Griechenland Schäubles großer Schulden-Schlussverkauf

Finanzminister Schäuble: Der Vorschlag klingt charmant
Foto: THOMAS PETER/ REUTERSHamburg - Die E-Mail-Adresse des Absenders lautet etwas spröde poststelle@bmf.bund.de, dafür sind die Empfänger umso illustrer: In einem Rundschreiben warnt Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) unter anderem seine Kollegen in der Euro-Zone eindringlich vor einer Pleite Griechenlands. Um dies zu verhindern, brauche es ein neues Rettungsprogramm - und "eine faire Lastenteilung zwischen den Steuerzahlern und den privaten Investoren".
Konkret schlägt der deutsche Minister vor, dass die Staatsanleihen der privaten Gläubiger um sieben Jahre verlängert werden. Das bedeutet etwa: Eine deutsche Bank, die dem Land bis 2012 Geld geliehen hat, soll dieses erst 2019 zurückbekommen. Bis dahin soll sie aber die Zinsen erhalten, die ihr zugesichert wurden.
Schäubles Vorschlag klingt charmant. Denn er scheint ein großes Problem zu lösen, ohne neue zu schaffen. Griechenland müsste sich im besten Fall erst in sieben Jahren wieder Geld am Kapitalmarkt besorgen. Gleichzeitig erhielten die Investoren die Sicherheit, dass sie ihr Investment in vollem Umfang zurückbekommen - wenn auch später als gedacht.
Doch der Teufel steckt mal wieder im Detail. Unklar an Schäubles Plan ist unter anderem, wie viel neue Kredite Griechenland in den kommenden Jahren noch aufnehmen muss, wie hoch der Kapitalbedarf also auch im Falle einer Einbeziehung des Privatsektors ist. Aus dem Ministerium heißt es, mehrere Szenarien seien penibel durchgerechnet worden. Für genaue Zahlen müsse erst der Fortschrittsbericht von Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank ( EZB) und EU-Kommission analysiert werden. Dieser wurde am Mittwochabend publik - und kommt zu dem Ergebnis, dass Griechenland neue Finanzhilfen braucht.
Immerhin: Großen politischen Widerstand muss die deutsche Regierung für ihren Plan wohl nicht fürchten. Zwar müsste ein Beschluss in der Euro-Gruppe einstimmig fallen. Doch eine Lösung in diesem Gremium dürfte das geringste Problem sein. Aus dem Umfeld von Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker heißt es, auch die Regierungen in den Niederlanden und Finnland wollten den Privatsektor bei einem neuen Rettungsprogramm auf jeden Fall mit einbeziehen. Wie Schwarz-Gelb in Berlin fürchten sie, ansonsten keine Mehrheit für neue Milliardenspritzen im Parlament zu bekommen.
Dass die EZB sich nur schwer mit dem Plan anfreunden dürfte, ist im Zweifel ebenfalls keine wirkliche Hürde. "Die Zentralbank ist in diesem Prozess Ratgeber, aber kein Entscheidungsträger", heißt es aus dem Umfeld von Juncker.
Doch selbst wenn Schäuble seine europäischen Kollegen überzeugen könnte: Sicher wäre der Erfolg des Plans damit noch nicht. Entscheidend ist die Frage, ob die geplante Umschuldung als Zahlungsausfall gewertet wird. Strenggenommen ist sie das, weil die Gläubiger ihr Geld später zurückbekommen als gedacht. Andererseits bekommen die Investoren ihre Kredite zwar später - aber dafür in vollem Umfang.
Es hängt wieder an den Rating-Agenturen
Am Ende wird jener Teil der Finanzmärkte über diese Frage entscheiden, der sich in der Krise einen zweifelhaften Ruf erworben hat: die Rating-Agenturen. Mit wiederholten Herabstufungen Griechenlandes haben die Bonitätsprüfer gezeigt, wie wenig Vertrauen sie in die Finanzen haben. Viele griechische Anleihen haben bereits Ramschstatus. Richtig bitter würde es aber, falls die Bewertung auf "Default" sinkt - einen Zahlungsausfall.
Eine solche Bewertung Griechenlands haben die Agenturen selbst für den Fall in Aussicht gestellt, dass lediglich die Laufzeiten von Anleihen verlängert werden, wie es nun der Schäuble-Plan vorsieht. Das mag widersinnig erscheinen, schließlich soll die Laufzeitverlängerung gerade verhindern, dass Griechenland seine Schulden nicht mehr bedienen kann.
