EuGH-Urteil zu Hartz IV Europa bleibt offen - mit Einschränkung

Europäischer Gerichtshof: Kein automatischer Anspruch auf Hartz IV
Foto: CorbisOb David Cameron der jungen Rumänin Elisabeta Dano danken soll? Immerhin hat die Frau dafür gesorgt, dass der britische Premier eine offizielle Bestätigung bekommen hat: Es muss Grenzen geben im System der Personenfreizügigkeit, das EU-Offizielle oft wie eine Monstranz vor sich hertragen.
Die 25-jährige Dano lebt mit ihrem fünfjährigen Sohn seit 2010 bei ihrer Schwester in Leipzig. Ernsthaft nach Arbeit gesucht hat sie wohl nie, Deutsch spricht sie kaum. Das Jobcenter in Leipzig hat deshalb ihren Antrag auf Hartz IV abgelehnt. Dano wollte das nicht hinnehmen und klagte. Doch die Luxemburger Richter entschieden am Dienstag gegen sie.
Das Leipziger Jobcenter dürfe in diesem Fall Hartz IV verweigern, weil die Klägerin keine echte Verbindung zu Deutschland habe, sondern nur wegen der Sozialleistungen eingereist sei - und so kein Recht auf Aufenthalt geltend machen könne. Sie könne sich nicht auf das im EU-Recht verankerte Diskriminierungsverbot berufen, befanden die Richter.
Das wirkt wie ein Sieg für Cameron, der auch in seinem Land Sozialleistungen für EU-Einwanderer einschränken will. In anderen Mitgliedstaaten wie den Niederlanden läuft eine ähnliche Debatte. Die belgische Regierung verschickt Briefe an arbeitslose EU-Migranten, fordert sie zur Ausreise auf und nennt sie eine "Belastung".
Nun sagt auch das höchste europäische Gericht: Ansprüche auf Sozialleistungen in einem anderen EU-Land sind kein Automatismus, sie beruhen auf Ansprüchen, die erworben werden müssen. Das ist die Interpretation, die Freizügigkeitsskeptiker wie Cameron gefallen wird. Die EU-Hauptstädte sehen mehr Spielraum beim Kampf gegen den vermeintlichen Sozialmissbrauch.
Wie Deutschland den Druck auf Zuwanderer erhöht
Erst vergangene Woche hatte etwa der Bundestag die Gesetze für Einwanderer aus Mitgliedstaaten der Union verschärft: Wer nach sechs Monaten keine Arbeit gefunden hat und seinen Lebensunterhalt nicht eigenständig bestreiten kann, soll künftig sein Aufenthaltsrecht in Deutschland verlieren.
Doch das EuGH-Urteil enthält noch eine andere Botschaft. Sie lautet: Das Freizügigkeitprinzip funktioniert, nur eben mit Einschränkungen.
Camerons Forderungen nach Quotenregelungen für EU-Migranten nimmt das den Nachdruck. Der britische Premier hatte sich gerade in diesem Punkt Schützenhilfe von Kanzlerin Angela Merkel erhofft. Nun könnte sein Ruf nach grundlegenden Reformen leiser werden.
Der Chef der EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, kommentierte das Luxemburger Urteil entsprechend: "An den britischen Premierminister gerichtet ist nun geklärt, wo die Grenzen der Einschränkungen sind. An ihnen kann nicht gerüttelt werden."
Im Prinzip haben sich die Richter an eine Maxime gehalten, welche die Europäische Kommission seit langem predigt: Auf Grundlage bestehender EU-Gesetze können Mitgliedstaaten gegen Betrug und Missbrauch der Sozialsysteme in anderen EU-Staaten vorgehen.
Nach dem deutschen Sozialgesetzbuch II etwa sind EU-Ausländer, die zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen, generell von Sozialleistungen ausgeschlossen. Nur wer arbeitet, erwirbt nach einem Aufenthalt von drei Monaten Ansprüche.
Danach wird geprüft, ob sie ins Land kamen, um nach Arbeit zu suchen. Für wen das gilt und für wen nicht, will der EuGH aber weiterhin im Einzelfall prüfen können.
Konkrete Zahlen? Fehlanzeige
Daher ist das nuancierte Urteil durchaus eine Bremse für jene, die am Prinzip der EU-Freizügigkeit grundsätzlich sägen wollen - und dabei die Fakten oft gegen sich haben.
Konkrete Zahlen, dass "Sozialtourismus" ein Massenphänomen sei, hat bislang selbst Cameron nicht präsentiert. Rumänen und Bulgaren etwa siedeln sich weit seltener in Großbritannien an als in Spanien oder Italien.
Und der Zuzug aus Polen und Ungarn, gegen den Cameron ebenfalls wettert, hat der britischen Volkswirtschaft satte Überschüsse beschert - ein Nettoplus von rund 20 Milliarden Pfund in den vergangenen zehn Jahren.
Grundsätzlich bräuchte die EU mehr Mobilität zwischen kriselnden und prosperierenden Mitgliedstaaten, nicht weniger. Innerhalb der EU-Staaten siedeln aber lediglich 0,3 Prozent der Unionsbürger um, weit weniger als etwa in der US-Währungsunion. Auch deswegen kamen die Vereinigten Staaten besser durch die jüngste Krise.
Allerdings stimmt: Die Aufnahme wirtschaftlich schwächerer Länder hat das Wohlstandsgefälle in der EU verschärft - und mobil sind vor allem die Bürger neuer Mitgliedstaaten wie Bulgarien oder Rumänien.
Sie kommen zudem oft in bestimmte Regionen, in Deutschland etwa das Ruhrgebiet. Dort funktioniert die Eingliederung schon mangels Arbeit oft schlecht. Doch das ist eine politische Debatte, keine juristische. Und sie wird auch nach dem Urteil der Luxemburger Richter weitergehen.