Griechenland vor Neuwahl
Na dann viel Glück, Herr Tsipras
Was hat die Eurokrise mit der Psychoanalyse gemein? Richtig, verdrängte Wahrheiten kehren irgendwann zurück an die Oberfläche. Zum Beispiel diese: Griechenland ist faktisch pleite. Das wird sich bei einem Wahlsieg der Linken schnell zeigen.
Griechenland vor Neuwahl: Na dann viel Glück, Herr Tsipras
Foto: imago/ Insidefoto
In der griechischen Schuldenkrise erwiesen sich Europas Politiker als Meister des Verdrängens. Und so geht die Legende, an der in Brüssel, Berlin und Frankfurt in den vergangenen Monaten fleißig gestrickt wurde: Nach anfänglichen Schwierigkeiten greifen die Athen auferlegten Reformen. Der Staatshaushalt weist einen Primärüberschuss auf, die Wirtschaft wächst. Die Kombination aus Zuckerbrot und Peitsche zeigt Wirkung.
Doch nun reicht die Aussicht auf Neuwahlen, um die verdrängte Wahrheit wieder nach oben kommen zu lassen. Die Schuldenkrise in Griechenland ist alles andere als beigelegt, der drohende Zerfall der Eurozone keineswegs abgewendet. Griechenland ächzt noch immer unter einer für das Land auf Dauer untragbaren Staatsschuldenlast von 175 Prozent der Wirtschaftsleistung. Der Primärüberschuss, also das Plus im Staatshaushalt vor Zinszahlungen, basiert zum Teil auf kreativer Buchführung. Und verkehrt sich weiterhin in ein Defizit, wenn man die Milliardensummen abzieht, die Griechenland seinen Gläubigern irgendwann überweisen muss.
Griechenland braucht einen neuen Schuldenschnitt
Gleichzeitig gehen die Reformen quälend langsam voran, und fast immer nur, wenn die internationalen Geldgeber mal wieder drohen, eine Überweisung zu stoppen. Wie gering die Akzeptanz der Reformen bei den Griechen wirklich ausfällt, dürfte sich bei den vorgezogenen Neuwahlen Anfang 2015 zeigen. Dann hat der linke Kandidat Alexis Tsipras gute Chancen, zum neuen Premierminister zu werden. Er tritt mit klaren Wahlversprechen an: Stopp des Schuldendienstes, Stopp der Privatisierungen, stattdessen neue Jobs im Öffentlichen Dienst und niedrigere Steuern.
In weiten Teilen ist das ein wirtschaftliches Selbstmordprogramm. Wenn Griechenland irgendetwas ganz sicher nicht benötigt, dann sind das zusätzliche Beamte. Doch in einem Punkt ist Tsipras viel Glück zu wünschen: Griechenland braucht tatsächlich einen weiteren Schuldenschnitt. Das ist die Folge eines Fehlers, der bereits 2012 gemacht wurde, als man Griechenland eben nicht alle, sondern nur einen Teil seiner Verbindlichkeiten erließ. Inzwischen hat sich die Schuldenlast schon wieder höher aufgetürmt als vor dem damaligen Teilerlass.
Sollte Tsipras einen Schuldenschnitt heraushandeln (oder einfach aufhören, Griechenlands Gläubigern ihr Geld zu überweisen), hätte das noch einen zweiten wichtigen Effekt: Die Griechen könnten und müssten ihr wirtschaftspolitisches Schicksal endlich selbst in die Hand nehmen. Endlich könnten sie für ihre Misere nicht mehr Angela Merkel/Mario Draghi/die EU/den Weltwährungsfonds/die Troika verantwortlich machen. Auch dieser bequeme Mechanismus der Verdrängung würde dann nicht mehr funktionieren.
Im Video: Präsidentenwahl gescheitert - Griechenland vor Neuwahlen