Wahlkampf in Griechenland Tsipras opfert den Aufschwung

Griechenlands Wirtschaft wächst, der Staat kommt wieder an Geld. Um seine Wiederwahl zu retten, drückt Ministerpräsident Tsipras teure Maßnahmen durch. Er riskiert damit den zarten Aufschwung - und ärgert Europa.
Alexis Tsipras im Parlament im Februar 2019

Alexis Tsipras im Parlament im Februar 2019

Foto: Thanassis Stavrakis/ AP

Für die Regierung in Athen geht es um viel Geld: Die Finanzminister der Eurozone treffen sich an diesem Montag, um über die Fortschritte der griechischen Wirtschaft zu sprechen. Sollten die Bedingungen der EU-Partner erfüllt sein, könnten Hunderte Millionen Euro nach Athen fließen. Doch gegenüber griechischen Journalisten hieß es in Brüssel bereits, sollten Reformen verzögert werden, werde das Geld zurückgehalten.

Dabei haben die Finanzminister eigentlich viele Gründe, ihren griechischen Kollegen Euklidis Tsakalotos zu loben. Sechs Monate nach dem Ende der dritten Rettungsaktion Griechenlands wächst die Wirtschaft. Das Land bekommt an den Finanzmärkten wieder Geld und übertrifft sogar seine anspruchsvollen finanzpolitischen Ziele.

Ist also alles in Ordnung in dem Land, das vor wenigen Jahren beinahe den Euroraum verlassen musste?

Eher nicht. Diese Ansicht vertraten zumindest EU-Beamte, Politiker und Analysten in Hintergrundgesprächen auf dem Delphi-Wirtschaftsforum Anfang März. Jedes Jahr versammeln sich führende Köpfe aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in diesem kleinen Dorf in den Bergen, benannt nach dem berühmtesten Orakel der Antike.

Alexis Tsipras auf dem Delphi-Wirtschaftsforum

Alexis Tsipras auf dem Delphi-Wirtschaftsforum

Foto: Giorgos Christides

Die Regierung könnte Reformen verschleppen

Während die Beamten die Fortschritte Griechenlands seit der Finanzkrise anerkannten, warnten sie zugleich, dass die Wende noch nicht geschafft sei. Griechenland stehe vor mehreren Herausforderungen. Die größte Sorge der Beobachter: Dass die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras nur noch mit Blick auf die Wahlen in diesem Jahr handelt. Denn in den Umfragen sieht es schlecht aus für Tsipras.

Seine vierjährige Amtszeit als Ministerpräsident endet im Oktober. Analysten spekulieren darüber, dass die Parlamentswahl auf Mai vorverlegt wird. Regierungschef Tsipras beteuert dagegen, die Wahlen werden im Oktober stattfinden.

Das Problem für die griechische Wirtschaft: Je länger der Wahlkampf dauert, desto größer ist die Gefahr, dass die Regierung Reformen verzögert und in einen Verteilungsmodus wechselt. Damit könnte Tsipras versuchen, die Meinungsforscher zu widerlegen.

Denn als Favorit wird die konservative Nea Dimokratia gehandelt, sie übertrifft die regierende Syriza-Partei in Meinungsumfragen bei Weitem. Die Konservativen haben einen liberalen, reformfreundlichen Anführer, der sich zu den Verpflichtungen Griechenlands nach der Krise bekannt hat und gleichzeitig einen "aggressiven Reform- und Wirtschaftsentwicklungsplan" verfolgen will.

Populäre Maßnahmen gehen nach hinten los

Die griechische Wirtschaft ist 2018 um 1,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gewachsen - damit aber nicht so stark, wie die Regierung es sich erhofft hatte.

EU-Vertreter lassen durchblicken, dass Griechenland sich aus ihrer Sicht keine Freigiebigkeit leisten kann. Dennoch verteilte Tsipras Ende vergangenen Jahres 782 Millionen Euro in bar an Haushalte mit niedrigem Einkommen.

