Neues Gesetz notwendig Heil will Urteil zu Hartz-IV-Sanktionen schnell umsetzen

Arbeitsminister Heil in Karlsruhe: "Das schafft gesellschaftlichen Frieden"
Foto: Uli Deck / DPADas Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass das Sanktionsrecht für Hartz-IV-Empfänger nicht so bleiben kann, wie es derzeit ist: So sei es zwar mit dem Grundgesetz vereinbar, die Hilfssätze zu kürzen, um Empfänger zur Mitarbeit bei der Jobsuche zu bewegen. Doch unter anderem seien Kürzungen von bis zu 100 Prozent, die pauschale Dauer einzelner Kürzungen von drei Monaten oder die mögliche Streichung der Miete nach der Entscheidung nicht mehr zu halten.
Der Gesetzgeber wird die Regelungen ändern und die schärfsten Strafen abschwächen müssen. Die Debatte über die Neugestaltung von Hartz IV hat damit gerade erst begonnen.
So kündigte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil an, das Urteil schnell umzusetzen. Einige Änderungen seien unmittelbar notwendig, darüber werde es noch im Laufe des Tages Gespräche mit der Bundesagentur für Arbeit und den Bundesländern geben, sagte der SPD-Politiker nach der Verkündung in Karlsruhe.
Heil sprach von einem sehr weisen und sehr ausgewogenen Urteil. "Wir haben Rechtssicherheit, das schafft gesellschaftlichen Frieden." Gleichzeitig gebe es den klaren Auftrag, den Sozialstaat weiterzuentwickeln. "Und wir werden in der Koalition miteinander besprechen, was das an gesetzgeberischer Weiterentwicklung bedeutet."
Heil sagte, er gehe davon aus, dass das Urteil auch auf die besonders scharfen Sanktionen für junge Arbeitslose unter 25 Jahren Auswirkungen haben werde. Die Richter hätten die komplette Streichung der Leistungen dem Grunde nach verworfen. Er habe es auch immer politisch richtig gefunden, dass die Kosten der Unterkunft nicht mehr sanktioniert werden, die existenzielle Verunsicherung sei unverhältnismäßig. "Und das gilt, glaube ich, für alle Hilfebedürftigen in der Grundsicherung."
"Ein Urteil, das der Lebenswirklichkeit von Betroffenen entspricht"
Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, begrüßt die Entscheidung der Verfassungsrichter zu den Hartz-IV-Sanktionen grundsätzlich und will schnell über die praktischen Folgen sprechen. "Erst mal ist es ein Urteil, das der Lebenswirklichkeit von Betroffenen entspricht", so Scheele. "Ich habe ja immer gesagt, 100 Prozent oder Kürzungen beim Wohnen brauchen wir nicht und wollen wir auch nicht anwenden."
Gewerkschaften und Sozialverbände drängen nach dem Urteil auf eine Abschaffung der Sanktionen beim Arbeitslosengeld II. In einer gemeinsamen Erklärung forderten die Arbeiterwohlfahrt, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Diakonie Deutschland und der Paritätische Wohlfahrtsverband eine Aufhebung der bestehenden Sanktionsregelungen im Hartz-IV-System und die Einführung eines "menschenwürdigen Systems der Förderung".
"Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts sind immer nur verfassungsrechtliche Grenzen, über die der Gesetzgeber auch hinausgehen kann", erklärte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. "Denn nicht alles, was unsere Verfassung vielleicht gerade noch so zulässt, ist auch im Interesse von Arbeitssuchenden und Beschäftigten."
"Längst überwundene Rohrstockpädagogik"
Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, betonte, Sanktionen verursachten Leid und führten "dazu, dass Menschen sich zurückziehen". Sie "entspringen einer längst überwundenen Rohrstockpädagogik des vergangenen Jahrhunderts". Deshalb müssten sie "komplett und ersatzlos" gestrichen werden.
Reinhold von Eben-Worlée, der Präsident des Verbands Die Familienunternehmer, kritisierte das Urteil dagegen scharf. Es werde "die Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt deutlich erschweren", sagte er. "Zu Recht kann die Solidargemeinschaft erwarten, dass jene, die Unterstützung erhalten, auch selbst Anstrengungen unternehmen, um ihrer misslichen Lage zu entkommen. Die Realität aber zeigt, dass sich hierzu leider nicht alle Bedürftigen ohne diesen Druck motivieren können." Dass das Gericht die Sanktionen auf 30 Prozent gedeckelt hat, sei da kontraproduktiv.