Griechische Finanzkrise Warum deutsches Geld in Athen gut angelegt ist

Milliardenhilfen für Griechenland? Niemals! Politik und Öffentlichkeit in Deutschland wehren sich gegen mögliche Geldspritzen für das Krisenland - eine Fehleinschätzung. Offenbar hat niemand etwas aus dem Fall Lehman gelernt.
Akropolis in Athen: Die Finanzmärkte testen die Robustheit des Landes aus

Akropolis in Athen: Die Finanzmärkte testen die Robustheit des Landes aus

Foto: ? John Kolesidis / Reuters/ REUTERS

Hamburg - Es war Mitte September 2008, die Investmentbank Lehman Brothers stand kurz vor dem Bankrott, als die öffentliche Meinung in den USA kein Pardon mehr kannte: Nicht schon wieder sollte Washington Staatsmilliarden mobilisieren, um die bösen Banker aus ihrem selbstverschuldeten Schlamassel zu befreien. Sollen sich die gierigen Turbokapitalisten doch selbst helfen, so das Credo.

Schließlich hatte sich die US-Notenbank bereits im Frühjahr 2008 an der Rettung der damals fünftgrößten Investmentbank Bear Stearns beteiligt. Und im Sommer musste die Regierung mit Abermilliarden Dollar einspringen, um den Kollaps der beiden Hypotheken-Giganten Fannie Mae und Freddy Mac zu verhindern. Entsprechend groß war der öffentliche Druck auf Präsident George W. Bush und seinen Finanzminister Henry Paulson, im Fall von Lehman Brothers hart zu bleiben. Und so stellte die Regierung die Finanzindustrie vor die Wahl: Entweder, ihr helft euren Kohle-Kumpeln, oder sie gehen unter.

Bekanntermaßen passierte Letzteres. Die Stammtische hatten triumphiert, es blieb aber keine Zeit zum Jubeln. Denn die Pleite von Lehman Brothers riss fast die gesamte Welt mit in den Abgrund. Die zahlreichen Bankenrettungs- und Konjunkturpakete zur Überwindung der Finanzkrise dürften das Vielfache einer möglichen Lehman-Rettung gekostet haben.

Natürlich ist man hinterher immer klüger. Wirklich?

Zumindest ein bisschen erinnert die deutsche Situation in diesem Frühjahr an den US-Herbst 2008. Es geht mal wieder um die Frage, ob finanzielle Hilfen gezahlt werden, um eine mögliche Katastrophe zu verhindern. Diesmal steht nicht ein Unternehmen im Mittelpunkt, sondern ein ganzer Staat: Griechenland.

"Ihr griecht nix von uns"

Die gängige Meinung in Deutschland lautet vereinfacht so: Die Griechen sind ja vielleicht nette Gastgeber, aber eigentlich produzieren sie neben Fleischbergen doch nur Schuldenberge. Im Zweifel ist denen eh nicht zu helfen. Trotzdem sollen sie auch noch mit deutschem Geld aus ihrer griechischen Tragödie befreit werden. Das kann doch nicht sein.

Gut, denken viele, dass es Angela Merkel gibt. Die sagt den Griechen unseren Standpunkt zwar nicht direkt ins Gesicht, weist sie aber immerhin in ihre Schranken. Die Frau, die in der Innenpolitik schon lange nicht mehr Margaret Thatcher imitiert, macht wenigstens in der Außenpolitik auf Eiserne Lady. "Madame Non" wurde die Kanzlerin ehrfurchtsvoll nach dem vergangenen EU-Gipfel getauft, als sie bei den sogenannten europäischen Partnern durchgesetzt hatte, dass neben den EU-Staaten auch der Internationale Währungsfonds (IWF) im Fall der Fälle zur Rettung Athens bereitstehen soll.

Doch dann fand ausgerechnet ein Sachbearbeiter der guten alten Bundesbank heraus, dass die IWF-Sache nur ein Täuschungsmanöver ist. Denn die internationale Organisation würde sich die Mittel für ihren Griechen-Kredit auch in Deutschland besorgen. Die Bundesrepublik soll also so oder so zahlen. Da dürften die Stammtische alsbald wieder ihren Chor anstimmen: "Ihr Griechen, ihr griecht nix von uns!" ("Bild"-Zeitung).

Dass dieser Weg geradewegs in den Abgrund führt - siehe Lehman -, scheint keiner zu merken. Es ist Zeit für ein paar Fakten, die alle klar für eine Hilfsaktion sprechen.

Ja, Griechenland steckt in einer Haushaltskrise dramatischen Ausmaßes. Die Neuverschuldung des Landes würde ohne Einsparungen in diesem Jahr fast 13 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmachen, vielleicht sogar noch mehr.

Nur ist es nicht so, dass die Regierung des Sozialisten Georgios Papandreou das Dilemma schulterzuckend zur Kenntnis nimmt, sich dem Schicksal ergibt und nebenbei noch überlegt, wie sie die Staatsausgaben erhöhen könnte. Nein, der griechische Premier hat das Motto "sparen, sparen, sparen" ausgegeben. Er will das Defizit des Landes in diesem Jahr um vier Prozentpunkte drücken.

