Griechenland-Spirale Wie Europa die Schuldenkrise überleben kann

EU-Politiker Rehn, Juncker: Es geht um politische Stabilität in Europa
Foto: Olivier Hoslet/ dpaEuropa ist in die schwerste Krise der Nachkriegszeit geraten. Seit Monaten erweisen sich die Regierungen der Mitgliedsländer als unfähig, eine überzeugende Lösung für die gravierenden Verschuldungsprobleme einzelner Länder und für den Abbau der Ungleichgewichte innerhalb des Währungsraums zu entwickeln.
Es liegt in erster Linie an dieser Hilflosigkeit und nur in zweiter Linie am Einfluss von Spekulanten, dass die Verunsicherung der Anleger in den vergangenen Wochen immer stärker zugenommen hat.
Die Bankenkrise vom Herbst 2008 lehrt, dass Rettungspakete, die unter dem Druck der Märkte getroffen werden, in der Situation einer massiven Vertrauenskrise verpuffen. Damals konnte die Stabilisierung erst mit dem umfassenden Lösungskonzept des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes erreicht werden. Heute benötigt der Euroraum ebenfalls eine gemeinsame Strategie, die die Solidität der öffentlichen Finanzen mit der Solidarität der Teilnehmerländer in Einklang bringt.

Auf der einen Seite müssen die Teilnehmerländer vor den Exzessen der Finanzmärkte geschützt werden. Auf der anderen Seite muss dafür gesorgt werden, dass die Solidarität der Teilnehmerländer nicht dazu führt, dass in einzelnen Staaten die Anstrengungen zur fiskalischen Konsolidierung untergraben werden. Darunter versteht man die Anstrengungen eines Staates, das Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben, von Importen und Exporten auf ein gesundes Niveau zu bringen.
Es bedarf also einer angemessenen Balance von "Fördern und Fordern".
Was die EU fordern sollte
Grundlage für das Prinzip des Forderns sollte ein europäischer Konsolidierungspakt sein. Er würde alle Mitgliedsländer verpflichten, eine mittelfristig angelegte Konsolidierungsstrategie zu formulieren, in der anhand konkret und öffentlich überprüfbarer Maßnahmen festgelegt wird, wie die Rückkehr zu einem weitgehend ausgeglichenen Haushalt erreicht werden soll. Anstelle von Defizitzielen, die von der Politik oft nur schwer zu kontrollieren sind, sollten Ausgabenpfade festgelegt werden - dazu verbindliche Zeitpläne für Steuererhöhungen und gegebenenfalls die Verschärfung des Steuerstrafrechts.

Der Vorteil eines solchen Pakts würde neben der Überprüfbarkeit nationaler Verpflichtungen darin bestehen, dass bei einem koordinierten Vorgehen für den Euroraum insgesamt festgestellt werden kann, wie hoch der von der Konsolidierung ausgehende negative Nachfrageimpuls ist.
Es kann so vermieden werden, dass ein kollektives Überkonsolidieren zu einem erneuten Einbruch der Konjunktur und damit am Ende noch höheren Defiziten führt. Für Länder mit einer vergleichsweise guten Fiskalposition sollte ein verlangsamter Konsolidierungsprozess ins Auge gefasst werden, um ein Abwürgen der Konjunktur des Euroraums zu vermeiden.
Wie die EU fördern sollte
Grundlage für das Prinzip des Förderns sollte ein gemeinsamer Finanzierungsmechanismus sein. Der sollte allen Ländern offenstehen, die sich an die im Konsolidierungspakt vorgegeben Maßnahmen halten.
Um eine Überbeanspruchung zu vermeiden, sollten Mittel des Mechanismus grundsätzlich mit einem Zinsaufschlag gegenüber dem Benchmark-Zins von 150 Basispunkten vergeben werden. Für ein Land wie Griechenland würde das eine deutliche Einsparung von Zinskosten bedeuten; für die EU mehr Kontrolle: Kommt Griechenland seinen Konsolidierungsverpflichtungen nicht nach, würde der Zugang zu zinsgünstigen Mitteln sofort gesperrt.
Um die fiskalpolitische Solidität in allen Mitgliedsländern dauerhaft zu sichern, müsste ein zusätzlicher Sanktionsmechanismus im Stabilitäts- und Wachstumspakt verankert werden. Für Länder, die ein "übermäßiges Defizit" aufweisen, müsste die EU in den nationalen Verfassungen neue Rechte eingeräumt bekommen. Sie müsste die Möglichkeit bekommen, einen Aufschlag auf die nationale Einkommen- oder Mehrwertsteuer zu erheben - eine Art "Schulden-Soli".
Anders als die bisher im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehenen Sanktionen, hätte eine solche Maßnahme den Vorteil, dass sie die Probleme eines Landes nicht vergrößert, sondern reduziert.
Europa braucht eine Vision - kein hastiges Finanz-Flickwerk
Ein europäischer Konsolidierungspakt wäre eine bessere Antwort auf die derzeitige Krise als hastige Hilfspakete. Denn für die Zukunft der Währungsunion kommt es nicht nur darauf an, die aktuelle Verschuldungskrise zu lösen. Es geht zugleich darum, eine bessere Wachstumsbalance zu erreichen.
Hier ist in erster Linie Deutschland gefordert. Es ist ein für das Gesamtsystem nicht zumutbarer Zustand, wenn die Ausgaben der Deutschen im größten Mitgliedsland seit über zehn Jahren stagnieren. Wer darin eine Tugend sieht, muss sich fragen lassen, wie die deutschen Exporterfolge möglich gewesen wären, wenn sich die anderen Länder ähnlich "tugendhaft" wie wir verhalten hätten.
Es kennzeichnet den Stand der Debatte, dass solche ebenso simplen wie fundamentalen Einsichten in Berlin offensichtlich schwer zu vermitteln sind. Anders ist das "Warten auf Godot" - auf den hoffentlich uns wieder belebenden Export - nicht zu erklären.
Dabei ist klar: Ohne massive deutsche Anstrengungen für mehr binnenwirtschaftliche Dynamik hat die Europäische Währungsunion keine Zukunft.
Wer in Deutschland weiterhin glaubt, man könne den Euro wieder abschaffen, verkennt, wie wichtig der Euroraum als Absatzmarkt für unsere Industrie ist. Die Zukunft Europas steht auf dem Spiel. Ein Scheitern der Währungsunion würde die europäische Integration insgesamt in Frage stellen. Sie hat es ermöglicht, aus einem durch Kriege verwüsteten Kontinent über mehr als ein halbes Jahrhundert hinweg einen Raum von Frieden und Prosperität zu schaffen.
Es geht nicht nur um Geld, es geht um politische Stabilität in Europa.