DGB-Chef zu Griechenland-Politik "Das Ergebnis einer Gehirnwäsche"

Die Wahl in Griechenland? Für DGB-Chef Hoffmann ein Votum über verfehlte Sparpolitik, die Südeuropäer hätten nicht über ihre Verhältnisse gelebt. Im Interview sagt der Gewerkschafter auch, mit welchen Tricks Firmen den Mindestlohn umgehen.
Wahlplakate in Athen (im Mai): "Ich verstehe die Aufregung überhaupt nicht"

Wahlplakate in Athen (im Mai): "Ich verstehe die Aufregung überhaupt nicht"

Foto: © Yorgos Karahalis / Reuters/ REUTERS

Berlin - Reiner Hoffmann wirkt erholt. Nach seinem ersten halben Jahr als Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) hat der 59-Jährige die Feiertage mit Freunden in Brüssel verbracht, wo er lange beim Europäischen Gewerkschaftsinstitut arbeitete.

Nun ist Hoffmann zurück in einem Land, wo seit wenigen Tagen ein Mindestlohn gilt - ein Vorzeigeprojekt für den DGB. Im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE berichtet Hoffman über die ersten Erfahrungen mit der Lohnuntergrenze und Versuche, sie zu umgehen. Zugleich übt er deutliche Kritik an der Debatte über einen möglichen Regierungswechsel in Griechenland. Und er gibt der deutschen Politik eine Mitschuld am Aufkommen der Pegida-Bewegung.

Zur Person
Foto: Rainer Jensen/ picture alliance / dpa

Reiner Hoffmann, Jahrgang 1955, ist Chef des DGB. Der Diplom-Ökonom hat eine klassische Funktionärskarriere: 10 Jahre bei der Hans-Böckler-Stiftung, danach 16 Jahre lang in Brüssel, zuerst beim Europäischen Gewerkschaftsinstitut, später Vize-Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbunds. Danach war er NRW-Vorsitzender der IG BCE. Hoffmann ist verwitwet und hat zwei Kinder.

SPIEGEL ONLINE: Herr Hoffmann, viele deutsche Politiker fürchten bei der Parlamentswahl in Griechenland einen Sieg des Linksbündnisses Syriza. Teilen Sie als DGB-Chef diese Sorge?

Hoffmann: Ich verstehe die Aufregung überhaupt nicht. Es handelt sich um einen demokratischen Prozess, den man respektieren muss. Außerdem wird hier über eine verfehlte Sparpolitik abgestimmt, die vor allem Deutschland vorangetrieben hat. Das ist kein Grund, sich in die Wahl einzumischen, auch nicht für die Bundesregierung. Kommentierungen, wie es sie jetzt gibt, würde sich jede deutsche Partei verbitten.

SPIEGEL ONLINE: Dass Syriza-Chef Alexis Tsipras unter Umständen die Zinszahlungen für Hilfskredite einstellen will, sorgt Sie auch nicht?

Hoffmann: Schauen wir uns die Umsetzung an, falls er gewählt wird. In Frankreich wurden auch massive Ängste geschürt, falls die Sozialisten gewinnen - nichts davon ist eingetroffen. Jedenfalls darf nicht länger die griechische Bevölkerung durch ständige Einschnitte für Fehler bestraft werden, die bei der Aufnahme in die Eurozone gemacht wurden.

SPIEGEL ONLINE: Tsipras' Entscheidungen betreffen aber nicht nur die Griechen, sondern auch Milliardenkredite der Bundesrepublik, die von deutschen Steuerzahlern bezahlt werden - darunter auch Ihre Mitglieder.

Hoffmann: Dieses Geld steht erst mal nur auf dem Papier und ist nicht verloren. Und eines muss auch klar sein: Deutschland ist der große Gewinner der Währungsunion. Wir würden Milliarden verlieren, wenn es den Euro nicht gäbe. In D-Mark würden unsere Waren deutlich teurer, die Exporte wären gefährdet. Und wir würden bei unseren Staatsschulden nicht wie derzeit davon profitieren, dass die Europäische Zentralbank die Zinsen niedrig hält.

SPIEGEL ONLINE: Wenn die Sparpolitik wirklich gescheitert ist, warum läuft es dann in Ländern wie Irland oder Portugal deutlich besser als in Griechenland?

Hoffmann: Ich war noch vor wenigen Tagen in Spanien und Portugal: Da läuft nichts besser! Die Jugendarbeitslosigkeit ist immer noch extrem hoch. Das zarte Wachstum liegt deutlich unter dem Niveau vor der Krise.

SPIEGEL ONLINE: Ist der Absturz nicht auch die Schuld Ihrer Kollegen? Südeuropäische Gewerkschaften haben lange Lohnabschlüsse und Privilegien ausgehandelt, die nicht der wirtschaftlichen Entwicklung entsprachen.

