S.P.O.N. - Die Spur des Geldes Wenn Politiker vom Stammtisch aufstehen
In dieser letzten Folge meiner Serie über die Wahlprogramme komme ich zum ersten, das mir tatsächlich in Passagen gefällt. Die Grünen haben sich zumindest bemüht, die Euro-Krise zu verstehen. Das ist unter politischen Parteien in Deutschland eine Rarität.
Laut dem Programm der Grünen ist die Krise keineswegs das Resultat unverantwortlicher Haushaltspolitik im Süden, sondern eine Konsequenz von Kapitalströmen, die sich aus gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichten ergeben. Die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse sind somit genauso ein Teil der Ungleichgewichte wie die Defizite in den Südländern. Die Grünen haben ebenfalls recht mit der Feststellung, dass die Hilfsprogramme nicht aus Nächstenliebe erfolgt sind, sondern zur Stabilisierung von Banken und Versicherung, auch und insbesondere in Deutschland. Die Politik des Sparens hat die Krise verstärkt und den sozialen Zusammenhalt geschwächt.
Fast umgehauen hat mich folgende Passage: "Die ökonomischen Ungleichgewichte in der Europäischen Union haben ihre Ursache sowohl in den Defizit- als auch in den Überschussländern wie Deutschland. Eine europäische Wirtschaftspolitik muss mehr dafür tun, dass sich die Wirtschaftskraft der Mitgliedstaaten gleichmäßiger entwickelt. Dazu muss die Binnenkonjunktur in den Überschussländern gestärkt werden. In den letzten Jahren stagnierten aber die Reallöhne oder sanken sogar."
Hier setzt sich eine Partei mutig über sämtliche Stammtische hinweg. Hut ab für die Autorin oder den Autor! Doch dann kommt die grüne Sauce, die einem den Spaß schon wieder vermasselt, konkret der Versuch, die Umweltprobleme in diese Krise mit hinein zu pantschen. Es wäre einfacher, unsere verschiedenen existentiellen Krisen zu trennen. Die Euro-Krise lässt mit herkömmlichen ökonomischen Modellen gut erklären. Sie lässt sich grün, schwarz oder rot lösen. Die Ökologie braucht man dazu nicht.
Die Grünen sind in ihren Lösungsvorschlägen etwas konkreter als die SPD, neigen aber auch zur Überfrachtung. Steuerdumping ist nicht schön, aber kein zentrales Element der Krise. Man kann die Zyprer dazu verdonnern, die Steuern zu erhöhen. Aber das ist eher eine Demonstration deutscher Macht als ein Versuch, die Krise zu lösen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist schlimm, sie ist aber nur eine Konsequenz der Dauerrezession. Die Rezession wiederum ist die Konsequenz der Sparpolitik in Verbindung mit der Finanzkrise. Wer die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen will, sollte sich für das Ende der Sparprogramme einsetzen und für eine echte europäische Bankenunion. Spezielle Programme gegen die Jugendarbeitslosigkeit sind unsinnig, solange man das eigentliche Problem nicht löst.
Die Grünen sind für Euro-Bonds. Mich als Befürworter solcher gemeinsamen Anleihen aller Euro-Staaten sollte das freuen. Aber die Grünen wollen einen Typus von gemeinsamer Anleihe, von dem ich weniger überzeugt bin - den Schuldentilgungsbond. Basierend auf einem Vorschlag des Sachverständigenrats der Bundesregierung, handelt es sich hier um ein Instrument, das explizit nur zur Schuldentilgung dient.
Die Grünen wagen eine offene und intelligente Analyse
Man würde die Länder also dazu verdonnern, ihre Schulden zu tilgen, anstatt allmählich aus ihnen herauszuwachsen. Während die Grünen die Sparpolitik der vergangenen Jahre zu Recht kritisieren, akzeptieren sie hier plötzlich ziemlich unkritisch ein Instrument, das den restriktive Sparkurs praktisch für viele weitere Jahre festschreibt. Die Grünen schreiben allerdings auch, dass echte Euro-Bonds ihr Langfristziel seien.
Weniger überzeugend finde ich die Argumentation, warum man Angela Merkel bei den Rettungspaketen und beim Fiskalpakt so bedingungslos unterstützt hat. Man habe ihr im Gegenzug die Finanzmarkt-Transaktionssteuer abverlangt - nicht gerade ein großer Wurf, wenn man bedenkt, dass diese Steuer gerade kaputtgeredet wird.
Unter den Wahlprogrammen der großen Parteien wagt nur das der Grünen eine offene und intelligente Analyse. Bei der SPD hatte ich das Gefühl, dass sie will, aber nicht kann oder sich nicht traut. Das Programm der Union ist harmlos, aber letztlich unwichtig, da es dort nur auf die Kanzlerin ankommt. Und das Programm der FDP besteht aus Verschwörungstheorien.
Die analytische Schärfe eines Programms sollte sicher nicht das einzige Kriterium für eine Wahlentscheidung sein. Wir leben allerdings in einer Zeit großer und ungelöster makroökonomischer Risiken. Hier sollte man denen den Vortritt lassen, die sich zumindest bemühen, das Problem zu begreifen. Da sind die Grünen eindeutig weiter als die anderen Parteien.