Krise in Griechenland Stell dir vor, Athen liegt in den USA

Die Griechenland-Krise spitzt sich erneut zu, doch wir sind keinen Schritt weiter als bei ihrem Ausbruch. Ein Armutszeugnis. Europa muss endlich die Insolvenz von Mitgliedstaaten ermöglichen - und ein bisschen amerikanischer werden.
Obama und Varoufakis: Wie amerikanisch muss Europa werden?

Obama und Varoufakis: Wie amerikanisch muss Europa werden?

Foto: Dimitris Panagos/ dpa

Stellen Sie sich bitte für einen Moment vor, Griechenland läge in Amerika. Nehmen Sie einfach mal an, der geografische Zufall hätte das Land nicht im Südosten der Eurozone verortet, sondern in den Vereinigten Staaten. Sagen wir, es läge irgendwo im strukturschwachen ländlichen Süden der Vereinigten Staaten, regiert aus der bescheidenen Hauptstadt Athens, Greece, USA.

Wie wären die vergangenen Jahre unter derart veränderten Umständen für das Land wohl verlaufen? Vermutlich wäre Griechenland (USA) längst pleite - und das wäre nicht mal sonderlich schlimm.

Sobald sich die Regierung an den Kapitalmärkten kein Geld mehr hätte borgen können, hätte sie einen "government shut-down" verhängen müssen: Der zahlungsunfähige Staat schickt seine Beschäftigten in den Zwangsurlaub. Dann hätte eine Umschuldung (vulgo: Schuldenschnitt) stattgefunden; faktisch hätten die Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichtet. Später hätte sich die Lage beruhigt. Eine bescheidene Normalität wäre eingekehrt. Vermutlich wäre inzwischen eine neue Regierung am Ruder, die verspricht, alles besser zu machen. Sie würde auf Standortverbesserungen setzen und versuchen, ein paar symbolische Erfolge durch Industrieansiedlungen zu verbuchen.

Weil Griechenland aber in Europa liegt, ist die Krise längst nicht vorbei. Im Gegenteil: Mehr als fünf Jahre nach ihrem Ausbruch nähert sie sich gerade einem neuen Höhepunkt. Es wird ernst, wieder mal: Die Gespräche mit den Kreditgebern sind festgefahren. Griechen und Gläubiger liegen über Kreuz. Die nächste Rate aus dem laufenden Hilfsprogramm wird nicht ausgezahlt. Vertreter der Berliner Regierung bekunden öffentlich Skepsis. Die nächste Rückzahlung an den Internationalen Währungsfonds wird im Mai fällig - was den lang befürchteten Euro-Exitus für das hoch verschuldete Land auslösen könnte. Freitag kommen die Finanzminister in Riga zusammen. Dort könnten Vorentscheidungen fallen.

Fünf Jahre - und kein bisschen Lösung. Immer neue Kreditpakete haben die Schulden auf untragbare 180 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen lassen. Von Normalität kann keine Rede sein:

  • Ein Viertel des Sozialprodukts ist verloren gegangen,
  • die Arbeitslosigkeit ist auf Rekordhöhe gestiegen,
  • die Lebensbedingungen vieler Bürger haben sich drastisch verschlechtert.

Währenddessen hat eine frustrierte Bevölkerung eine neue Regierung ins Amt gewählt, die vor sich hindilettiert, ihre internationalen Partner vergrätzt und sich mehr darum kümmert, irgendwo ein paar Euro zusammenzukratzen, als die Wirtschaft auf eine neue, solide Basis zu stellen.

Und all das, weil Griechenland nicht der 51. US-Staat ist, sondern der 12. Eurostaat?

Es lohnt sich, die Unterschiede zwischen dem Dollar-Raum und dem Euro-Raum etwas näher anzuschauen. Greece, USA, wäre vielleicht bankrott gegangen, aber deshalb noch lange nicht zusammengebrochen. Die bürgerliche Ordnung wäre nicht unbedingt gefährdet gewesen. Nach wie vor wären Washingtoner Gelder geflossen: Die staatlichen Renten ("social security") sowie die Gesundheitsunterstützung für Alte und Arme ("Medicare", "Medicaid") wären weiter gezahlt worden; auch aus dem Militärbudget wären weiterhin Truppenstandorte in dem armen Südstaat finanziert worden. Der "government shut-down" hätte sich nur auf Behörden des jeweiligen Staates bezogen, nicht auf Bundesbehörden. Die USA sind ein Bundesstaat, die Eurozone ist ein Staatenbund. Entsprechend wird ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts über Washingtoner Gemeinschaftskassen umverteilt, in der EU liegt der Anteil bei gerade mal einem Prozent; die Eurozone verfügt über keinerlei eigene Transfermechanismen.

