Schulden und Flüchtlinge Griechenlands doppelte Krise

Migranten in Piräus: Bedenklicher Krisencocktail
Foto: Petros Giannakouris/ APDie Kanzlerin wollte über Flüchtlinge reden. Um die Stimmung zu verbessern, hatte sie François Hollande hinzugebeten, den französischen Präsidenten und großen Freund der Griechen. Angela Merkels Wunschliste ist lang: Nach ihrer Fahrt über die Ägäis betreten die Flüchtlinge in Griechenland zum ersten Mal den Boden der Europäischen Union, hier sollen sie registriert und notfalls auch in ihre Heimat zurückgeschickt werden.
Doch Alexis Tsipras, der griechische Premier, kam am Rande des EU-Gipfels rasch auf das Thema zu sprechen, das ihn weit mehr bedrückt: die Wirtschaftskrise in seinem Land und das Gebaren des Internationalen Währungsfonds (IWF).
Vor allem der Europachef des IWF hatte sich den Unmut des Griechen zugezogen. In einem Blogeintrag hatte Poul Thomson das "unbezahlbar großzügige" Rentensystem der Griechen angeprangert und noch schärfere Sparanstrengungen gefordert. Eine Grenzüberschreitung ersten Ranges, empörte sich Tsipras.
Der griechische Premier stellt damit zum ersten Mal eine Verbindung her, die es nach offizieller Lesart in der Bundesregierung und in Brüssel gar nicht geben sollte: die Verbindung zwischen Schulden - und Flüchtlingskrise.
Erst im vergangenen Juli hatten die Europäer dem maroden Land ein neues Hilfspaket in Höhe von bis zu 86 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Im Gegenzug verpflichteten sich die Griechen zu strengen Reformauflagen, unter anderem sollten Milliarden beim Rentensystem eingespart werden.
"Der Grexit kommt auf Wiedervorlage"
Doch nun steht das Land im Zentrum des europäischen Flüchtlingsdramas, einer Krise, die die EU möglicherweise noch stärker bedroht als das jahrelange Ringen um den Euro. Geht es nach dem Willen osteuropäischer Staaten, soll Mazedonien seine Grenze schließen - was Griechenland ins Chaos stürzen könnte. Der Rückstau der Flüchtlinge wäre schon jetzt gewaltig, das Land mit der Versorgung überfordert.
In Brüssel geht bereits die Sorge vor einem weiteren dramatischen Showdown mit den Griechen um. "Der Grexit kommt im Juni auf Wiedervorlage", heißt es dort. Der IWF geht sogar davon aus, dass die Griechen bereits ab Ende März Schwierigkeiten haben werden, ihre Schulden zurückzuzahlen. Bis dahin sind 5,5 Milliarden Euro fällig. Und keiner weiß, woher Griechenland das Geld ohne Hilfen aus dem neue Programm nehmen soll.
Daher hoffen die Griechen in diesen Tagen auf Milde, wenn es darum geht, das Euro-Reformpaket abzuarbeiten. Von offizieller Seite betonen Kommission und Bundesfinanzministerium zwar, es werde keinerlei Abstriche an den Reformforderungen geben. Doch die Praxis sieht anders aus.
Die EU-Task-Force, die die Griechen ursprünglich dabei unterstützen sollte, ihre byzantinische Steuerverwaltung auf Trab zu bringen, kümmert sich derzeit vor allem um den Bau von Flüchtlingslagern. Seit vergangenen Montag sind zusätzliche EU-Teams im Land, um im Falle einer humanitären Krise zu helfen.
Die EU-Kommission und auch die deutsche Kanzlerin wollen auf jeden Fall verhindern, dass es in Griechenland zum Notstand kommt, wenn sich wegen der Grenzschließungen Zehntausende Flüchtlinge in dem Land stauen. Ohne größeres Aufhebens hat die Kommission vergangene Woche daher noch einmal 13 Millionen Euro an die Griechen überwiesen, um neue Unterkünfte zu bauen, 2015 summierten sich solche Nothilfen auf immerhin 146 Millionen Euro.
Merkel zwischen den Fronten
Viele Europäer drängen nun auch in der Schuldenkrise auf eine Lockerung der Sparauflagen. Doch da macht der IWF nicht mit. Er blockiert den längst fälligen ersten Prüfungsbericht der griechischen Reformfortschritte, von dessen positivem Ergebnis seine Beteiligung am dritten Rettungspaket abhängt.
IWF-Experten weisen darauf hin, das Griechenland dauerhafte Haushaltsüberschüsse von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr versprochen habe. Das sei nur über eine weitere Kürzung der Renten möglich, weil es dem Land einfach nicht gelinge, die wirklich Reichen ausreichend zu besteuern.
Viele aus der EU-Kommission würden gern auf den IWF verzichten. Dumm nur, dass Kanzlerin Merkel dessen Abschied auf Raten überhaupt nicht brauchen kann. Sie steht wegen der großen Zahl der Flüchtlinge in Deutschland ohnehin stark unter Druck, und auch für ihre Griechenland-Politik hatten viele Unionsabgeordnete im Bundestag nur die Hand gehoben, weil die Kanzlerin eine weitere Beteiligung des IWF in Aussicht gestellt hatte.
Beim Währungsfonds zeigt man sich angesichts solch politischen Kalküls wenig beeindruckt. "Wenn die Rentenreform nicht so tief und signifikant sein kann wie erhofft, muss es höhere Schuldenerleichterungen geben", sagte IWF-Chefin Lagarde vor Kurzem. Führende IWF-Experten lassen keinen Zweifel, dass es nicht der Fonds sein würde, der diese finanziert. "Das ist dann die Aufgabe der Europäer", sagen sie.
Tsipras' Chancen auf mildere Reformauflagen stehen dennoch nicht schlecht. Denn die Stimmung in Brüssel ist längst nicht so streng wie in Washington. Die EU-Kommission schaut derzeit noch nicht mal beim Stabilitäts- und Wachstumspakt genau hin. Länder wie Österreich und Frankreich konnten erst kürzlich durchsetzen, dass Ausgaben, die die Staaten für die Flüchtlinge machen, nicht auf das Defizitkriterium von Maastricht angerechnet werden sollen. Ein Präzedenzfall, auf den sich nun auch die von der Krise weit stärker betroffenen Griechen berufen können.
Im Video: Gestrandet in Athen - Endstation für Flüchtlinge
Zusammengefasst: Weil Griechenland von der wachsenden Zahl der Migranten besonders hart getroffen wird, drängen viele Europäer auf eine Lockerung bei den Sparauflagen. Doch der Internationale Währungsfonds stellt sich quer. Kanzlerin Merkel gerät zwischen die Fronten, denn sie will das Land einerseits nicht mit dem Flüchtlingsproblem im Stich lassen - andererseits hat sie die Stimmen der Union für ein drittes Hilfspaket nur bekommen, weil der IWF weiter seine Unterstützung zugesichert hat.