Interne Papiere So will die Bundesagentur für Arbeit Hartz IV umbauen

BA-Chef Detlef Scheele, SPD-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil
Foto: Sebastian Gollnow/ dpaDie Bundesregierung ringt um eine Neugestaltung von Hartz-IV - doch bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) liegen längst eigene Pläne in der Schublade. Sie widersprechen teilweise den Ideen, mit denen die SPD die aktuelle Diskussion angestoßen hat.
Dabei steht an der Spitze der BA ebenfalls ein Sozialdemokrat: Doch Detlef Scheele und seine Behörde haben durch ihre Erfahrungen in der Praxis ihren ganz eigenen Blick auf das Reformbedürfnis im System. Von einer Abschaffung halten sie nichts. Doch wiederholt hat Scheele zuletzt betont, dass es selbstverständlich sinnvoll sei, ein 15 Jahre altes Gesetz den Umständen auf dem Arbeitsmarkt anzupassen.
Zwei interne Arbeitspapiere, die dem SPIEGEL vorliegen, machen nun klar, was Scheele konkret damit gemeint haben dürfte: Ein Papier aus dem Januar 2019 bewertet einige zentrale Reformideen der aktuellen politischen Diskussion, wie sie etwa von SPD und den Grünen erhoben werden. Das zweite Papier datiert bereits auf das Jahr 2017 und wurde damit weit vor der wieder aufgeflammten Hartz-IV-Debatte geschrieben. Darin fasst die BA zusammen, wo sie selbst dringenden Handlungsbedarf im System sieht.
Die Vorschläge haben es in sich: So will die BA zum Beispiel Sanktionen entschärfen, das System vereinfachen und Menschen, die lange gearbeitet haben, Aufschläge auf ihren Hartz-IV-Satz zahlen.
Die wichtigsten Positionen der BA im Überblick:
Kein längeres Arbeitslosengeld I, dafür Aufschlag auf Hartz IV
Deutlich spricht sich die BA gegen eine längere Bezugsdauer des am vorherigen Einkommen orientierten Arbeitslosengeldes I aus. Die aktuelle Ausgestaltung der Anspruchsdauer von derzeit in der Regel 12 Monaten und bis zu 24 Monaten für ältere Versicherte sei an den Erfordernissen des Arbeitsmarktes ausgerichtet, heißt es in dem Papier. Ein längerer Bezug würde diesem Grundsatz entgegenstehen. Tatsächlich hat das BA-eigene Forschungsinstitut IAB wiederholt auf Befunde verwiesen, wonach ein längerer Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu einer durchschnittlich längeren Arbeitslosigkeit führt: Ein Teil der Betroffenen lässt sich bei der Jobsuche dann offenbar mehr Zeit - und läuft Gefahr, nur noch einen schlechteren oder überhaupt keinen Arbeitsplatz mehr zu finden.
Damit lehnt die Nürnberger Behörde einen zentralen Punkt aus dem Sozialstaatskonzept der SPD ab, das der Parteivorstand am vergangenen Sonntag beschlossen hat. Die Pläne der Sozialdemokraten laufen darauf hinaus, das Arbeitslosengeld I künftig in der Regel drei Jahre lang auszuzahlen. Wer dann noch arbeitslos ist und in Hartz IV fällt, dessen Vermögen und Wohnung soll für weitere zwei Jahre nicht angetastet werden. So will die SPD den harten Absturz vor allem für die verhindern, die Jahrzehnte lang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben.
Auch die BA hält es durchaus für richtig, die Lebensleistung von Arbeitslosen stärker zu berücksichtigen - allerdings im Hartz-IV-System. In dem Arbeitspapier präsentiert die Behörde den Vorschlag, langjährigen Versicherten einen Aufschlag auf den Regelsatz zu zahlen. Die Höhe des Aufschlags wäre vom letzten Nettolohn des Empfängers sowie der Dauer seiner Beschäftigung abhängig. Eine solche Leistung dürfte aber, so warnt die Behörde in dem Papier, keine Fehlanreize etwa für eine Frühverrentung setzen und müsste in jedem Fall aus Steuermitteln finanziert werden.
Sanktionen entschärfen
Die BA ist strikt gegen eine völlige Abschaffung von Sanktionen: "Das Junktim zwischen Fördern und Fordern darf nicht aufgegeben werden", heißt es in dem aktuellen Papier. Sanktionen seien keine Willkür und Strafe, sie fielen auch nicht "vom Himmel" und spielten in der Praxis eine viel kleinere Rolle als in der öffentlichen Debatte. Die Klientel in Hartz IV sei "äußerst heterogen": Neben der Mehrheit derer, die auch ohne Druck mitwirken, gebe es eine Minderheit, die sich "erst durch direkte Ansprache dazu motivieren" lasse, die eigene Situation zu verbessern.
