Günther Oettinger und die Lobbyisten Der Telekommissar
Um einen Termin bei Günther Oettinger zu kriegen, sollte man am besten Konzernlobbyist sein. Verbraucherschützer haben hingegen kaum Chancen, zum Digitalkommissar vorzudringen, zeigt eine Auswertung seines Kalenders.

Digitalkommissar Günther Oettinger: Nur zwei Treffen mit NGOs
Foto: ERIC PIERMONT/ AFPGeht es um die Netzneutralität, wird Günther Oettinger harsch: Als "taliban-artig" bezeichnete der EU-Digitalkommissar die Befürworter des gleichen Netzes für alle bei einer Diskussionsveranstaltung im März. Mehr noch: Wer Telekom-Unternehmen zwinge, die Daten jedes Absenders ohne Aufpreis gleichwertig durch ihr Netz zu leiten, gefährde sogar Leben - doch dazu später mehr.
Deutsche Telekom-Chef Timotheus Höttges, der auf dem Podium an Oettingers Seite saß, war jedenfalls ganz seiner Meinung.
Greift ein EU-Kommissar zu solch scharfen Worten, sollte er sich mit den Argumenten seines politischen Gegners intensiv auseinandergesetzt haben. Mit denen von Joe McNamee etwa, dem Chef der europäischen Bürgerrechtsorganisation EDRI, in der etwa der deutsche "Chaos Computer Club" organisiert ist. Doch seit Oettinger das Digitalressort in Brüssel im Dezember übernahm, hat McNamee den Kommissar kein einziges Mal formell getroffen. "Oettinger hat sich überwiegend von der Seite der Netzbetreiber beraten lassen", sagt der Aktivist. "Mit denen geht er zum Abendessen."
Der EDRI-Chef ist nicht der Einzige, der bei Oettinger nicht vorgelassen wird. In dem halben Jahr, seitdem der Schwabe in Brüssel für Digitalthemen zuständig ist, hat er sich gerade zwei Mal mit Lobbyisten von Nichtregierungsorganisationen getroffen - aber 44 Mal mit denen von Unternehmen oder Wirtschaftsverbänden. Deutsche Telekom, British Telecom oder Alcatel bekamen alle ihren Termin mit Oettinger. Das geht aus einer Aufstellung der Treffen von hohen Vertretern der EU-Kommission mit Lobbyisten hervor. Dafür hat die Nichtregierungsorganisation Transparency International Veröffentlichungen der EU ausgewertet . Die Daten lagen SPIEGEL ONLINE vorab vor.
Drei von vier Treffen finden mit Wirtschaftslobbyisten statt
Oettinger wehrt sich gegen die Darstellung: Er spreche mit allen, erklärt er auf Anfrage. Nur spiegele das Transparenz-Register das so nicht wider, weil nicht alle diese Treffen eingetragen werden müssen - "etwa, wenn ich mich in einer öffentlichen Veranstaltung an Bürger wende, auf einer Konferenz spreche oder Abgeordnete treffe, die sich für die Rechte der Internet-Nutzer einsetzen."
Die sehen das offenkundig ganz anders: Bei den Verhandlungen über die Netzneutralität sei der Kommissar kein einziges Mal anwesend gewesen, beschwert sich der österreichische Grünen-Abgeordnete Michel Reimon. "Man weiß seit einem Jahr nicht, was er arbeitet. Und ob er überhaupt arbeitet." Wo er Position beziehe, setze Oettinger sich aber für eine möglichst konzernfreundliche Lösung ein.
Innerhalb der Kommission sind Oettinger und sein Team ein Extrem-, aber kein Einzelfall. Bei rund drei von vier Treffen sitzen die Kommissare und ihre höchsten Mitarbeiter Lobbyisten aus Unternehmen und Verbänden gegenüber, nur jedes sechste Gespräch findet mit Gesandten von Nichtregierungsorganisationen statt.
Seinen selbst gesetzten Verhaltensregeln wird das Team von Präsident Jean-Claude Juncker damit nicht gerecht: "Kommissionsmitglieder sollen versuchen, unter den Interessenvertretern, die sie treffen, eine angemessene Balance herzustellen", heißt es im Dokument über die Arbeitsmethoden der EU-Kommission.
Immerhin: Dass die Daten überhaupt vorliegen, zeigt, dass die EU-Kommission den Regierungen vieler Mitgliedstaaten - insbesondere Deutschland - beim Thema Transparenz einiges voraus hat. Seit Junckers Amtsantritt verpflichten sich die Kommissare und ihre höchsten Mitarbeiter, nur noch mit in Brüssel registrierten Lobbyisten zu sprechen, und diese Termine zu veröffentlichen.
Oettingers Haltung könnte Netzbetreibern Milliarden bringen
Dass sich Oettinger fast ausschließlich die Argumente der Netzbetreiber anhört, könnte die Internetnutzer teuer zu stehen kommen. Bei vollkommener Netzneutralität müssen Netzbetreiber wie die Deutsche Telekom alle Daten mit gleicher Geschwindigkeit durch ihre Kabel leiten, unabhängig von Absender und Inhalt.
Oettinger führt als Argument gegen dieses Prinzip gerne Krankenhäuser an, deren Operationsdaten schneller befördert werden müssten als YouTube-Videos - so kommt Oettinger auf die angeblich lebensbedrohlichen Folgen der Netzneutralität.
Doch der aktuelle Vorschlag für eine Neuregelung, der derzeit in Brüssel verhandelt wird, erlaubt den Telekomunternehmen auch, die Netzneutralität einzuschränken. Denkbar wäre das etwa für Musik- oder TV-Streaming-Anbieter wie Spotify oder Netflix. Für die schnellere Durchleitung der Bandbreitenfresser müssten Nutzer dann zusätzlich zu ihrem Internettarif bezahlen - ein potenzielles Milliardengeschäft für Netzbetreiber.
Nicht jeder Kommissar mit einem wirtschaftsnahen Portfolio trifft so häufig auf Wirtschaftslobbyisten wie Oettinger. Bei Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager etwa hat Transparency International nur acht Treffen mit Wirtschaftslobbyisten gezählt. Die dänische Liberale gilt als Schreck der Großkonzerne, seit sie im Wochenabstand die Kartellverfahren gegen Google und Gazprom anschob - deren Lobbyisten hatte sie vorher kein einziges Mal offiziell getroffen.
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