Niemand arbeitet ernsthaft an der Föderalisierung der Eurozone

Auch die Banken in Greece, USA, wären nicht vom Zusammenbruch bedroht gewesen. Für einen Ansturm der Gläubiger hätte es im Übrigen gar keinen Grund gegeben: Da die Kreditinstitute keine griechischen Staatsanleihen in ihren Bilanzen haben, sondern Washingtoner Bundesanleihen ("Treasuries"), müssen die Kunden im Fall einer Zahlungsunfähigkeit nicht um ihre Einlagen fürchten. In Europa hingegen gibt es keine gemeinsame Schuldenaufnahme auf föderaler Ebene ("Eurobonds"), weshalb die Zahlungsfähigkeit der Banken bedroht ist, wenn die Zahlungsfähigkeit ihres jeweiligen Heimatstaates infrage steht.

Kurz: Unter den Bedingungen der USA ist ein Schuldenschnitt möglich und verantwortbar - samt anschließendem Neustart. In Europa hingegen musste ein Rettungsprogramm nach dem anderen her, um einen völligen Hellas-Zusammenbruch inklusive sich auf andere Länder ausbreitender Finanzpanik zu verhindern - mit der Folge immer weiter steigender Schulden, die das Wachstum abwürgen und die Verarmung zementieren, weshalb nun desillusionierte Wähler radikale, völlig unerfahrene Parteien ins Amt katapultieren.

Es ist ganz klar: Die Eurozone wird nur auf Dauer stabilisierbar sein, wenn sie ein bisschen amerikanischer - also föderalistischer - wird. Nur dann lassen sich die europäischen Schuldenregeln glaubwürdig durchsetzen: weil die Möglichkeit der Pleite eines Staates innerhalb der Währungsunion ihren Schrecken verliert.

Aber niemand in Europa arbeitet ernsthaft an einer Föderalisierung der Eurozone. Schlimmer noch: Es gibt nicht mal eine ordentliche Debatte darüber. Stattdessen beschäftigen wir uns mit den immer wieder aufflackernden Brandherden. Vor allem mit Griechenland.

Seit der Jahreswende ist dies denn auch das die siebte Müllers-Memo-Kolumne, die sich mit dem Krisenland befasst. Wir haben uns an dieser Stelle mit der Option eines Schuldenschnitts beschäftigt, mit den Folgen eines Grexit, mit der EZB-Politik gegenüber Athen, mit dem regierenden Ökonomen Gianis Varoufakis und seinen "unkooperativen Spielen", mit Europas widersprüchlichen Diskursen und dem Fehlen gemeinsamer Medien, mit der trügerischen Ruhe an den Börsen angesichts der Möglichkeit eines Grexits.

Auch dies, soviel ist sicher, wird nicht das letzte Memo zur Griechen-Krise sein.

Die wichtigsten Wirtschaftstermine der kommenden Woche

MONTAG

Luxemburg - Hält die Phalanx? - Treffen der EU-Außenminister: Ob die griechische Tsipras-Regierung die Anti-Russland-Sanktionen weiterhin unterstützt, gilt als fraglich.

Shanghai - Piëch, Porsche, Probleme - Anlässlich der Shanghai Motor Show gibt VW eine Pressekonferenz. Darüber schwebt die Frage nach der künftigen Führungstruppe des Konzerns.

DIENSTAG

Berlin - Mehr Zukunft, bitte - Kongress des Bundeswirtschaftsministeriums zum Thema Investitionsschwäche. Mit dabei: Gabriel, Schäuble, Fratzscher (DIW), Gurria (OECD), Fitschen (Deutsche Bank). Wir haben uns vorige Woche mit dem Thema beschäftigt.

MITTWOCH

Moskau - Koalition der Außenseiter - Diese Woche war Russlands Präsident Putin auf Besuch in Nordkorea. Nun kommt Argentiniens Regierungschefin Kirchner nach Moskau.

Brüssel - Vertrauenssachen - Neue Zahlen zur Verbraucherstimmung in der Eurozone.

DONNERSTAG

Nürnberg - Prima Klima - GfK-Konsumklimaindex für Deutschland im Mai.

Peking - Konjunktursorgen - Der Einkaufsmanager-Index der HSBC wird veröffentlicht. Zuletzt hagelte es schwache Zahlen aus China.

Ludwigshafen - 150 Jahre Anilin und Soda - Der größte Chemiekonzern der Welt, BASF, feiert und lässt sich feiern. Stargast: Kanzlerin Merkel.

FREITAG

Riga - Für die Griechen wird's eng - Treffen der Finanzminister der Eurozone.

München - Deutscher Boom - Der Ifo-Geschäftsklima-Index misst die Stimmung bei deutschen Managern. Vermutlich geht's noch weiter bergauf.

SAMSTAG

Riga - Und jetzt alle - Treffen aller Finanzminister der EU

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