Die Agenturen aber folgen einer anderen Logik: Unproblematisch sei ein Schuldentausch auf rein freiwilliger Basis, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme von Standard and Poor's (S&P) . Gelte dagegen - wie im Fall Griechenlands - ein Zahlungsausfall als möglich und sei ein Rating bereits gefallen, "so könnten wir davon ausgehen, dass Investoren zum Akzeptieren gedrängt wurden, weil sie schlimmere Konsequenzen fürchten".
Die Investoren würden dem Schuldentausch also nur zustimmen, weil sie andernfalls einen Zahlungsausfall fürchten. Gerade durch die Rettungsaktion könnten sich die Agenturen dann in der Vorhersage einer Pleite bestätigt sehen. Auch eine Sprecherin von Moody's betonte gegenüber dem "Handelsblatt", nur ein Schuldentausch ohne jeden Zwang würde nicht als Zahlungsaufall bewertet. "Zwang würden wir sehr breit definieren."
S&P lässt ebenfalls offen, ab wann ein Schuldentausch als Zahlungsausfall bewertet würde. Es heißt, die Anleihen müssten möglichst zu denselben Bedingungen wie die ursprünglichen Papiere ausgegeben werden - so wie es Schäubles Plan vorsieht.
Wichtig wäre auch die Reaktion auf einem anderen Teil des Finanzmarktes: Mit Kreditausfallversicherungen (CDS) sichern sich die Besitzer von Anleihen gegen eine Staatspleite ab. Ein solches "Kreditausfallereignis" muss die Branchenvereinigung ISDA feststellen. Das könnte zwar auch bei einer Umschuldung Griechenlands passieren. Eine Voraussetzung ist jedoch, das die Umschuldung für alle Anleger verbindlich ist. "Falls der Umtausch freiwillig ist, wäre es möglicherweise kein Kreditausfallereignis", sagt ein ISDA-Sprecher.
"Die Initiative muss von Griechenland ausgehen"
Die Bereitschaft für eine Umschuldung dürfte auch mangels Optionen wachsen. "Bei Griechenland gibt es nur noch unangenehme Alternativen", sagt Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Man muss die Schulden Griechenlands reduzieren, und die Gläubiger müssen helfen."
Dass ein Weg aus der Schuldenspirale am besten im Einvernehmen mit den Gläubigern gelingen kann, zeigt das Beispiel Uruguay. Das Land häufte im Zuge der Krise des Nachbarlandes Argentinien einen riesigen Schuldenberg an. Nach einer Verlängerung der Laufzeiten erholte sich die Wirtschaft schnell, und der Schuldenstand halbierte sich innerhalb weniger Jahre.
Dieter plädiert für eine schnelle Umschuldung Griechenlands, damit die Unsicherheit auf den Finanzmärkten ein Ende hat. Zudem wäre es ein Signal an die Regierung in Athen, langfristige Reformen anzupacken. "Anreize zur Schuldenvermeidung gibt es nur, wenn nicht immer neue Kredite fließen."
Eine reine Laufzeitverlängerung von Staatsanleihen habe aber keinen Sinn. Ein solcher Schritt würde nur Luft verschaffen, wenn Griechenland in den kommenden Jahren mit exorbitantem Wirtschaftswachstum rechnen könnte. Das scheint utopisch. Die Gläubiger müssen deshalb einen Forderungsverzicht von 40 bis 50 Prozent in Kauf nehmen, sagt Dieter. "Mit Freiwilligkeit kommt man hier nicht weit. Es braucht harte Verhandlungen an einem von Griechenland einberufenen Tisch."
Zwingen könne man die Gläubiger zwar nicht zu einer Umschuldung. Aber man könne ihnen Angebote machen, sagt Dieter. Etwa dass für neue Anleihen von europäischen Partnern garantiert wird. Außerdem dürfte bei den privaten Kreditgebern die Angst vor einem Totalverlust wachsen. "Für Gläubiger muss es ein gewisses Maß an Hoffnungslosigkeit geben, damit sie zu einer Umschuldung bereit sind", sagt Dieter. "Diesem Zustand sind wir schon sehr nah."
Wie nah, das zeigte sich am Mittwoch bei einer Konferenz hochrangiger Banker. "Griechenland wird nicht um eine Umschuldung herumkommen", sagte Ingrid Hengster, die Deutschland-Chefin der Royal Bank of Scotland (RBS). Es sei "mit einer Beteiligung privater Gläubiger zu rechnen", räumte der Chef des Bundesverbands deutscher Banken, Michael Kemmer, ein. Ein Banker von JP Morgan sagte es ganz direkt: "Die Banken und Gläubiger müssen mitmachen."