, das ist kompliziert und daher ungeeignet für schnelldrehende, erhitzte Debatten.

Bayer hat lange versucht, sich nicht auf diese Art von Emotionalität einzulassen. In unserem Gespräch wiederholte Liam Condon denn auch eine Botschaft: Wir entscheiden nach nüchterner Evidenz. Schließlich ist das Unternehmen seit je her von Naturwissenschaftlern geprägt. Forschungsergebnisse, Studien, Risikobewertungen - so ticken nach wie vor große Teile der deutschen Wirtschaft.

Aber so einfach ist das eben nicht mehr. Betriebswirtschaftliche Optimierung findet heute unter den komplexen Nebenbedingungen einer polarisierten Öffentlichkeit statt.

Immer schön rational

Früher, das heißt: vor Social Media, wäre die Monsanto-Übernahme wohl in etwa so abgelaufen: Umweltschutzorganistationen wären Bayer öffentlich angegangen. Staatliche Behörden und unabhängige Institute hätten sich zur Sache Glyphosat geäußert. Journalisten hätten darüber berichtet.

Danach wäre das Thema aus der medialen Öffentlichkeit verschwunden; Bayer-Leute hätte sich mit Vertretern von NGOs und gegebenenfalls mit Anwälten von Geschädigten zusammengesetzt und nach Lösungen gesucht. Womöglich hätte Bayer unter diesen Bedingungen Glyphosat in Europa längst vom Markt genommen. Nach dem Motto: Wenn es gesellschaftlich nicht akzeptiert wird, dann lassen wir es eben. Den Hauptumsatz mit dem Mittel macht der Konzern ohnehin in Nord- und Südamerika.

Wäre ein solcher Schritt nicht angezeigt? Wäre das nicht geradezu ein Stück unternehmerischer Vernunft? fragte ich Condon bei unserem Gespräch im November. Nein, antwortete der Bayer-Manager, das habe man nicht vor. Der Subtext lautete: Wenn wir jetzt dem Druck nachgeben, dann schaffen wir einen Präzedenzfall. Dann entziehen wir womöglich unserem Unternehmen auch in anderen Bereichen die Geschäftsgrundlage; wir dürfen keinesfalls unseren Pfad verlassen.

Polarisierungen und Verhärtungen

Social Media sind eine tolle Sache, weil sie den öffentlichen Raum für alle Bürger öffnen - und weil sie das Potenzial haben, Interessen und Aspekte in Debatten zum Vorschein zu bringen, die ansonsten womöglich keine Chance gehabt hätten, wahrgenommen zu werden. Das gilt auch im Fall Glyphosat. Aber sie können eben auch zu Polarisierungen und Verhärtungen führen, die vernünftigen Lösungen im Wege stehen - siehe auch: die verfahrene Lage im Brexit-Britannien.

Auch früher wäre die Monsanto-Übernahme für Bayer enorm risikoreich gewesen: Schwierigkeiten bei der Integration von zwei völlig unterschiedlichen Unternehmenskulturen kommen bei derartigen Zusammenschlüssen immer wieder vor. Auch daran können Übernahmen letztlich scheitern.

Nun kommt öffentliche Erregung als Großrisiko dazu. Und Unternehmen tun sich schwer, mit diesen neuen Bedingungen umzugehen.

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