Griechenland und der Euro Tsipras und die drei Szenarien

Bürger in Athens Innenstadt: Tsipras ist Regierungschef - und nun?
Foto: Yorgos Karahalis/ AP/dpaHamburg - Der Wahlsieg war fulminant: Das linke Bündnis Syriza hat die absolute Mehrheit in Griechenland nur um zwei Sitze verfehlt, ihr charismatischer Anführer Alexis Tsipras ist Chef einer neuen Koalitionsregierung.
Damit ist eingetreten, was viele Politiker und Ökonomen befürchtet haben: In Athen regieren nun jene, die lautstark ein Ende des Sparkurses gefordert, einen Schuldenschnitt und zahlreiche kostspielige Erleichterungen für die Mittelschicht versprochen haben - und das trotz leerer Staatskassen.
Wie realistisch sind diese Versprechen? Und wie werden die Europartner reagieren? Drei Szenarien im Überblick:
Szenario eins: Tsipras' Plan geht auf

Hafen von Piräus (Januar 2012): Robustes Wachstum, soziale Gerechtigkeit
Foto: © John Kolesidis / Reuters/ REUTERSIm vergangenen Jahr gab es endlich positive Nachrichten aus Griechenland: Zum ersten Mal nach mehr als sechs Jahren wuchs die Wirtschaft des Landes wieder, der Staat erwirtschaftete vor Abzug der Zinszahlungen einen Überschuss. Der Haushalt für dieses Jahr ist ausgeglichen, die Prognosen versprechen zudem stärkeres Wachstum.
Im optimistischen Szenario gelingt es der neuen Regierung, die Verwaltung zu vereinfachen und das Steuersystem so zu reformieren, dass auch die Reichen stärker zur Staatsfinanzierung beitragen. Die Steuereinnahmen steigen deutlich.
Das gibt Tsipras den Spielraum, zumindest die wichtigsten seiner sozialen Versprechen einzulösen. Wenn arme Menschen mehr Geld in der Tasche haben, geben sie es meist sofort wieder aus. Tsipras' Umverteilungspolitik würde daher die Binnenkonjunktur stimulieren. Das führt zu weiterem Wachstum.
Das Verhältnis zu den internationalen Geldgebern - EU, EZB und Internationaler Währungsfonds (IWF) - entspannt sich angesichts des Wachstumstrends. Griechenland bedient seine Schulden wie vereinbart, Tsipras drängt zwar öffentlich auf den versprochenen Schuldenschnitt - gibt sich aber mit weiteren Stundungen und Zinsnachlässen zufrieden, die er hinter den Kulissen mit den Europartnern ausgehandelt hat.
Dieses optimistische Szenario ist allerdings extrem unwahrscheinlich, allein wegen zwei aktueller Entwicklungen, auf die der Chefvolkswirt der Berenberg-Bank, Holger Schmieding, hinweist:
- Die Steuereinnahmen sind seit November drastisch eingebrochen. Medienberichten zufolge klafft bereits jetzt ein Loch von 2,3 Milliarden Euro im Haushalt für 2015.
- Gleichzeitig ziehen Anleger massiv Geld ab. Allein in den ersten Wochen dieses Jahres sollen es laut Berichten fünf Milliarden Euro gewesen sein, Ende 2014 weitere drei Milliarden Euro. Statt Investitionsboom herrscht Kapitalflucht, die Wachstumsprognosen zur Makulatur machen könnte.
Szenario zwei: Der Worst Case - "Grexit"

