Strafanzeigen gegen griechischen Ex-Finanzminister Varoufakis kann ganz cool bleiben

Varoufakis: Sündenbock und willkommene Ablenkung von der Misere des Landes
Foto: © Kai Pfaffenbach / Reuters/ REUTERSIn der heißesten Phase des Schuldenstreits mit den Gläubigern entwickelten Yanis Varoufakis und einige enge Berater einen detaillierten Plan B. Für den Fall eines Bruchs mit den Geldgebern wollten sie in Griechenland eine Parallelwährung einführen. So plauderte es der ehemalige Finanzminister in einer Investorenkonferenz freimütig aus.
Seine Enthüllungen haben Varoufakis eine Reihe von Strafanzeigen eingebracht. Ein Bürgermeister und mehrere Athener Anwälte beschuldigen ihn und seine Berater unter anderem des Hochverrats, der Bildung einer kriminellen Vereinigung und des rechtswidrigen Zugriff auf persönliche Daten von Bürgern.
Drei der Strafanzeigen liegen bereits dem Parlament vor, in den kommenden Tagen werden sie voraussichtlich dort im Plenum behandelt. Droht Varoufakis, Griechenlands beliebtestem Politiker und jüngst in Ungnade gefallenem Liebling der globalen Medien, nun tatsächlich der Knast?
Wie die Dinge stehen, ist selbst ein Prozess gegen Varoufakis alles andere als wahrscheinlich.
Derzeit gibt es weder ein Strafverfahren noch Ermittlungen gegen den ehemaligen Finanzminister. Bislang sind lediglich Anzeigen seitens griechischer Bürger beim Generalstaatsanwalt eingegangen. Abgeordnete wie Varoufakis genießen in Griechenland aber - ebenso wie in Deutschland - Immunität. Die Strafverfolger können die Anzeigen lediglich an das Parlament weiterleiten, ohne sie zuvor in der Sache zu prüfen. Exakt das ist im Fall Varoufakis geschehen.
Selbst die Opposition will keinen Prozess
Es liegt also im Ermessen des Parlaments, ob Varoufakis etwas getan oder unterlassen hat, das weitere Schritte gegen ihn rechtfertigen könnte, etwa die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses oder die Aufhebung der Immunität. Die griechische Verfassung schreibt dafür eine förmliche Abstimmung vor.
Wird eine Mehrheit der griechischen Abgeordneten also für eine Strafverfolgung ihres Kollegen Varoufakis stimmen? Auch das ist extrem unwahrscheinlich:
- Regierungschef Alexis Tsipras hat bereits mehrfach öffentlich bestätigt, Varoufakis mit der Vorbereitung für einen Plan B beauftragt zu haben. Am Freitag wird Tsipras voraussichtlich im Parlament konkrete Fragen der Oppositionspartei Pasok zu diesem Auftrag beantworten. Er würde ziemlich dumm dastehen, sollte er beteuern, von Varoufakis' Plan keinen blassen Schimmer gehabt zu haben.
- Selbst Syriza-Abgeordnete, die Varoufakis kritisch gegenüberstehen, werden sich höchstwahrscheinlich nicht an einem solchen Angriff auf ihren ehemaligen Minister beteiligen. So haben etwa die Hardliner der Linken Plattform unter Panagiotis Lafazanis Varoufakis in der Vergangenheit zwar massiv kritisiert - in diesem Fall aber bereits öffentlich Partei für ihn ergriffen.
- Nicht einmal aus den Oppositionsparteien droht Varoufakis Ungemach. Die konservative Nea Dimokratia (ND) als größte unter ihnen etwa hat gar kein Interesse, den Fall bis zum Äußersten zu treiben. ND-Chef Vangelis Meimarakis kündigte bereits im Fernsehsender ANT1 an, jede politische und parlamentarische Möglichkeit zu nutzen, die Wahrheit über den Varoufakis-Plan ans Licht zu bringen - Strafermittlungen strebe man aber nicht an.
- Formalien: Für eine Anklage wegen Vergehen im Amt müssten zuerst mindestens 30 Abgeordnete einen schriftlichen Antrag einreichen und darin strafwürdige Verstöße oder Unterlassungen begründen. Diesem Antrag muss dann eine absolute Mehrheit im Parlament zustimmen - konkret also 151 der 300 Abgeordneten. Erst dann würde ein Untersuchungsausschuss mit Vorermittlungen beginnen. Eine Zustimmung von 151 Abgeordneten? Nicht unmöglich, aber sehr unwahrscheinlich.
- Zu guter Letzt: Selbst wenn all dies geschähe, Varoufakis vor Gericht gestellt würde und ihm am Ende eine Verurteilung droht, wird er jedenfalls wohl kaum ins Gefängnis müssen. Dazu müssten die Ankläger ihm nachweisen, dass er sich durch die Datenschutzverstöße persönlich bereichern oder die Bürger schädigen wollte. Ebenso wenig dürfte ihnen gelingen, Varoufakis nachzuweisen, mit Vorsatz Hochverrat betrieben zu haben.
Politische Beobachter in Griechenland finden, dass die Aufregung um Varoufakis als Sündenbock für den Grexit-Plan eine der Regierung willkommene Ablenkung von der aktuellen Misere darstellt. Die Popularität des Ex-Finanzministers - zu Hause wie im Ausland - gepaart mit den zweifellos sensationellen Details seines Plans haben für eine unterhaltsame Sommergeschichte gesorgt, mit der man sich einfach lieber befasst als mit den sehr realen Problemen des Landes.
Nicht nur viele Griechen halten es für absurd, den Finanzminister dafür anzuklagen, einen Grexit-Plan vorzubereiten, wenn so ziemlich alle anderen einschließlich Deutschland und der EU-Kommission ihre eigenen Notfallpläne in der Schublade haben. Auch US-Starökonom Paul Krugman und der erfahrene Fondsmanager Mohamed El-Erian argumentieren so.
Solange also keine neuen, substanzielle Enthüllungen auftauchen, scheint das schwerwiegendste Urteil, dem Yanis Varoufakis sich stellen muss, das der öffentlichen Meinung zu sein.