Nur mal so zum Vergleich: Würde Finanzminister Wolfgang Schäuble so brutal durchgreifen, müsste er in diesem Jahr in seinem Rekordschulden-Haushalt Dutzende Milliarden Euro einsparen. Statt Arroganz gegenüber Athen wäre also erst einmal Respekt für die immensen Schwierigkeiten angebracht, vor denen das Land steht.

Unkontrollierbarer Flächenbrand

Zumal niemand in Deutschland ein Interesse daran haben kann, dass sich die griechische Haushaltskrise weiter verschärft. Der Grund dafür ist so simpel, dass man ihn am besten mit den Worten des damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger beschreibt: "We are all sitting in one boat."

Deutsche Kreditinstitute haben mehr als 40 Milliarden Dollar an griechischen Staatsanleihen in ihren Portfolios. Für den Fall, dass der südeuropäische Staat zur Umschuldung seiner Kredite gezwungen wäre, müssten die Banken hierzulande hohe Abschreibungen vornehmen. Im Falle einer Pleite würden sie sogar auf wertlosen Papieren sitzen. Das könnte die deutschen Institute wiederum in arge Probleme bringen - denn auch die staatlich gestützten Konzerne Hypo Real Estate (HRE) und Commerzbank haben Geld an Griechenland vergeben. Im Extremfall müsste der deutsche Steuerzahler sie und andere erneut stützen. Das in Athen gesparte Geld würde dann nach Frankfurt fließen.

Noch fataler wäre beim Implodieren Griechenlands eine andere Konsequenz. Derzeit versuchen die Finanzmärkte nach Kräften, an dem Staat ein Exempel zu statuieren. Spekulanten wetten auf den Zusammenbruch und wollen daran kräftig verdienen. Unterstützt werden sie von altbekannten Akteuren: So forderte die Rating-Agentur Fitch die Regierung in Athen in dieser Woche unverhohlen zur finanzpolitischen Kapitulation auf.

Das zeigt, wie groß das Selbstbewusstsein gerade auch der zweifelhaften Akteure bereits wieder ist, die für den Schlamassel der Finanzkrise eine erhebliche Mitverantwortung tragen. Priorität der deutschen Regierung müsste es deshalb sein, endlich eine strengere Regulierung der internationalen Finanzmärkte durchzusetzen - und nicht Härte gegenüber Griechenland zu demonstrieren.

Weil die Finanzjongleure in London, New York und anderswo aber mit Tolerierung der Politik wieder wild spekulieren können, würde sie ein Einknicken oder sogar ein Fall Griechenlands nicht zufriedenstellen. Nein, sie würden es nur zum Anlass nehmen, die nächsten Wackelkandidaten zu testen. Ob Portugal, Spanien, Irland oder Italien - potentielle Opfer gäbe es genug. Dies würde aber schnell zu einem unkontrollierbaren Flächenbrand führen, gegen den die derzeitigen Löscharbeiten in Athen geradezu niedlich anmuten.

Es geht um Kredite, nicht um Geschenke

Und was, wenn sich die Lage in Griechenland wirklich schon bald so zuspitzt, dass die EU und der IWF helfen müssen und damit auch deutsche Euros nach Athen getragen werden? Selbst dieses Szenario wäre erst einmal kein Drama. Denn es geht nicht um exorbitante Summen. Bis zum Jahresende muss Griechenland 32 Milliarden Euro an Verbindlichkeiten umschulden oder neue Kredite aufnehmen. Das ist also die maximale Summe, die für 2010 auf dem Spiel steht, um das Land am Laufen zu halten.

Selbst wenn Deutschland an diesen 32 Milliarden Euro den größten Anteil übernehmen würde - entsprechend seiner Wirtschaftskraft in der Euro-Zone wahrscheinlich rund ein Viertel -, wären das gerade einmal acht Milliarden Euro. Zum Vergleich: An der Commerzbank hat sich der Bund mit mehr als 16 Milliarden Euro beteiligt. Und die Hilfen und Garantien an die Krisenbank HRE summieren sich bereits auf rund 100 Milliarden Euro.

Und was für die Banken gilt, ist auch für Griechenland wahr: Das Geld des deutschen Steuerzahlers ist nicht futsch. Die Bundesrepublik würde Kredite an Athen verteilen - und nicht Geschenke. Für geliehene Milliarden aber müsste das Land selbstverständlich Zinsen zahlen.

Derzeit liegen die Renditen von Staatsanleihen der Bundesrepublik bei gut drei Prozent, die der griechischen Pendants bei rund 7,5 Prozent. Wahrscheinlich würde Deutschland weniger Zinsen verlangen, vielleicht fünf Prozent. Es wäre aber wohl trotzdem für die Bundesrepublik ein gutes Geschäft: Sie leiht sich Geld für drei Prozent und reicht es für zwei Prozentpunkte mehr in den Süden Europas weiter. Ein Zehn-Milliarden-Kredit würde pro Jahr somit rund 200 Millionen Euro abwerfen. Kein wirklich schlechtes Geschäft.

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