Hoffmann: Der Glaube, die Südeuropäer hätten über ihre Verhältnisse gelebt, ist das Ergebnis einer Gehirnwäsche. Das Lohnniveau in den Krisenländern liegt bis heute unter dem deutschen, die Arbeitszeiten sind zum Teil deutlich länger. Die Ursache der Krise ist, dass die Länder und die Menschen dort für die Fehler eines unregulierten Finanzmarktes haften müssen, während die Verursacher sich zum Nulltarif davon stehlen.

SPIEGEL ONLINE: Seit vergangener Woche soll der Mindestlohn von 8,50 Euro dazu beitragen, dass zumindest in Deutschland das Lohnniveau steigt. Sie kommen selbst aus einer klassischen Arbeiterfamilie, ihr Vater war Maurer, ihre Mutter Putzfrau. War Ihnen die Lohnuntergrenze ein persönliches Anliegen?

Hoffmann: Natürlich. Der Mindestlohn ist ein historischer Erfolg. Er ist aber nur ein erster Schritt, den enorm großen Niedriglohnsektor in Deutschland trockenzulegen. In diesem Bereich arbeitet immer noch fast ein Viertel der Beschäftigten.

SPIEGEL ONLINE: Der DGB hat zum Start eine Hotline für Arbeitnehmer und Arbeitgeber eingerichtet. Wie sind die ersten Erfahrungen?

Hoffmann: Wir bekommen täglich bis zu 500 Anrufe, und damit weit mehr, als wir gedacht haben. Überwiegend sind es Fragen von Menschen, die den Mindestlohn bekommen sollen, aber auch von dem einen oder anderen Arbeitgeber, der verunsichert ist.

SPIEGEL ONLINE: Warum verunsichert?

Hoffmann: Viele kennen die Details des Gesetzes nicht. Arbeitgeber wollen wissen, wie sie nun Lohnzettel ausfüllen müssen - das sollten sie aber ihre Verbände fragen, die Hotline ist vor allem für Beschäftigte da. Diese fragen zum Beispiel, wie sich der Stundenlohn auf dem Gehaltszettel von Fahrtkosten oder anderen Zuschlägen unterscheiden lässt, und was angerechnet werden darf. Oder sie berichten, wie Arbeitgeber versuchen, das Gesetz zu unterlaufen, und fragen, ob das erlaubt ist.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie schon von solchen Fällen gehört?

Hoffmann: Ja. Einige Firmen versuchen offenbar den Mindestlohn mit übelsten Tricks zu umgehen. Da wird Arbeitnehmern zum Beispiel ein Papier zur Unterschrift vorgelegt, auf dem sie erklären sollen, dass sie auf die 8,50 Euro verzichten, und für weniger arbeiten. Das ist schlicht Erpressung und ein Fall für die Kontrollen. Wenn es Gewerkschaftsmitglieder sind, können wir die Menschen auch an unsere Rechtsberatung verweisen.

SPIEGEL ONLINE: Überwacht werden soll die Einhaltung des Mindestlohns von der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die zum Zoll gehört. Die Behörde braucht aber Jahre, bis sie die zusätzlichen 1600 Prüfer eingestellt und geschult hat.

Hoffmann: Das ist katastrophal gelaufen. Bei so einem wichtigen Gesetz hätte die Bundesregierung viel ambitionierter sein müssen. Man hätte wesentlich früher mit der Ausbildung der Kontrolleure beginnen können. Das war wirklich halbherzig.

SPIEGEL ONLINE: Für den Mindestlohn gelten zudem viele Ausnahmen. Zuletzt setzte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble noch per Verordnung durch, dass Arbeitgeber sogenannter mobiler Tätigkeiten wie der Paketzustellung nicht die genaue Zeit erfassen müssen.

Hoffmann: Das ist eine Einladung zum Missbrauch. Und es ist dreist zu behaupten, die Erfassung überfordere die Unternehmen bürokratisch - schließlich dokumentieren sie auch jede Bewegung ihrer Pakete im Internet!

SPIEGEL ONLINE: Sie haben lange in Brüssel gearbeitet und sind überzeugter Europäer. Doch nun gehen die "patriotischen Europäer" von Pegida mit fremdenfeindlichen Parolen auf die Straße. Wie sehen Sie das?

Hoffmann: Mit großer Sorge. Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt, während Menschen anderswo massakriert werden. Es ist, auch mit Blick auf unsere eigene Geschichte, nicht akzeptabel, dass wir Menschen, die in Not geraten sind, keine Zuflucht gewähren sollen.

SPIEGEL ONLINE: Welche Rolle spielt die Politik für Pegida?

Hoffmann: Sie trägt eine Mitverantwortung. Warum können deutsche Politiker sich nicht klar dazu bekennen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist? Die CSU hat Slogans wie "Wer betrügt, der fliegt" verwendet. Mit solchen Aussagen darf man sich über eine Bewegung wie Pegida nicht wundern.

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