Obdachlose in Athen (Juni 2012): "Grexit" würde Armut zu Katastrophe machen
Foto: Oli Scarff/ Getty ImagesDiese Entwicklungen machen ein Schreckensszenario möglich: Trotz leerer Staatskassen und Kapitalflucht zieht die Syriza-geführte Regierung ihr Programm durch: massenhaft neue Beamtenstellen, Steuererleichterungen für die Mittelschicht, staatliche Investitionen, höhere Sozialhilfe. Die Gläubiger bleiben hart, einen Schuldenschnitt gibt es nicht.
Binnen kurzem ist Griechenland zahlungsunfähig und stellt den Schuldendienst ein. Es folgt ein extrem unschöner Prozess: Die EZB verweigert im Gegenzug die Finanzierung der griechischen Banken, auch Finanzierungsnotlösungen von Regierung und Notenbank in Athen helfen nur kurz. Dann muss Griechenland den Euro notgedrungen verlassen und die Drachme wieder einführen. Der "Grexit" ist da.
Nicht nur der Staat wäre dann bankrott, sondern kurz darauf auch die Banken - und viele Unternehmen, wie Marcel Fratzscher betont, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Denn deren Kredite laufen weiter in Euro, mit einer drastisch abgewerteten Drachme sind sie nicht mehr zu bedienen. Darüber hinaus kommt es zu Versorgungsengpässen, denn viele Güter muss Griechenland importieren und kann sie auch nicht auf die Schnelle durch eigene Produkte ersetzen.
Die Folgen für Griechenland wären katastrophal: Schlagartig herrschte eine bislang unbekannte Armut, für breite Bevölkerungsschichten ginge es ums nackte Überleben, soziale Unruhen sind programmiert. Und auch der Rest der Eurozone müsste zittern: Krisenstaaten wie Italien und Spanien würden weitaus kritischer beobachtet, ihre Schuldzinsen in die Höhe schnellen. Das Bankensystem im Währungsraum würde wackelig, die Hoffnung auf Wachstum rückte in weite Ferne.
Die Eurostaaten müssten viel Geld abschreiben - allein auf Deutschland entfallen rund 65 Milliarden Euro der griechischen Staatsschulden.
DIW-Chef Fratzscher hält ein solches Katastrophenszenario nur zu zehn Prozent für wahrscheinlich - Berenberg-Analyst Schmieding hält das Risiko hingegen für weitaus höher: Er beziffert die Wahrscheinlichkeit auf 30 Prozent.
Mit 50 Prozent am wahrscheinlichsten schätzt Schmieding allerdings Szenario drei ein:
Szenario drei: Das Durchwursteln geht weiter

Regierungschef Tsipras: Gesicht gewahrt, Wähler verloren
Foto: LOUISA GOULIAMAKI/ AFPEs gibt weder einen offiziellen Schuldenschnitt und das Ende des Sparkurses in Griechenland noch den katastrophalen Euro-Austritt - sondern ein Weiter-so.
Entscheidend ist, dass sowohl Tsipras als auch die Europartner einen "Grexit" und dessen katastrophale Folgen in jedem Fall verhindern werden wollen.
Gleichzeitig gibt es für beide Seiten rote Linien: Tsipras muss nach der lautstarken Ankündigung eines Schuldenschnitts nun liefern, ein totales Einknicken in diesem Punkt kann er sich nicht leisten. Die Eurostaaten werden ihrerseits nicht akzeptieren, dass Griechenland den lautstark angekündigten Schuldenschnitt regelrecht erpresst und gleichzeitig Strukturreformen zurückdreht. Dieser Präzedenzfall würde in Spanien, Irland oder Portugal ähnliche Begehrlichkeiten wecken.
Gesucht wäre also ein Kompromiss, bei dem beide Seiten ihr Gesicht wahren können: Die Gläubiger gewähren Griechenland weitere Erleichterungen beim Schuldendienst, konkret also Stundungen, längere Laufzeiten und niedrigere Zinsen - können aber demonstrativ darauf verweisen, es handele sich nicht um einen Schuldenschnitt. Als de facto einen eben solchen kann die griechische Regierung die Erleichterungen ihren Wählern aber durchaus verkaufen.
Der Weg zu dieser Lösung führt wohl über harte und zähe Verhandlungen. Die Zeit dafür dürften die Euro-Finanzminister sehr bald schaffen, indem sie das aktuelle Rettungsprogramm bis Mitte des Jahres verlängern.
Das Problem bei diesem wahrscheinlichsten Szenario: Tsipras mag auf diese Weise das Gesicht wahren können - im Geldbeutel der Griechen wird sich das aber kaum bemerkbar machen. Die sozialen Verwerfungen der vergangenen Jahre würden sich fortsetzen, die Arbeitslosigkeit bliebe hoch. Immer mehr Griechen würden in die Armut abrutschen.
Das werden ihm viele seiner jetzigen Wähler nicht verzeihen, insbesondere wenn auch Reformen in der Korruptionsbekämpfung oder hin zu einer gerechteren Besteuerung misslingen.
Schon bald befände sich Tsipras in der gleichen Situation wie sein am Sonntag abgewählte Vorgänger Antonis Samaras.