GroKo-Gesundheitspläne Kommando rumdoktern

SPD und Union haben sich darauf verständigt, dass 8000 neue Pflegekräfte eingestellt werden sollen, finanziert durch die gesetzliche Krankenversicherung. Arbeitgeber sollen zur Finanzierung des Gesundheitssystems wieder genauso stark zur Kasse gebeten werden wie Arbeitnehmer. Um leichter Arzttermine zu vermitteln, sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen eine "bundesweit einheitliche, einprägsame" Telefonhotline einrichten und niedergelassene Ärzte 25 Stunden pro Woche Kassenpatienten behandeln, fünf mehr als bisher. (Was die GroKo bei der Gesundheit und Pflege plant, steht hier im Kurzüberblick.)
Die schwarz-rote Koalition doktert herum. Für einen großen Wurf hingegen fehlt der Reformdruck, trotz bis zu 62 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung zum SPD-Herzensprojekt Bürgerversicherung.
In den Wahlkampf war die SPD mit der Forderung gezogen, die "Zweiklassenmedizin" abzuschaffen. Die Union hat in den Verhandlungen alle Vorstöße der Sozialdemokraten abgewehrt. Von einer "Bürgerversicherung" war zuletzt gar nicht mehr die Rede. Stattdessen wollte die SPD die Honorarordnungen von gesetzlicher und privater Versicherung anpassen: Ärzte hätten dann nicht mehr das Zwei- bis Dreifache für einen Privatpatienten abrechnen können.
Angleichung vom Tisch
Die Arzthonorare haben es in den Koalitionsvertrag geschafft. Union und SPD haben sich auf die Einsetzung einer Kommission geeinigt, zur "sorgfältigen Vorbereitung" einer Reform der Honorarordnung. Vom Ziel einer Angleichung für Privatpatienten und gesetzliche Versicherte ist allerdings nicht mehr die Rede. Hinzu kommt, dass die Empfehlungen der Kommission nicht bindend sein sollen: "Ob diese Vorschläge umgesetzt werden, wird danach entschieden."
Der Koalitionsvertrag spiegelt wider, wie wenig vereinbar die Positionen von Union und SPD in der Frage der künftigen Krankenversicherung sind. Beide hatten das Thema ideologisch aufgeladen - und zum Gegenstand eines kleinen Kulturkampfes gemacht. Für die SPD war es Teil eines "Gerechtigkeitswahlkampfs". Unionspolitiker warnten - sekundiert von Ärztevertretern - vor einem Zwang in eine angebliche "Einheitsversicherung" und vor unhaltbaren Zuständen wie in Großbritannien. Bundesärztekammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery sprach gar von der Bürgerversicherung als "Turbolader in die Zweiklassenmedizin".
Die Argumente von Befürwortern und Gegnern der Bürgerversicherung sind gleichermaßen ideologisch aufgeladen. Die Bürgerversicherung würde es bislang privat Versicherten ja weiter frei stellen, private Zusatzversicherungen abzuschließen. Auch der Wettbewerb der Krankenkassen bliebe bestehen.
Auf der anderen Seite hat die SPD Hoffnungen geschürt, die eine Bürgersicherung nur schwer hätte erfüllen können: Günstiger würde es für gesetzlich Versicherte nämlich nicht werden. Im Gegenteil, gerechnet würde mit einer Anhebung der Beitragssätze der gesetzlichen Kassen um 0,4 bis 0,6 Prozentpunkte.
Gesundheitsausgaben wachsen schneller als die Gesamtwirtschaft
Vor allem aber geht die Diskussion an einer der Kernfragen zur Zukunft des Gesundheitssystems völlig vorbei: Wie will Deutschland mit knappen Mitteln die wachsenden Herausforderungen des Gesundheitssystems meistern? Wie können die Milliardenausgaben effizienter als bisher eingesetzt werden?
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Die Gesundheitsausgaben liegen in Deutschland inzwischen bei rund 350 Milliarden Euro. Und sie wachsen schneller als die Wirtschaft insgesamt: Zuletzt lag der Anteil der Gesundheitsausgaben laut Weltbank bei 11,3 Prozent - 1994 waren es noch 9,4 Prozent gewesen.
Die Kosten im Gesundheitswesen steigen wegen zwei Megatrends:
- Zum einen wird die Bevölkerung im Schnitt immer älter,
- zum anderen entwickelt sich die Medizin weiter - hin zu technisch und finanziell aufwendigen Therapien.
Deshalb verharren die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung auch bei über 15 Prozent - trotz guter Wirtschaftslage und Rekordbeschäftigung.
Knackpunkt Beihilfe für Beamte
Womöglich könnte aber ausgerechnet in den steigenden Kosten eine Chance liegen. Schließlich kommen auch auf die von CDU und CSU geführten Bundesländer bis 2030 erhebliche Mehrkosten durch die Ausweitung der Beihilfe für Beamte zu. Die Bertelsmann-Stiftung hat errechnet, dass die Kosten sich auf 20 Milliarden Euro fast verdoppeln könnten.
Möglich, dass sich in den kommenden Jahren deshalb auch die heutigen Gegner eines Umbaus zur Bürgerversicherung die Schwachstellen des Systems genauer ansehen. Eine Bürgerversicherung kann zwar nichts ändern am demografischen Wandel, auch Beamte und Selbstständige werden eines Tages alt und womöglich krank. Sie hält auch den Fortschritt in der Medizin nicht auf, kann aber helfen, Geld effizienter auszugeben als bisher.
Privatpatienten werden heute viel häufiger geröntgt als Kassenpatienten - und vermutlich auch häufiger, als medizinisch notwendig wäre. Während die Verwaltungskosten in der gesetzlichen Krankenversicherung bei knapp fünf Prozent liegen, wenden die privaten Versicherungen mehr als neun Prozent ihrer Einnahmen für Verwaltung, Vertragsabschlüsse und Werbung auf.
"Große Reformen sind meist Kinder der Not", so hat es der Mannheimer Gesundheitsökonom Eberhard Wille einmal formuliert. Wenn der Druck in den kommenden Jahren steigt, könnte auch die Bürgerversicherung wieder auf den Tisch kommen.