Umfrage zur Griechenland-Politik Wissen schützt nicht vor Euroskepsis

Demonstranten vor dem Parlament in Athen: Wissen macht skeptisch
Foto: © Yannis Behrakis / Reuters/ REUTERSGert G. Wagner ist Vorstandsmitglied des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin); Christian Krekel ist Doktorand am DIW Berlin, Christopher Wratil ist Doktorand an der London School of Economics, Jürgen Hofrichter ist Bereichsleiter bei infratest dimap und Nico A. Siegel ist Direktor bei TNS Infratest.
Kein anderes EU-Thema hat seit Einführung des Euro für mehr Gesprächsstoff gesorgt: 96 Prozent der Deutschen gaben an, das Reform-Referendum in Griechenland Anfang Juli verfolgt oder zumindest etwas darüber gehört zu haben. Aber im Durchschnitt hat der Ausgang des Referendums die Menschen trotzdem ziemlich kalt gelassen und nicht zu wesentlichen Änderungen ihrer Einstellungen geführt.
Wir konnten mit einer von Infratest Dimap durchgeführten Online-Befragung derselben Personen vor und nach dem Referendum (insgesamt 1.700 Befragte) weder einen Effekt auf die allgemeine Lebenszufriedenheit in Deutschland feststellen - noch auf die Zufriedenheit mit der Art und Weise, wie Demokratie in der Europäischen Union funktioniert. Die unaufgeregte Verhandlungsführung von Bundeskanzlerin Angela Merkel entspricht offenbar der gelassenen Stimmung in der Bevölkerung - da können die "Bild"-Schlagzeilen so groß sein wie sie wollen.
Die Stabilität von Stimmungsindikatoren heißt aber nicht, dass das "Grexit"-Referendum keinerlei Wirkung auf die öffentliche Meinung in Deutschland gehabt hätte. Vielmehr wurden bestimmte Gruppen stärker beeinflusst, andere weniger. Wer sich nach seinen eigenen Angaben intensiv mit dem Referendum in Medien und in persönlichen Gesprächen auseinandergesetzt hat, wurde von dessen Ausgang nachhaltig bewegt.
Eine vertiefte Zusammenarbeit erscheint nicht erstrebenswert
Zwar ist die Zustimmung zu einem Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone im Durchschnitt lediglich um vier Prozentpunkte von 53 auf 57 Prozent gestiegen. Unter denen, die das Referendum sehr aufmerksam verfolgt haben (das sind 23 Prozent der Befragten), ist die Zustimmung zum Grexit jedoch mehr als doppelt so stark gestiegen - um satte zehn Prozentpunkte von 50 auf 60 Prozent. Dies sind starke Effekte angesichts der Tatsache, dass zwischen unseren beiden Befragungswellen im Schnitt nur sechs Tage lagen.
Auch die Unterstützung für die europäische Integration und die EU insgesamt ist in der Gruppe der Aufmerksamen merklich rückläufig: Wer das Referendum intensiv verfolgt hat, wünscht sich nachher weniger Zusammenarbeit der Eurostaaten in Fragen der Haushalts-, Wirtschafts- und Sozialpolitik (0,5 Minus-Punkte auf einer Skala von 0 bis 10). Auch sieht diese Gruppe nach dem Referendum weniger Vorteile durch die EU-Mitgliedschaft Deutschlands.
Vor allem konnten wir diese Effekte unter den knapp zwei Drittel der Befragten feststellen, die der griechischen Regierung die Hauptverantwortung für die Krise zuschreiben. Die klare Unterstützung des griechischen Volks für eben diese Regierung im Referendum hat für diejenigen in Deutschland, die die griechische Regierung für schuldig halten, offenkundig gezeigt: Eine vertiefte Zusammenarbeit in der Eurozone erscheint nicht erstrebenswert, und eine EU mit "solchen" Partnern wäre für Deutschland nachteilig.
Zwei positive Ergebnisse für die Demokratie in Deutschland
Dieser Befund zeigt ein Dilemma für all jene in Brüssel auf, die hoffen, man könne zumindest die interessierte Öffentlichkeit von Europa überzeugen. Im Falle des Referendums müssen wir das Gegenteil feststellen: Die Interessierten werden kritischer gegenüber Europa - zumindest in Deutschland.
Neben der Aufmerksamkeit, die man dem Referendum geschenkt hat, spielt auch die politische Orientierung der Befragten eine Rolle: Wer sich politisch eher "rechts" einordnet, ist nach dem Referendum deutlich weniger stolz Europäer zu sein. Dieser Effekt ist für Befragte, die sich als "links" bezeichnen, statistisch nicht nachweisbar.
Zwei positive Ergebnisse für die Demokratie in Deutschland zeigen unsere Daten:
- Erstens können wir so gut wie keine Unterschiede zwischen Individuen mit verschiedenem Alter, Bildung, Einkommen sowie sozialer Herkunft in Hinblick auf die Wirkung des Referendums feststellen. Der Sozialstatus entscheidet nicht darüber, welche Schlüsse man aus dem Referendum zieht.
- Zweitens hat das Referendum bei den Aufmerksamen zu einer klareren Meinungsbildung geführt: Nach dem Referendum sind sie sich viel sicherer darüber, wer Verantwortung für die Krise in Griechenland trägt und wer nicht. Der griechischen Regierung wird im Vergleich zu den anderen Regierungen und der Troika deutlich mehr Schuld zugeschrieben als vor dem Referendum. Für die Funktionsfähigkeit der Demokratie an sich ist die klare Bewertung von politischer Verantwortung sicher gut. Für das Projekt Europa in Zeiten der Krise führt die informierte Meinungsbildung in Deutschland aber faktisch zu verhärteten Fronten.
Im Zeitraum vom 2. bis 10. Juli 2015 hat Infratest Dimap 1.694 Personen über 17 Jahren zweifach befragt, einmal vor und einmal nach dem Referendum in Griechenland, welches am 5. Juli stattfand.