
Reformforderungen an Deutschland: Futter für die Troika
Deutscher Reformstau Wenn die Troika nach Berlin käme
Sie könnten im Hotel Adlon nächtigen, im Westin Grand oder auch im Ritz-Carlton. Hauptsache, nah dran am Berliner Regierungsbetrieb. Schließlich müssten sich die Männer und Frauen in dunklen Anzügen und Kostümen regelmäßig mit der Kanzlerin und ihren Ministern treffen. Die Grundfrage wäre dabei immer dieselbe: Setzt Deutschland alle Reformen um, die seine Geldgeber verlangen?
Eine Troika in Berlin - das erscheint derzeit als ziemlich absurder Gedanke. Griechenland, Portugal, Irland und Zypern mussten Kontrolleure von EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds ins Land lassen, weil sie andere Länder um Milliardenhilfen gebeten hatten. In Deutschland aber wächst die Wirtschaft seit Jahren, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Bundesrepublik gibt in der Euro-Krise den Ton an. Was also soll es hier zu kontrollieren geben?
Wer sich aber auf das Gedankenspiel einlässt, stößt auf viele Forderungen, die eine Troika auch in Deutschland erheben könnte. Vieles davon deckt sich sogar mit Verpflichtungen, die der vermeintliche Reformverweigerer Griechenland gerade für das dritte Hilfspaket eingehen musste, über das der Bundestag am Mittwoch abstimmt.
So haben die Griechen nun auf Druck von außen die Angleichung ihrer Mehrwertsteuern beschlossen. Schon beim Bezahlen ihrer Unterkunft werden die Troika-Beamten in Deutschland merken: Auch hierzulande gibt es ermäßigte Mehrwertsteuersätze, etwa die berühmte Mövenpick-Steuer für Hotels. Diese müsse gestrichen werden, heißt es in den jüngsten Empfehlungen der Industrieländerorganisation OECD .
Auch ein anderer Kritikpunkt ist aus der Griechenlanddebatte wohlvertraut: die ungleiche Belastung von Arm und Reich. Weil die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge im Gegensatz zu anderen Ländern gedeckelt ist, zahlen deutsche Gutverdiener weniger Abgaben als im OECD-Durchschnitt. Die Belastung von Armen und Mittelschicht liegt hingegen deutlich höher als in anderen Industriestaaten. Auf Druck der Troika würden die Steuern auf Arbeit sinken, stattdessen würden unter anderem die Immobiliensteuern erhöht.
Immer eine beliebte Empfehlung ist die Stärkung des Wettbewerbs. In Griechenland soll nun zum Beispiel der Apothekenmarkt liberalisiert werden. Rezeptfreie Medikamente könnten dann auch in anderen Läden verkauft werden, Apothekenketten würden erlaubt. Wenn die Troika nach Deutschland kommt, wird sie feststellen: Genau diese Reformen wurden hier erfolgreich von den Apothekern verhindert.
Wo wir gerade bei geschützten Berufen sind: Seit Langem kritisiert die EU-Kommission den sogenannten Meisterzwang, weil dieser eine ungerechtfertigte Zutrittsschranke zum Baugewerbe und anderen Branchen darstelle. Käme die Troika nach Berlin, würden Vertreter des deutschen Handwerks barmend darauf hinweisen, dass der Abschluss für hohe Qualität stehe. In der ausländischen Presse dagegen würden Schlagzeilen erscheinen wie "Deutsche verteidigen mittelalterliches Berufssystem" - garniert mit exotischen Bildern von Zimmermännern auf der Walz.
Beim Troika-Klassiker Privatisierungen könnten sich deutsche Politiker zunächst auf der sicheren Seite wähnen: Im Gegensatz zu Griechenland hat Deutschland schon in den Neunzigerjahren große Staatskonzerne privatisiert, so entstanden auch Telekom und Post. Doch die Bundesrepublik besitzt bis heute erhebliche Anteile an beiden Unternehmen. Die Troika würde den Staat wohl zum Verkauf zwingen und könnte sich dabei auf eine Empfehlung des Bundesrechnungshofs stützen. "Telefonieren ist heute keine Aufgabe der staatlichen Daseinsvorsorge mehr", sagte dessen Vizepräsident Christian Ahrendt der "Welt".
In Griechenland hat die Regierung nun nach viel Hin und Her dem Verkauf von 14 Regionalflughäfen an den deutschen Betreiber Fraport zugestimmt. Aus Deutschland würde die staunende Weltöffentlichkeit von der Troika erfahren, dass sich hier Ministerpräsidenten mit Steuergeldern Dutzende unrentabler Provinzflughäfen geleistet haben - etwa den unter Roland Koch (CDU) gebauten Airport Kassel-Calden, von dem im Schnitt jeden Tag 0,86 Flugzeuge abheben. Auf Druck der Geldgeber müsste sich Deutschland zur Schließung der Flughäfen verpflichten.
Zu wütenden Massenprotesten vor dem Berliner Sitz der Troika dürfte es spätestens dann kommen, wenn diese ähnlich rigoros wie in Griechenland Kürzungen an den Sozialsystemen fordert. Dazu könnten eine Streichung der Mütterrente und der Rente mit 63 gehören oder eine deutliche Kürzung von Beamtenpensionen bis auf das Niveau staatlicher Renten. Sollte Bayern bis zum Eintreffen der Troika noch erfolgreich das Betreuungsgeld verteidigt haben, so würde es selbstverständlich von den Sparkommissaren geschleift, weil es die in Deutschland ohnehin unterdurchschnittliche Erwerbstätigkeit von Frauen bremst.
Die endgültige Revolution aber könnte eine Troika-Forderung auslösen, die sich so auch in den neuen Vereinbarungen mit Griechenland findet: eine Ausweitung der Ladenöffnungszeiten auf Sonntag. Angeführt von mehreren deutschen Bischöfen würde ein Protestzug bis vors Hotel der Troika ziehen. "Raus mit den neuen Besatzern", stünde über Bildern der Chefs von IWF, EU und EZB. Nur die auf griechischen Postern gerne verwendeten Hakenkreuze würde man aus historischen Gründen eher verzichten.