Die Regierung finanziert solche Maßnahmen, indem sie ihr geplantes Haushaltsbudget überschreitet. Griechenland hat sein primäres Haushaltsziel 2018 zum vierten Mal in Folge überzogen. Das ist unnötig, sagen Kritiker, und wird durch eine Überbesteuerung erreicht, die der Realwirtschaft schadet.

Andere Maßnahmen finanziert die Regierung auf Kosten der Unternehmen. So hat sie zum 1. Februar eine Erhöhung des Mindestlohns um 10,9 Prozent auf 650 Euro im Monat beschlossen und will damit Hunderttausenden Arbeitnehmern helfen. Das ist die Art von politischen Entscheidungen, die Griechenland in Schwierigkeiten gebracht hat - populär, aber nicht hilfreich für die Wettbewerbsfähigkeit.

Kritiker befürchten zudem, dass die Erhöhung des Mindestlohns zu einer Zunahme von Schwarzarbeit führen könnte.

Tsipras vor Bürgern im August 2018

Tsipras vor Bürgern im August 2018

Foto: EUROKINISSI/ REUTERS

Auch junge Arbeitnehmer bekommen jetzt den regulären Mindestlohn, zuvor galt für sie ein geringerer Satz. EU-Vertreter schätzen, dass sich die Arbeitskosten für einen jungen Arbeitnehmer nach der Entscheidung von Tsipras um 20 Prozent erhöhen. Sie befürchten dadurch auch einen Rückgang der Jugendbeschäftigung um zwei bis vier Prozent - und das in einem Land, das mit 38,5 Prozent bereits die höchste Jugendarbeitslosenquote der EU hat.

Kritiker warnen vor solchen unbeabsichtigten Folgen. So berichtet eine junge Psychologin dem SPIEGEL, dass sie zunächst von der Mindestlohnerhöhung begeistert gewesen sei. "Ich könnte die zusätzlichen Euro gut gebrauchen", sagt die junge Frau, die nicht namentlich genannt werden möchte. Doch ihr Chef, der Inhaber einer mittelgroßen Sonderschule in Thessaloniki, habe sie und einen weiteren Kollegen gefeuert. "Er sagte uns, er könne es sich nicht leisten, uns nach der Mindestlohnerhöhung alle zu behalten."

Europäische Offizielle sagten dem SPIEGEL am Rande der Delphi-Konferenz, mit ihren jüngsten Maßnahmen sende die Regierung Tsipras eine Botschaft: Dass Griechenland ohne strenge Kontrolle wieder zu alten Mustern zurückkehre.

Eine lange Liste von Problemen

Das Land hat noch eine ganze Reihe von Problemen und Herausforderungen vor sich, die den Aufschwung gefährden könnten:

  • Verzögerungen bei Reformen und Privatisierungen
  • Ein schwaches Bankensystem, das durch 84,7 Milliarden Euro notleidender Kredite belastet ist (das entspricht etwa der Hälfte des griechischen Bruttoinlandsprodukts)
  • Steuerhinterziehungen, bei der Selbstständige ihr Einkommen um schätzungsweise 80 Prozent unterbewerten
  • Erste Anzeichen, dass der Tourismus-Boom nach mehreren Rekordjahren endet
  • Ein Maximum an Neueinstellungen im öffentlichen Sektor
  • ausstehende Gerichtsentscheidungen, die Kürzungen bei Renten und Lohnprämien rückgängig machen könnten.

Die Finanzminister der Eurogruppe werden ihre griechischen Kollegen zu diesen Risiken befragen - zumal die meisten davon im jüngst veröffentlichten "verstärkten Überwachungsbericht" der EU beschrieben sind . Dieser Bericht soll der Eurogruppe als Grundlage dienen, um über die Freigabe von 970 Millionen Euro an Athen zu entscheiden - Gewinne der Zentralbanken der Eurozone aus griechischen Anleihen, die sie während der Krise gekauft hatten.

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