Schuldenkrise in Griechenland Die große Unsicherheit

Bankkunden heben ihr Geld ab, es kursieren Gerüchte über Notfallpläne: Die mögliche Staatspleite ist eine konkrete Bedrohung. Und doch bleiben viele Griechen erstaunlich gelassen.
Zeitungskiosk in Athen (am Freitag): Verwirrende Gerüchte schwirren durchs Land

Zeitungskiosk in Athen (am Freitag): Verwirrende Gerüchte schwirren durchs Land

Foto: Petros Giannakouris/ AP/dpa

Ohne Ergebnis ist das Treffen der Eurofinanzminister in Luxemburg über die griechische Schuldenkrise zu Ende gegangen. Trotzdem oder gerade deshalb muss Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras jetzt Zuversicht verbreiten: Es werde eine Lösung in dem Streit geben, sagte er am Freitag.

Die Erklärung dürfte nicht nur an die Verhandlungspartner in der Eurozone, der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF), sondern vor allem an die Bürger in seinem Land gerichtet gewesen sein. Denn das Letzte, was Tsipras und seine Minister nun brauchen können, wären Bürger, die in langen Schlangen vor Geldautomaten stehen, um ihre Konten leer zu räumen oder die für Hamsterkäufe in Supermärkte stürmen.

Derartige Panikreaktionen gibt es derzeit auch nicht, auf den Straßen Athens herrscht Alltag. Es häufen sich aber die Indizien dafür, dass sich das Land zunehmend mit der unangenehmen Frage eines Ausscheidens aus der Eurozone beschäftigt. Zudem kursieren Gerüchte, die im Land für Unruhe sorgen.

Keine Anzeichen von Panik

So berichtete die als seriös geltende Tageszeitung "Ta Nea" am Freitag, Energieminister Panagiotis Lafazanis habe das halbstaatliche Ölunternehmen Hellenic Petroleum (ELPE) angewiesen, größere Benzinvorräte für den Fall eines Grexits zu lagern. In dem Bericht ist von einem eigens geschaffenen mehrstufigen Notfallplan die Rede. Lafazanis wies den Bericht umgehend zurück. Er sei überrascht gewesen, von seiner angeblichen Intervention bei ELPE zu erfahren, erklärte der Syriza-Politiker. Lafazanis nannte den Bericht "eine Erfindung". Es gehe offenbar darum, den griechischen Bürgern Angst zu machen. Der Minister hält sich derzeit zusammen mit Premier Tsipras für Gespräche in Russland auf.

Geldautomat in Athen (am Freitag): Keine Panik vor den Bankfilialen

Geldautomat in Athen (am Freitag): Keine Panik vor den Bankfilialen

Foto: ALKIS KONSTANTINIDIS/ REUTERS

Der Chef eines großen Industrieunternehmens berichtete SPIEGEL ONLINE hingegen von ersten Vorsichtsmaßnahmen. Man habe zuletzt den Einkauf von Rohstoffen um 25 Prozent erhöht. Dies würden im Industriesektor derzeit viele Unternehmen so handhaben, "damit die Maschinen auch im Notfall weiterlaufen können".

Kostas Lourandos, Chef des griechischen Apothekerverbands, spricht dennoch von einer bislang entspannten Lage. Apotheken im Land hätten ausreichend Medikamente gelagert. Es gebe keine Anzeichen von Panik bei den Kunden, sagte Lourandos SPIEGEL ONLINE.

Sicher ist dagegen, dass es in Griechenland seit Tagen eine wachsende Nervosität bezüglich der Geldeinlagen gibt. Bankeninsidern zufolge zogen Griechen allein am Donnerstag rund eine Milliarde Euro von ihren Konten ab. Von Montag bis Mittwoch sollen es demnach rund zwei Milliarden Euro gewesen sein, bereits damit hatte sich das Tempo der Abhebungen verdreifacht. Nach Angaben der griechischen Zentralbank waren allein von Januar bis April unter dem Strich mehr als 32 Milliarden Euro von griechischen Bankkonten abgezogen worden. Über den Zeitraum von Anfang Mai bis Ende vergangener Woche liegen noch keine Zahlen vor.

Banken: Engpässe beim Bargeld rein logistisches Problem

Die starke Nachfrage führt bereits zu ersten Engpässen bei den Banken: Ein Geschäftsmann berichtete SPIEGEL ONLINE, er habe am Donnerstag am Kassenschalter 5000 Euro abheben wollen. Er habe aber lediglich 1000 Euro erhalten, dazu den Hinweis, er möge am Freitag wiederkommen.

Ein Banker bestätigte SPIEGEL ONLINE die Engpässe, beschwichtigte aber gleichzeitig: Dies liege nicht an fehlenden Reserven, sondern sei schlicht ein logistisches Problem: "Wir können so schnell nicht genug Bargeld zur Verfügung stellen."

Tatsächlich stellen EZB und die griechische Zentralbank den dringend benötigten Nachschub an Euro sicher. Bereits seit Februar hängen die griechischen Banken am Tropf ihrer Zentralbank - sie gewährt mit Genehmigung der EZB Nothilfe, die Emergency Liquidity Assistance (ELA). Was die Banken an ihre Kunden auszahlen müssen, wird so wieder aufgefüllt. Am Mittwoch waren die Ela-Kredite um weitere 1,1 auf 84,1 Milliarden Euro angehoben worden, am Freitagnachmittag noch einmal, um die jüngsten Abflüsse aufzufangen. (Eine ausführliche Erklärung der Nothilfe-Kredite finden Sie hier.)

Sorge um Banken

Die Zahlungsfähigkeit der Banken könnte der Schüssel für einen Grexit durch die Hintertür sein. Denn formal gibt es keinen Automatismus, der etwa bei einer Staatspleite zu einem Austritt aus der Währungsunion führt. Im Gegenteil, die Mitgliedschaft in der Eurozone ist unwiderruflich, ein Austritt theoretisch nur möglich, wenn Griechenland auch gleich die ganze EU verlässt.

De facto könnte Griechenland den Euro aber doch aufgeben müssen, falls die Banken dauerhaft unter Kapitalknappheit leiden. Sie hätten dann kein Geld mehr, um jene Kredite an Unternehmen wie etwa Hotels zu vergeben, die diese dringend brauchen und die sie ohnehin seit Langem nicht mehr ausreichend bekommen. Denn nur so kann die Wirtschaft wieder wachsen - oder zumindest ihr weiterer Niedergang gestoppt werden. Unter einem solchen Druck könnte die Regierung sich gezwungen sehen, zumindest vorübergehend eine Parallelwährung einzuführen.

Selbst wenn sich Griechenland und seine Geldgeber nun überraschend schnell einigen und die letzte Tranche aus dem zweiten Hilfspaket über 7,2 Milliarden Euro ausbezahlt wird, steht es der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge grundsätzlich schlecht um die Banken des Landes. 59 Milliarden Euro an überfälligen und bereits umgeschuldeten Krediten haben sie demnach vergeben. Experten fürchten, dass die Hälfte davon, also rund 30 Milliarden Euro, nicht mehr bedient werden wird. Dann bräuchten die Banken geschätzt 16 Milliarden Euro - was die Diskussionen über ein weiteres, neues Rettungspaket für Griechenland anheizen dürfte.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten