Troika-Forderung Griechische Bürgermeister rebellieren gegen Entlassungslisten

Der Druck der Geldgeber auf die griechische Regierung könnte verpuffen: Die Bürgermeister in den Großstädten weigern sich, die geforderten Namenslisten für Entlassungen im Öffentlichen Dienst nach Athen zu schicken. Notfalls wollen sie geschlossen zurücktreten.
Gewerkschafterprotest in Thessaloniki (6. November): "Wir haben alle Angst"

Gewerkschafterprotest in Thessaloniki (6. November): "Wir haben alle Angst"

Foto: Giorgos Nisiotis/ AP

Die Atmosphäre war gespannt in der Stadthalle von Thessaloniki. Dutzende städtische Angestellte waren am Montagmorgen gekommen, um gegen die geplante Entlassung von 27.000 Staatsbediensteten zu protestieren. "Ich arbeite seit 22 Jahren für die Stadt, ich habe Angst um meinen Job. Wir alle haben Angst", klagte einer der 4000 Beschäftigten der Stadtverwaltung. Aus Sorge um seinen Arbeitsplatz will er seinen Namen nicht nennen.

Die Sitzung des Stadtrats in der überfüllten Stadthalle war turbulent, und sie endete mit einer denkwürdigen Entscheidung: Der Rat entschloss sich, Bürgermeister Giannis Boutaris zu folgen und sich gegen die Regierung in Athen zu stellen. Das heißt: Die zweitgrößte Stadt Griechenlands weigert sich, dem Innenministerium die geforderte Liste mit den Namen von Beschäftigten im Öffentlichen Dienst zu schicken, die entlassen werden könnten. Boutaris und sein Stadtrat stehen damit in seltener Einigkeit mit den Gewerkschaften.

Die Entlassungen im Öffentlichen Dienst sind eine zentrale Forderung der internationalen Geldgeber - andernfalls soll Griechenland keine Finanzhilfen bekommen. Tausende Staatsbedienstete sollen mit Gehaltskürzungen in eine Art Reserve-Pool abgeschoben werden. Wenn sie nach einem Jahr keine neue Stelle im Öffentlichen Dienst oder der Privatwirtschaft gefunden haben, sollen sie entlassen werden. Laut dem Bericht der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) sollen so innerhalb der kommenden zwölf Monate 27.000 Angestellte im Öffentlichen Dienst in die Reserve geschickt werden.

Wie SPIEGEL ONLINE berichtete, erwartet die Troika außerdem, dass bis Ende des Jahres 2000 Beschäftigte entlassen werden - und verlangt dafür konkrete Namenslisten. Die internationalen Geldgeber wollen sich nach den schlechten Erfahrungen der Vergangenheit nicht mehr auf die Versprechungen der griechischen Regierung verlassen. Athen hatte angekündigt, 15.000 Staatsangestellte zu entlassen, dem Troika-Bericht zufolge waren es letztlich aber weniger als hundert - vor allem Teilzeitbeschäftigte.

Jetzt hat die griechische Regierung ein handfestes Problem: Die Bürgermeister weigern sich schlicht, den Anweisungen zu folgen. In seltener Einigkeit in der für ihre Zerstrittenheit berüchtigten griechischen Politik haben die Kommunalgewerkschaft POE-OTA und der Kommunalverband KEDE eine regelrechte Anti-Entlassungs-Front gebildet. Seit Montag besetzen Staatsangestellte Büros der Behörden in Athen, Thessaloniki und anderen Großstädten. In einigen Gemeinden blockierten sie sogar den Zugang zu Büros, in denen sich die Mitarbeiterdaten befinden.

Boutaris, der als Bürgermeister von Thessaloniki als Reformer gilt, war sogar einer der ersten, der seinen Widerstand ankündigte. Auf der Stadtratsitzung sagte er: "Die Regierung und die Troika müssen endlich erkennen, dass sie mit diesen Maßnahmen die sowieso schon kastrierten Regionalverwaltungen nun auch noch enthaupten."

"In Griechenland klafft eine riesige Lücke zwischen Worten und Taten"

Der liberale Politiker Nikolas Tachiaos zeigte sich erstaunt über den Sinneswandel: "War es nicht Boutaris, der im vergangenen Jahr sagte, die Stadt würde auch mit der Hälfte der Beschäftigten auskommen? Es ist enttäuschend, dass sogar Bürgermeister, die als Modernisierer angetreten sind, sich weigern, diese Liste nach Athen zu schicken", sagte er SPIEGEL ONLINE. Tachiaos war Vize-Bürgermeister von Thessaloniki und hat mehr als zwanzig Jahre Erfahrung als Berater in der Kommunalverwaltung. "Die Nachricht, die diese Bürgermeister aussenden, ist klar: In Griechenland klafft eine riesige Lücke zwischen Worten und Taten."

Die Gewerkschaften sehen das anders: Keiner habe in Griechenland so viele Kosten eingespart wie die Städte, sagt der Vorsitzende des Kommunalverbands KEDE, Kostas Askounis. Weitere Kürzungen würden den schon jetzt überlasteten Kommunalbehörden den Todesstoß versetzen: "Mehr als 3500 Angestellte sind seit 2010 entlassen worden. Wollen die uns zerstören? Wer soll unsere Kinder in den städtischen Kindergärten betreuen? Wie sollen wir die 200 zusätzlichen Aufgaben, die wir von 2013 an bekommen, erfüllen?"

Tachiaos hält dagegen: Die Kommunen hätten in der grassierenden Vetternwirtschaft der achtziger und frühen neunziger Jahre viele ungelernte und jetzt überflüssige Leute eingestellt. "Die Behörden haben damals wirklich jeden genommen, der anklopfte. Die Namen, die jetzt auf die Listen sollen, sind Menschen mit niedriger Qualifikation, die ihre Festanstellungen nur über dunkle Kanäle bekommen haben."

Die Bürgermeister aber sind fest entschlossen, ihren Widerstand durchzusetzen. Sie könnten sogar geschlossen ihren Rücktritt einreichen - auf dem nächsten Gewerkschaftstreffen soll darüber diskutiert und entschieden werden.

Übersetzung aus dem Englischen: Nicolai Kwasniewski
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