Wirtschaftspolitik Grüne zweifeln an grünem Wachstum

Nur mit Shoppen lässt sich das Klima nicht retten: Ein Positionspapier der Grünen stellt grünes Wachstum als Allheilmittel infrage. Kehrt die Partei zurück zu den Wurzeln?
Daimler-Stand auf der IAA: Keine Wende nur über den Konsum

Daimler-Stand auf der IAA: Keine Wende nur über den Konsum

Foto: Ole Spata/ dpa

Berlin - Hier ein Apfel aus der Region, da ein klimaneutral produziertes T-Shirt und dort ein besonders verbrauchsarmes Auto: Für Grünen-Wähler war die Welt eine Zeitlang ein einziges Einkaufsparadies. Im Kampf gegen den Klimawandel bekannte sich die Partei zum "Green New Deal". Die seit Jahrzehnten geforderte ökologische Wende sollte durch veränderte Produktion und bewussteren Konsum gelingen. "Umweltschutz ist ein globaler Wachstumsmarkt", frohlockte das Parteiprogramm von 2009.

Doch nun rückt die Partei von diesem Konzept ab. Trotz aller technischen Fortschritte bleibe "grünes bzw. nachhaltiges Wachstum ein Paradoxon", heißt es in einem Thesenpapier , das am Dienstag in der Fraktion diskutiert wird und SPIEGEL ONLINE vorliegt.

Darin üben die wirtschafts- und finanzpolitischen Sprecher, Dieter Janecek und Gerhard Schick, deutliche Kritik am Kurs der vergangenen Jahre. "Wir Grüne haben uns von den treibenden progressiven Kräften entfernt", schreiben sie. "Von der wachstumskritischen Szene, von gesellschaftlichen Gruppen, die sich mit alternativen Lebensmodellen und mit Entschleunigung befassen."

Zwar verwerfen die Autoren nicht das Vorhaben, Wachstum und Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Doch Einsparungen nützten wenig, wenn sie am Ende nur zu noch mehr Wachstum führten. "Wir sind nicht der Meinung, dass man allein durch Shoppen aus der Klimakrise kommt", sagt Janecek.

Stattdessen sollen sich in einer "doppelten Entkopplung" auch die sozialen Verhaltensweisen ändern. "Verteilungskonflikte haben wir in der Vergangenheit häufig über Wachstum gelöst", sagt Schick. "Hier müssen wir ganz neu denken, wenn wir Wohlstand für alle schaffen wollen."

Hartz IV als Auslaufmodell

Die zunehmende Automatisierung der Arbeitswelt bedeutet dem Papier zufolge auch das "Ende der Ewerbsarbeitsfixierung". Bürger sollen leichter zwischen herkömmlichen Jobs und Arbeiten für Familie oder Gesellschaft wechseln können. Absichern soll sie dabei eine Bürgerversicherung und eine negative Einkommensteuer, die das heutige Hartz-IV-System ersetzen würde.

Grüne, die ganz prinzipiell an Wachstum und Erwerbsarbeit zweifeln: Das entspricht freilich ziemlich genau jenem Bild von bärtigen Fundamentalisten, das die Partei lange zu ändern versuchte. Das freudige Bekenntnis zu Wachstum und Konsum erschloss der Partei schließlich auch neue bürgerliche Wählerschichten.

Entsprechend deutlich bekennt sich das Konzept an anderen Stellen zur Marktwirtschaft. Ziel sei, mit dem "Ansatz eines grünen Ordoliberalismus eine regelrechte Investitionsoffensive" auszulösen. In einer Zukunftsvision besteht Deutschland "nicht nur an den internationalen Märkten, sondern ist Vorbild für andere, ist attraktives und risikoarmes Ziel von Investitionen und für wirtschaftliche Partnerschaften".

Das sind unverkennbar Sätze, die den Realo-Flügel der Grünen beruhigen sollen. Kürzlich hatte Schick, Koordinator des linken Parteiflügels, bereits mit der Reala Anja Hajduk ein Kompromisspapier zur umstrittenen Steuerpolitik vorgelegt. Nun wiederholt er das Manöver mit dem Realo-Sprecher Janecek für die Wirtschaftspolitik. Der glaubt trotz der Rückkehr zu den wachstumskritischen Wurzeln weiterhin an Positivbotschaften. "Es bringt nichts, immer mit der Apokalypse zu argumentieren."

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