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Schrottsammler in Griechenland: Man nennt sie "Aasfresser"

Foto: Alexandros Avramidis

Armut in Griechenland Die Müllsammler von Thessaloniki

Sie genießen geringes Ansehen, haben lange Arbeitstage und verdienen wenig Geld - und doch werden es immer mehr: die Müllsammler von Thessaloniki. Wir haben einige von ihnen begleitet.
Von Giorgos Christides und Alexandros Avramidis

"Es ist erniedrigend, anstrengend, illegal.
Aber es bringt Essen auf meinen Tisch." (Vasilis, Müllsammler)

Ein alter Mann zieht einen Handkarren, mit Stapeln von Pappe überfüllt. Die stickige Hitze, die sich schon in den frühen Morgenstunden über Thessaloniki legt, setzt ihm sichtbar zu. Eine kurze Pause, durchatmen - dann wischt er sich den Schweiß von der Stirn und setzt seinen Weg auf der schmalen, staubigen Straße fort. Ziel ist ein Schrottplatz, auf dem die Arbeiter Berge von recycelbarem Müll wiegen und sortieren.

Der Alte mit dem Handkarren heißt Vasilis. 72 Jahre alt, schlank, blaue Augen. Das schmutzige Hemd und die Jogginghose haben schon bessere Tage gesehen. Wie jeden Morgen ist er hier, um seine Ladung von wiederverwertbarem Abfall zu verkaufen. "Von meiner 400-Euro-Rente kann ich nicht leben. Deshalb sammle ich Müll. Es ist anstrengend, entwürdigend und natürlich illegal. Aber es bringt Essen auf den Tisch."

Königreich im Müll

Nikos, der Schrottplatzbesitzer, überwacht das Treiben auf seinem Hof. Er sitzt hinter einem großen Schreibtisch, der übersät ist mit Papieren, den Taschenrechner immer in Reichweite. Ikonen von Jesus und Maria hängen an der angerauten Wand hinter ihm. Nach einem kurzen Gruß in Richtung Vasilis läutet er eine silberne Glocke und verteilt Anweisungen. Ein Arbeiter beginnt, die Ladung zu wiegen.

"Was hast du heute für mich, Vasilis?", fragt Nikos.

"Das meiste ist Papier."

"Oh, Papier. Papier ist tot!", sagt Nikos mit abwehrender Handbewegung. Nachdem China Abfallimporte aus dem Westen verboten hat, sind die Preise für wiederverwertbares Papier gesunken, erklärt er. Nikos zahlt jetzt sechs Cent pro Kilo an die "Aasfresser", wie sie im Volksmund herablassend genannt werden. Das ist weniger als die Hälfte dessen, was er vor einem Jahr bezahlt hat. Er öffnet eine Schublade, holt eine Fünfeuronote und ein paar Münzen heraus und reicht sie Vasilis.

Manchmal dauert es nur Minuten

Die "Aasfresser", die sich über Papierkörbe beugen und alles Verwertbare herausklauben, sind in der Stadt inzwischen ein alltäglicher Anblick. Die Bewohner Thessalonikis wenden sich schon längst nicht mehr an die städtischen Entsorgungsbetriebe, wenn sie ihren Sperrmüll loswerden wollen, obwohl es das Gesetz so vorschreibt. Sie deponieren ihn einfach neben dem nächsten öffentlichen Mülleimer. Die Gefahr, dafür zu einem Bußgeld verdonnert zu werden, ist denkbar gering. Es dauert manchmal nur Minuten, bis die Sachen weg sind.

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Schrottsammler in Griechenland: Man nennt sie "Aasfresser"

Foto: Alexandros Avramidis

Das klingt auf den ersten Blick ganz sinnvoll: Der Müll sammelt sich nicht mehr an den Straßenecken und die Stadt spart sich den Aufwand für die Entsorgung. Die lokalen Behörden sehen das jedoch aus einem ganz anderen Blickwinkel. Aus Sicht der Bürokraten sind die Müllsammler nichts anderes als Steuerhinterzieher, die überdies die Sozialkassen betrügen.

Thessalonikis Bürgermeister Yannis Boutaris ist da konkret: Er bezeichnet die Vorgänge als Tiefschlag für die Stadt. Denn ihr gingen Gebühren verloren, die sie den Bürgern für die Sperrmüllabfuhr berechne. Hinzu kämen die hohen Kosten für Strafzahlungen, weil es immer schwieriger werde, die gesetzlich vorgeschriebenen Recyclingziele zu erfüllen. Durch die Müllsammler verliert die Stadt jeden Tag schätzungsweise sechs bis acht Tonnen recycelbaren Materials.

Boutaris fordert deshalb ein härteres Durchgreifen der Polizei und strengere Gesetze. Und stößt damit sogar auf die Zustimmung der Bevölkerung. Denn obwohl viele vom günstigen Abtransport ihres Sperrmülls profitieren, stehen sie den Müllsammlern sehr skeptisch gegenüber. Ursache sei die verbreitete Angst vor einer organisierten Müllmafia.

Der Aasfresser von nebenan

Nur wenige sind sich darüber im Klaren, dass ein wachsender Anteil der Müllsammler ganz normale Bürger sind wie Vasilis - Menschen, die ums wirtschaftliche Überleben kämpfen. "Ich würde sagen, dass 10 bis 20 Prozent der 'Aasfresser' Griechen sind", sagt Dimitris Christidis, der einen Schrottplatz in Lahanokipoi besitzt, einem armen, öden Gebiet im Westen von Thessaloniki.

Einer davon ist Christos, ein 58-jähriger Mann, der vor vier Jahren seinen Job als Büroangestellter verloren hat. "Ich musste mich entscheiden: ein Dieb zu werden oder ein Aasfresser. Ich habe mich für Letzteres entschieden." Christos betreibt die Müllsammelei inzwischen wie einen Vollzeitjob. Sein Verdienst: Bis zu 600 Euro im Monat - fast so viel wie der durchschnittliche Grundlohn.

Ein anderer ist Panagiotis Konstantinidis, 64, der seit fünf Jahren arbeitslos ist und noch keinen Anspruch auf eine Rente hat. In seinem Viertel Chinatown ist er eine bekannte Erscheinung. Sein kleiner, weißer Fiat, mit dem er täglich auf Tour geht, ist eigentlich selbst ein Fall für die Schrottpresse: Die Scheinwerfer sind kaputt, die Karosserie zerbeult und voller Rostlöcher. Das Heck ist kaum zu erkennen, weil Stapel von Kartons und Plastiktüten aus dem offenen Kofferraum herausragen. Sie stapeln sich auch auf dem Dach, notdürftig mit Schnüren befestigt. 10 bis 15 Stunden ist Panagiotis täglich unterwegs. Am Ende bringt ihm eine Wagenladung 10 bis 15 Euro ein.

Auf der Straße bis zum Sonnenuntergang

Es ist zehn Uhr morgens und Vasilis, der Rentner, ruht sich auf dem Schrottplatz aus, isst etwas Süßes und sammelt seine Kräfte. Bald wird er wieder unterwegs sein.

Er wird belebte Straßen meiden, auch wenn sich in den abgelegeneren Ecken weniger Schätze finden lassen. Ein Grund ist der wachsende Druck von Seiten der Behörden. "Wenn sie sehen, dass du Sachen von den Papierkörben abholst, beschlagnahmen sie sie. Im schlimmsten Fall droht dir die Verhaftung." Der andere Grund sei stärker, sagt er. Er schäme sich.

"Ich habe zwei erwachsene Söhne. Es würde ihnen weh tun, zu wissen, dass ihr Vater ein Müllsammler ist."

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