Allerdings fordert auch die BA, die deutlich schärferen Sanktionsregeln für unter 25-Jährige abzuschaffen und niemals das Geld für die Warmmiete zu streichen, weil sonst Obdachlosigkeit drohe.
Weniger Bürokratie: Mehr Pauschalen, weniger Regelsätze
Die bislang äußerst kleinteiligen Regelungen bei der Berechnung von Hartz IV und dem Schonvermögen sollen nach dem Willen der BA deutlich vereinfacht werden. So soll es statt bislang insgesamt sechs verschiedener Regelsätze künftig nur noch zwei geben: Einen höheren für die erste Person im Haushalt - und einen niedrigeren für jede weitere Person im Haushalt, ob Erwachsener oder Kind. Diese Regelsätze sollen so hoch sein, dass die bisher vorgesehenen sechs Mehrbedarfe etwa für Alleinerziehende oder besondere Ernährung abgeschafft werden können.
Auch für die Wohn- und Heizkosten schlägt die BA Pauschalen vor: Welche Miete in einer Kommune noch angemessen ist, soll sich künftig schlicht nach der Wohngeld-Tabelle richten. Für die Heizkosten schlägt die Behörde einen festen Zuschuss pro Quadratmeter Wohnfläche vor.
Solche Vereinfachungen würden beiden Seiten nutzen, argumentiert die BA: Die Empfänger könnten die Bescheide besser nachvollziehen und erhielten deutlich weniger davon. In den Jobcentern fiele viel unnötige und fehleranfällige Arbeit weg - was auch die Zahl der Widersprüche und Klagen reduzieren würde. Dafür könne auch in Kauf genommen werden, dass der Staat insgesamt mehr Geld ausgeben muss, weil die Pauschalen so hoch sein müssten, dass niemand schlechter gestellt ist als bislang.
Qualifikation besser fördern
Hier decken sich die Vorstellungen der BA exakt mit denen der SPD: Arbeitslose, die eine Berufsausbildung oder Umschulung machen, sollen einen finanziellen Bonus auf den Regelsatz bekommen. Bislang brechen viele ihre Ausbildung ab, um einen Helferjob anzutreten - auch wenn der schlecht bezahlt ist, stehen sie damit immer noch besser da als mit Hartz IV allein.
Die BA fordert ebenfalls wie die SPD, dass eine Qualifikation künftig drei Jahre lang statt wie bisher nur zwei Jahre gefördert werden kann. Das wäre, heißt es in dem Papier, auch ein Mittel gegen den Fachkräftemangel im Gesundheits- und Sozialwesen.
Interne Verwaltung vereinfachen
Derzeit ist Hartz IV ein kompliziertes Gebilde, an dem sowohl der Bund als auch die Länder und Kommunen beteiligt sind - was zu einer überbordenden und mitunter dysfunktionalen internen Verwaltung führt, die "sich umfänglich mit sich selbst beschäftigt, statt mit diesen Mitteln ihren bedürftigen Kunden zu helfen", wie es in dem Arbeitspapier aus dem Jahr 2017 in aller Offenheit heißt. In dem Papier werden zahlreiche Vorschläge gemacht, die Budgetregeln deutlich zu vereinfachen und es so zum Beispiel auch zu ermöglichen, Mittel nach Bedarf zwischen Jobcentern zu verschieben.
Mitunter führen die Verwaltungsregeln auch zu massiven Fehlanreizen. Etwa bei den sogenannten Sonderprogrammen, die über das hinausgehen, was eigentlich im Sozialgesetzbuch an Maßnahmen vorgesehen ist - und für die Bund und Länder zusätzliches Geld lockermachen. Die Mitarbeiter in den Jobcentern, so konstatiert die BA, verspürten oft "Druck", diesen Programmen "zum Erfolg zu verhelfen", der zu "suboptimaler Arbeit im Kernauftrag am Kunden führen kann". Im Klartext: Manchmal geht es gar nicht darum, die optimale Maßnahme für einen Arbeitslosen zu finden - sondern die optimalen Arbeitslosen für eine Maßnahme.
Ein anderes Beispiel: Bislang werden erfolgreiche Jobcenter finanziell regelrecht bestraft. Denn wo besonders viele Arbeitslose vermittelt wurden, sinkt im Jahr darauf das Budget deutlich - weil es ja weniger Kunden gibt. Auf der anderen Seite gibt es einen eigenen Bonus für Jobcenter in Regionen, in denen besonders viele Hartz-IV-Empfänger wohnen. Die BA fordert, diesen sogenannten Problemdruckindikator abzuschaffen und lieber jenen Jobcentern Boni zu geben, die sich besonders ambitionierte Ziele setzen.